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Ärzte: Gründe, Cannabis als Medizin zu verschreiben

Am 19. Januar 2017 beschloss der Bundestag das Gesetz, das Ärzte medizinische Cannabisprodukte einfacher verordnen lässt, die Kostenerstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen regelt und den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland in Aussicht stellt. Viele Ärzte kommen nun erstmals näher mit der Frage in Kontakt, welchen Patienten sie medizinisches Cannabis in Deutschland verordnen können oder sollen und welche Vorteile dies kranken Menschen bringen kann. Diese Fragen sollen in diesem Artikel beantwortet werden.
Rechtliche Grundlagen der medizinischen Verwendung

Mit dem Gesetzesbeschluss wurden die rechtlichen Grundlagen für die Verschreibung von medizinischem Cannabis vereinfacht. Nun können auch Cannabisblüten oder cannabishaltige Rezepturarzneimittel über ein Betäubungsmittelrezept (BtM-Rezept) verordnet werden. Das vorherige Einholen einer Ausnahmegenehmigung bei der Bundesopiumstelle (BfArM), wie es bislang nötig war, entfällt damit. Nicht geändert hat sich die Möglichkeit der Verschreibung von cannabinoidhaltigen Arzneimitteln, wie sie als Fertigarzneimittel teilweise schon längere Zeit apothekenpflichtig verordnet werden konnten.

Folgende fünf Aspekte sind neu (aus "Cannabis, Verordnungshilfe für Ärzte"):

Verschreibungspflichtige Medikamente
Cannabisblüten und Extrakte aus Cannabis sind ein verschreibungsfähiges Medikament in Anlage III des Betäubungsmittelgesetzes. Niedergelassene Ärzte Cannabisblüten und -extrakte können von jedem niedergelassenen Arzt verschrieben werden, nicht jedoch von Zahnärzten und Tierärzten. Verpflichtete Begleiterhebung Ärzte müssen an einer nichtinterventionellen Begleiterhebung teilnehmen und darüber den Patienten informieren. Die Datenübermittlung erfolgt in anonymisierter Form an das BfArM. Näheres regelt das Bundesgesundheitsministerium. Kostenübernahme Die Kosten einer Behandlung mit cannabisbasierten Medikamenten wie Sativex® und Dronabinol sowie von Cannabisblüten und -extrakten aus Cannabisblüten sollen unter bestimmten Voraussetzungen von den Krankenkassen übernommen werden. Staatliche Cannabisagentur In Deutschland soll ein kontrollierter Cannabisanbau unter der Aufsicht einer Cannabisagentur organisiert werden

Vor einer Verordnung muss der Arzt jedoch die Frage der Kostenübernahme durch die Krankenkasse klären. Die Krankenkasse darf die Genehmigung nur in begründeten Fällen ablehnen. Welche Voraussetzungen für eine Ablehnung gegeben sein müssen, ist im Gesetz nicht genauer spezifiziert. Die Krankenkasse hat drei Wochen Zeit, um eine Entscheidung zu fällen. Soll die Behandlung mit Cannabis im Rahmen einer Palliativbehandlung erfolgen, muss eine Entscheidung innerhalb von drei Tagen getroffen werden.

Therapeutisches Potential von Medizinalhanf

Der erste Nachweis einer medizinischen Anwendung der Hanfpflanze geht auf das Jahr 2.700 vor Christus zurück. In einem chinesischen Heilkundebuch wird die Anwendung von Cannabis bei Gicht, Frauenkrankheiten und Rheumatismus beschrieben.

Ende des 19. Jahrhunderts vertrieb die Firma Merck mehrere Medizinalhanfprodukte. Sie wurden unter anderem eingesetzt bei Schmerzen, Anfallsleiden, Krämpfen, Depressionen, schlechtem Appetit, Übelkeit und Erbrechen. Viele dieser Symptome oder Krankheitsbilder stehen auch heute wieder im Fokus der Wissenschaft.

Glutamat GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) Glycin Noradrenalin Serotonin Dopamin Acetylcholin Neuropeptide (Endorphine, Enkephaline)

Ein wichtiger Meilenstein war die Entdeckung des Endocannabinoidsystems im Jahr 1988. Die Erkenntnis, dass es körpereigene Rezeptoren für Cannabinoide gibt, legte nahe, dass es auch körpereigene Cannabinoide geben müsse, die an diese Rezeptoren binden. Inzwischen weiß man, dass die klinischen Wirkungen von Cannabismedikamenten in der Mehrzahl auf die Aktivierung der endogenen Cannabinoidrezeptoren zurückzuführen sind.

Bisher kennt man zwei Rezeptoren, die für die Regulation des Systems von Bedeutung sind: CB1 und CB2. Die Hauptfunktion des Endocannabinoidsystems besteht darin, die Freisetzung anderer Neuortransmitter (Botenstoffe) zu hemmen. Eine Reihe bedeutender Neurotransmittersysteme des Körpers werden durch das Endocannabinoidsystem beeinflusst oder gesteuert:

Eine Vielzahl von Krankheiten steht mit diesen Neurotransmittersystemen in Zusammenhang, werden durch Störungen oder Fehlregulationen verursacht. Cannabinoide aus der Hanfpflanze (THC und CBD) sowie synthetisch hergestellte Cannabinoide wie Dronabinol (synthetisch hergestelltes THC) oder Nabilon (synthetisch hergestelltes Cannabidol CBD) sind daher potenziell in der Lage, auf die Steuerung dieser Systeme und der Krankheiten einzuwirken.

Etablierte Indikationen für den Einsatz von Cannabis und Cannabinoiden
  • Übelkeit und Erbrechen bei Krebschemotherapie
  • Appetitlosigkeit und Kachexie bei Krebs- oder HIV/Aids-Patienten
  • neuropathische und chronische Schmerzen
  •  Spastik bei multipler Sklerose

Das therapeutisch nutzbare Potenzial von Cannabis und Cannabinoiden ist klinisch bewiesen, jedoch weitgehend unerforscht. Cannabis hat ein breites therapeutisches Spektrum. Dies beruht auf der Modulation des Endocannabinoidsystems, das alle anderen Neurotransmitter moduliert. Alleine in Deutschland litten die Patienten, die in den Jahren 2007 bis 2016 eine Ausnahmeerlaubnis der Bundesopiumstelle für eine ärztlich begleitete Selbsttherapie mit Cannabisblüten erhielten, an mehr als 50 verschiedenen Erkrankungen und Symptomen.

  • Epilepsie: insbesondere bestimmte genetisch bedingte Formen der Epilepsie, wie Dravet-Syndrom und Lennox-Gastaut-Syndrom
  • Angststörungen
  • Depressionen
  • schizophrene Psychosen
  • Entzündungen und entzündlich bedingte Schmerzen
  • Bewegungsstörungen: Dystonie, Dykskinie
  • Abhängigkeit von THC, Nikotin und Opiaten
  • Übelkeit und Erbrechen

Bekannte Indikationen für die Verordnung cannabisbasierter Medikamente sind:

Das therapeutische Potenzial von Cannabidiol ist ebenfalls evident. Für Cannabidiol kommen unter anderem folgende medizinische Einsatzgebiete infrage:

Medizinische Cannabisprodukte

Durch die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes und die Verschreibungsverordnung können nun auch Cannabisblüten und Cannabisblütenextrakte verordnet werden. Die bisher gängigen Medikamente auf synthetischer Basis haben weiterhin ihre Berechtigung. In diesem Absatz erhalten Sie einen Überblick über die Medikamente, die für eine Cannabis Therapie und Cannabis Behandlung infrage kommen:

Dronabinol: eine THC-haltige ölige Lösung in verschiedenen Konzentrationen, aus denen auf ärztliche Anweisung hin Rezepturarzneimittel für die orale Einnahme hergestellt werden können. Einige Apotheken stellen aus den Cannabistropfen auch Kapseln her.

Sativex®: das einzige in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol. Es handelt sich hierbei um ein Cannabisvollextrakt, das per Sprühstoß eingenommen wird.

Canemes®: Mit Canemes ist seit Januar 2017 ein nabilonhaltiges Fertigarzneimittel in Kapselform verfügbar. Nabilon ist ein vollsynthetisch hergestelltes, dem THC ähnliches Cannabinoid.

Cannabisblüten und Extrakte von Cannabis: Für eine ärztliche Verschreibung stehen Cannabisblüten mit unterschiedlichen Gehalten an THC und CBD zur Verfügung. Extrakte aus Cannabisblüten gibt es von verschiedenen Herstellern.

Cannabisblütenextrakte: Diese Form wird bisher zur oralen Verwendung alleine von der Firma Bionorica Ethics angeboten.


Da es aufgrund der verstärkten Nachfrage von Cannabis als Arzneimittel derzeit zu Engpässen kommt, ist davon auszugehen, dass demnächst weitere Lieferanten und Importeure zum Beispiel aus Kanada und den Niederlanden eine Zulassung für den deutschen Markt erhalten.

76,7 % gaben an, die Einnahme von Opioiden seit der Verwendung von medizinischem Cannabis reduziert zu haben. 71,8 % reduzierten die Einnahme von Medikamenten gegen Angststörungen 66,7 % reduzierten die Einnahme von Medikamenten gegen Migräne 65,2 % reduzierten die Einnahme von Medikamenten gegen Schlafstörungen 37,6 % reduzierten die Einnahme von Antidepressive 42,0 % reduzierten ihren Alkoholkonsum.

Pro Cannabis: Reduzierte Einnahme anderer Medikamente

Ein Entscheidungskriterium, ob für bestimmte Patienten Medizinalhanf in Frage kommt, könnte die aktuelle Medikation sein. Eine Onlineumfrage mit 1513 Patienten untersuchte die Einnahme verschiedener Medikamente in der Vergangenheit. Dabei zeigte sich, dass eine große Anzahl an Patienten die Verwendung verschiedener Medikamente reduzierte, nachdem sie medizinisches Cannabis erhalten hatten.

Diese ersten Ergebnisse geben Hinweise darauf, dass medizinischer Cannabis die Ausprägung von Krankheitssymptomen für den Patienten merklich beeinflussen kann. Weitere Untersuchungen sind notwendig.

Medizinisches Cannabis ist Therapie und keine Droge

Die Wirkungen der Hanfpflanze resultieren nicht daraus, dass der Patient in einen Rauschzustand gerät, in dem er seine Schmerzen/Beschwerden nicht mehr wahrnehmen kann. Die Cannabinoide, allen voran THC und CBD, wirken über das Endocannabinoidsystem an ganz gezielten Stellen im Körper. Regelkreise und Neurotransmitterausschüttungen oder -hemmungen werden spezifisch gesteuert.

Abhängig vom verwendeten cannabishaltigen Medikament oder der Cannabissorte und mittels der Dosierung kann die Wirkung beeinflusst werden. Die Dosierungen bewegen sich nach der Titrierung zu Beginn der Therapie auf einem Niveau, das keinen Rauschzustand entstehen lässt. Die psychotropen Effekte, die beim Freizeitkonsum angestrebt werden, entfallen.

Im Rahmen einer Cannabistherapie sind auch Entzugssymptome sehr selten, das Risiko dafür gering. Cannabis kann im Rahmen der erwähnten Indikationen einen therapeutischen Nutzen haben. Da jeder Mensch anders auf Cannabis reagiert, ist eine Einstellung auf ein passendes Medikament, eine geeignete Cannabissorte und die passende Dosierung, wie bei vielen anderen Medikamenten auch, nur durch Ausprobieren herauszufinden.


Quellen:

Cannabis - Verordnungshilfe für Ärzte, ISBN 978-3-8047-3628-3 BfArM Bundespoiumstelle Piper BJ et al. Substitution of medical cannabis for pharmaceutical agents for pain, anxiety, and sleep. J Psychopharmacol. 2017 May;31(5):569-575. doi: 10.1177/0269881117699616. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/28372506

Umfangreiche Informationen zu Cannabis als Medizin finden sich auch auf den Seiten der Internationalen Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin IACM.


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