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Brasilien: Kampf um das Erbe der Manns

Das Elternhaus Julia Manns, der Mutter der Schriftsstellerbrüder, steht in Brasilien. Der Verein "CasaMann" will die Kolonialvilla zum Kulturzentrum machen. Doch unklare Eingentumsrechte verhindern das - seit 17 Jahren.


Romantisch thront die weiße Villa mit den blau gestrichenen Fensterrahmen am Hang, wenige Meter über ihrem eigenen kleinen Sandstrand. Sie ist umgeben von den Palmen des atlantischen Regenwalds, und ihr rotes Ziegeldach ist bewachsen mit Moos und tropischen Aufsitzerpflanzen.


Nur wenige Literaturliebhaber wissen um die historische Bedeutung der "Fazenda Boa Vista": In dem alten Anwesen an der malerischen Bucht der Kleinstadt Paraty wuchs Julia Mann auf, die Mutter von Thomas und Heinrich Mann.


Jahrzehntelang lang schien sich niemand für das brasilianische Vermächtnis der Familie Mann in der Tourismus-Destination, 260 Kilometer entfernt von Rio de Janeiro, zu interessieren: An der romantischen Villa mit der paradiesischen Lage zwischen Meer und grüner Küste nagt sichtbar der Zahn der Zeit. Dabei wollen seit nunmehr 17 Jahren Kulturschaffende aus Deutschland und Brasilien die Heimat von Julia Mann in ein Kulturzentrum verwandeln.


Gebundene Hände


"Wir stehen in den Startlöchern", erklärt Johannes Kretschmer, Professor für Literatur an der Universidade Federal Fluminense im Bundesstaat Rio de Janeiro. Kretschmer ist einer der Wortführer des brasilianischen Ablegers vom Verein "CasaMann", der bereits in den 90er-Jahren von Frido Mann, dem Enkel von Thomas Mann, gegründet wurde.


Sowohl das brasilianische Kulturministerium als auch die Stadt Paraty, namhafte Literaturwissenschaftler, der Verein "CasaMann" und das deutsche Konsulat in Rio de Janeiro unterstützen das Projekt.

Doch noch immer stoppt ein Jahre alter Rechtsstreit den Start des deutsch-brasilianischen Kulturprojektes. In dem Verfahren geht es um die ungeklärten Eigentumsverhältnisse der Fazenda Boa Vista. "Es passierte immer wieder, dass jemand kam und behauptete, das Haus gehöre ihm", erklärt Frido Mann.


Der Göttinger Schriftsteller und Psychologieprofessor ist der Enkel des Nobelpreisträgers Thomas Mann. Und er war der Erste der Mann-Dynastie, der in Brasilien nach den Wurzeln seiner Urgroßmutter forschte. Er wollte schon in den 90er-Jahren "ein nach Julia Mann benanntes eurobrasilianisches Kulturzentrum gründen". 2008 zog er sich nach jahrelangem Einsatz aus dem Projekt zurück.


Geliebte Heimat


Die "Fazenda Boa Vista" gehörte einst zu den luxuriösesten Anwesen der damals wohlhabenden Hafen- und Kolonialstadt Paraty. Mitte des 19. Jahrhunderts lebten dort der Lübecker Kaufmann Johann Hermann Bruhns und seine brasilianische Ehefrau Maria Luiza da Silva. Die Familie war durch den boomenden Kaffeehandel zu Wohlstand gelangt.


Julia Mann (1851 - 1923), genannt "Dodo", kam dort als viertes von insgesamt fünf Kindern im Jahr 1851 auf die Welt. Insgesamt sechs Jahre verbrachte sie in ihrer tropischen Heimat "zwischen Meer und Urwald, zwischen Affen und Papageien", wie sie in ihren Memoiren "Aus Dodods Kindheit" schreibt. Doch nach dem frühen Tod ihrer Mutter wurde sie 1857 ins ferne Lübeck zu Verwandten gebracht.


Für Julia Mann war dies der Beginn einer langen Leidensgeschichte. Die Tochter des Lübecker Kaufmanns liebte ihre brasilianische Heimat. Sie nahm ihre Erinnerungen, die sie später in ihren Memoiren niederschrieb, ins kalte Lübeck mit: Ihre nie gestillte Sehnsucht nach ihrer tropischen Heimat in Südamerika prägte auch ihr Leben in Deutschland.

Die Leidensgeschichte scheint sich bei ihrem Geburtshaus zu wiederholen. Noch immer stehen die alten Schnaps-Fässer hinter den verzogenen Holztüren. Im Obergeschoss dringen Sonnenstrahlen durch das löchrige Dach und übersäen die Holzdielen mit hellen Punkten. Lange werden Dach und Balken der drückenden Urwaldluft wohl nicht mehr standhalten können.


Engagierte Sponsoren


An interessierten Geldgebern für die unter Denkmalschutz stehende Villa mangelt es nicht. Nach Angaben des Vereins "CasaMann" hat Nikolaus Gelpke, Inhaber des Hamburger Mare-Verlags, angekündigt, er könne die 2,5 Millionen Euro aufbringen, die der Kauf und eine Renovierung der verfallenen Fazenda kosten würden. „Bereits seit Jahren hat er den Wunsch, solch ein Haus am Meer zu besitzen, um dort Schriftsteller mit Stipendien zu beherbergen", erzählt Dieter Strauss, Koordinator des Vereins "CasaMann".


Von der Veranda des Anwesens fällt der Blick auf die Jachten in der Bucht von Paraty

Frido Mann fügt hinzu: "Gelpke will dort etwas machen, was unseren Zielen entspricht. Wir werden bestimmt in irgendeiner Weise dort einsteigen." Das Auswärtige Amt stellt dem Projekt eine finanzielle Hilfe von 200.000 Euro, gestreckt über drei Jahre, in Aussicht.

Doch noch ist der Rechtsstreit um das Grundstück zwischen dem deutsch-brasilianischen Unternehmer Oscar Muller und dem Antarktissegler Amyr Klink, der einen Jachthafen auf dem Küstengelände betreibt, nicht beendet. Der Gerichtsentscheid aus Brasilia steht bis heute aus.


Dieter Strauss vom Verein "CasaMann" will nicht aufgeben: "Ich kann nur hoffen, dass es sich doch noch zum Guten wendet. Seit 17 Jahren hoffen wir und waren immer mal nahe dran", erklärt er. Auch Literaturkenner Johannes Kretschmer gibt sich optimistisch: "Wir werden auch in diesem Jahr kurz vor dem internationalen Literaturfestival im Juli wieder ein Kolloquium in Paraty zu Thomas Mann veranstalten", kündigt er an. "Der Moment für eine Einigung könnte günstiger nicht sein."

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