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Bloggen über die Armut

Erst hat sie die Heizung abgedreht. Im Dezember.

Dann hat sie die Möbel vor die Heizkörper geschoben, damit sie nicht ständig daran erinnert wird, dass es in ihrer Wohnung Heizkörper gibt.

Sie hat ihre Armbanduhr verkauft, ihr iPhone auch. Ein altes Nokia-Handy, das sie in einer Schublade wieder fand, wurde ihr neuer alter Begleiter.

Zum Frühstück bekommt ihr zweijähriger Sohn Weetabix. Mit Wasser, nicht mit Milch. Sie selbst? Frühstückt gar nicht mehr.

Was Jack Monroe in ihrem Blog "A Girl called Jack" schreibt, schockiert. Sie gehört zur steigenden Zahl von Briten, die in Blogs berichten, wie sie die Wirtschaftskrise des Landes und die damit einhergehenden Sozialkürzungen der britischen Regierung getroffen hat. "Austerity-Blogger" nennen sie sich, viele von ihnen sind gut vernetzt.

Mit der Wirtschaftskrise kamen massive Sozialkürzungen. Seriöse Schätzungen gehen davon aus, dass allein 2012 im öffentlichen Dienst 300.000 Stellen gekürzt wurden. So bleiben Anträge liegen, Wohngeld und Sozialhilfe werden nicht oder fehlerhaft bezahlt.

So wie bei Jack Monroe, die von heute auf morgen ihren Job verlor, aber von ihrer Gemeinde völlig im Stich gelassen wurde. 670 Pfund an Miete soll sie zahlen, das Amt hat ihr aber nur 438 Pfund überwiesen. Ohne Begründung, ohne Bescheid. Wohl ein Fehler.

Mehr als 6.000 Mal wurde allein dieser Blogeintrag auf Facebook geteilt, in dem sie ihre Lage und die Ausweglosigkeit schildert. Aber Jack Monroe beklagt keineswegs nur ihre eigene Lage. Sie gibt Tipps, wie man von ganz wenig Geld leben kann. Nur 5 Pfund, umgerechnet 6 Euro, hatte sie in den schlimmsten Zeiten für sich und ihren Sohn in der Woche zur Verfügung, um sich zu ernähren. Kann man von 6 Euro eine erwachsene Frau und ein kleines Kind ernähren? Man kann, aber es ist nicht ganz einfach, schreibt Monroe in ihrem Blog. Dazu veröffentlicht sie die Gerichte, die sie für sich kocht und erläutert in den Rezepten, wie sie die Kosten reduziert hat. Ihre Rezepte verbreiten sich rasant online. Es gibt viele Menschen, die das Schicksal der jungen Mutter teilen.

Dabei trifft die Armut keineswegs nur Arbeitslose. Bernadette Horton ist eine Mutter von vier Kindern und bloggt von der "Armutsfront", wie sie selber sagt. Sowohl sie selbst als auch ihr Mann arbeiten, dennoch ist das Geld oft knapp, denn ihr Einkommen ist niedrig. Sie leben im wirtschaftsschwachen Norden von Wales. Ihre beiden älteren Kinder arbeiten auch, aber haben befristete Verträge oder so genannte "0-Stunden-Verträge". Das heißt sie haben zwar einen Arbeitsvertrag, aber wenn der Arbeitgeber sie nicht braucht, kann er sie einfach nach Hause schicken und muss sie nur bezahlen, wenn sie arbeiten.

"Unser Wohnzimmer braucht einen neuen Teppichboden, unser Bad müsste modernisiert werden, unsere Gartenmauer ist bei den letzten Stürmen zusammengebrochen und muss neu gebaut werden und auch die Hausfassade braucht einen neuen Anstrich - nichts, was wir uns leisten können", schreibt sie in ihrem Blog "Mum v Austerity". "Wie lange dauert es noch, bis wir unsere Rechnungen nicht mehr zahlen können von unseren niedrigen Gehältern oder bis wir unser Essen drastisch reduzieren müssen und Urlaub etwas aus der Vergangenheit ist?".

Bernadette Hornton schreibt sich ihren Frust von der Seele und stellt gleichzeitig politische Forderungen. Die Labour-Partei, die sich seit dem Wahlerfolg Camerons in der Opposition befindet, trat mit ihr in Kontakt und seitdem ist sie überzeugt, dass sie nicht nur für sich, sondern für alle Menschen bloggt, die zu den "arbeitenden Armen" gehören, wie sie sie nennt. Sie glaubt fest daran, mit dem Bloggen politisch etwas erreichen zu können.

Daran glaubt auch Kaliya Franklin. In ihrem Blog "Benefits scrounging scum" (übersetzt etwa: Sozialhilfe schnorrender Abschaum), eine Anspielung auf die Wortwahl einiger britischen Zeitungen über Hilfeempfänger, beschreibt sie, wie die Einschnitte sie als behinderte Frau, aber auch andere treffen. Sie machte den Fall von Karen Sherlock bekannt, die erst aufgrund ihrer schlechten Gesundheit ihren Job verlor, weil ihr Arbeitgeber sie für nicht mehr arbeitsfähig hielt. Als sie daraufhin Erwerbsunfähigkeitsrente beantragte, folgte ein jahrelanger Kampf mit den Behörden.

Dass ihr Antrag am Ende bewilligt wurde, hat Karen Sherlock nicht mehr erlebt. Sie starb wenige Tage, bevor der Bescheid einging. Dafür, dass sie Fälle wie diese bekannt macht, wurde Kaliya Franklins Blog 2012 für den Orwell-Preis nominiert. "Ich will dem Image, dass behinderte Menschen Sozialhilfeschnorrer sind, wie es seit den Kürzungen in vielen britischen Zeitungen zu lesen ist, einfach etwas entgegensetzen", sagt Franklin.

Während die einen aus purer Not sparen, entdecken andere eine sparsame Lebensweise als ihren persönlichen Stil. "Frugal-Blogger" haben die "Geiz ist geil"-Mentalität für sich entdeckt und geben sich geldwerte Tipps, wie man noch mehr sparen kann. Wer braucht schon eine Zentralheizung, wenn man doch genauso gut mit Holz heizen kann? Wer braucht Gesichtscreme eines Markenherstellers, wenn Discounter Gesichtscreme für ein Bruchteil des Markenprodukts im Angebot haben? Auch ausgedehnte Duschgänge müssen nicht sein, wenn der Körper schon nach drei Minuten sauber ist. Es gibt tausende dieser Tipps, die Frugal-Blogger online teilen.

Jane Batt merkte irgendwann, dass sie und ihr Mann völlig über ihre Verhältnisse gelebt hatten. 45.000 Pfund (rund 54.000 Euro) Schulden hatten sich angesammelt, keine Bank wollte ihnen mehr einen Kredit für ihr kommerzreiches Leben geben. In ihrem Blog "Frugal Queen" beschreibt sie, wie sie es innerhalb weniger Jahre schaffte, schuldenfrei zu werden. Heizung abdrehen, Wasser reduzieren und Lebensmittelpreise vergleichen gehörten dazu. Und obwohl die Schulden unterdessen abbezahlt sind, ihre neue Lebensweise hat sich nicht geändert.

Nicht aus der Not, sondern aus historischem Interesse heraus bloggt Kara McAlister. Die Amerikanerin lebte eine Weile in London, unterdessen bloggt sie aus Prag. Ihr Weblog " Austerity and Prosperity" widmet sich den von Not und Mangel geprägten Gerichten des Zweiten Weltkrieges. "Lebe sparsam, grün und glutenfrei - alles im Geiste der Heimatfront" ist das Motto ihres Blogs.

Eigentlich wollte sie nur Gerichte aus Kriegszeiten mit ihrer Schwester teilen, bis sie auf die Idee kam, das in einem Blog zu tun. Sie konzentriert sich dabei vor allem auf die britische Küche zu Kriegszeiten: "Da gab es nichts Besonderes, vor allem Kartoffeln und Kohl, aber auch einfache Wurst. Knoblauch und andere Gewürze gab es nicht." Dennoch mag sie die Gerichte von damals, vor allem deshalb, weil sie vielfach glutenfrei waren und sie sich so ernähren muss. "Und die anderen fünf Leute in unserem Haushalt haben sich auch noch nicht beschwert", schmunzelt sie.

Für Jack Monroe, hat sich ihr Bloggen über die Armut gelohnt und sie sogar aus der Armut heraus befördert. Die BBC wurde auf sie aufmerksam und ging der Frage nach, ob man wirklich von 5 Pfund in der Woche leben kann. Ein Ernährungswissenschaftler musste ihr zwar mitteilen, dass ihre Rezepte nicht kalorienreich genug sind, weder für sich noch für das Kind, aber das hinderte einen renommierten Buchverlag nicht daran, sie als Kochbuchautorin zu engagieren. Im Februar erschien ihr Buch. Auch andere Medien wurden auf sie aufmerksam. Sie bloggt unterdessen gegen Geld und auch einen Werbevertrag brachte ihr das Bloggen ein. Zu Weihnachten war sie in einem Werbespot einer großen britischen Supermarktkette zu sehen - in dem sie jetzt auch endlich wieder richtig einkaufen kann.

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