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Chinas verborgener Riesenschuldenberg

Böses Erwachen: China, der vermeintliche Retter für Europas Schuldenstaaten, hat in seinen Provinzen selbst einen riesenhaften Schuldenturm aufgestapelt. Jetzt muss die Zentralregierung eingreifen, um eine Kernschmelze im eigenen Hinterland zu verhindern. Für Europa könnte kein Geld übrig bleiben.

Erschienen 21.12.2011 auf manager magazin Online

Peking - Hu Fulin ist wieder da. Seine Produktionsstraßen laufen, und die meisten früheren Arbeiter stehen wieder am Band. Fast so, als wäre nie etwas gewesen. Hus Firma Center Group hat gerade noch einmal die Kurve gekriegt. Ende September war Privatunternehmer Hu in die USA geflohen, denn zwei Milliarden Yuan Schulden, das sind umgerechnet 234 Millionen Euro, lasteten auf seiner Sonnenbrillenfirma in der Küstenstadt Wenzhou.

Und noch schlimmer: 1,2 Milliarden Yuan davon hatte Hu sich bei illegalen privaten Geldverleihern gepumpt, zu teils horrenden Zinsen. Als er diese nicht mehr zahlen konnte, zog Hu die Reißleine und tauchte ab. So wie Dutzende weitere Unternehmer in Wenzhou, das als Chinas Hochburg privaten Unternehmertums gilt. Zwei Schuhfabrikanten sprangen gar in den Tod. Andere Firmen gingen einfach nur pleite. Und so stand plötzlich eine Kreditkrise der Privatfirmen im Rampenlicht, die sich bis dahin praktisch unbemerkt aufgebaut hatte - nicht nur in Wenzhou. Der Grund: Chinas Banken sind weitgehend in Staatshand und vergeben ihre Kredite vorwiegend an große Aktien- oder Staatsunternehmen.

Seit Jahren also wandten sich Privatfirmen an obskure Geldverleiher oder liehen einander sogar gegenseitig Geld. Sie schufen somit im ganzen Land ein florierendes System an Schattenbanken. Deren Zinsen liegen nach Angaben des Wenzhouer Verbands für Kleinunternehmer oft bei rund 8 Prozent, manchmal aber auch bei 70 bis 80 Prozent.

Schuldenberg in Höhe von 27 Prozent des Bruttoinlandsprodukts

Die Center Group finanzierte auf diese Weise etwa den kostspieligen Einstieg in die Produktion von Solarzellen. Jetzt hilft die Lokalregierung der Firma bei der Erneuerung. Doch das Ganze ist noch lange nicht vorbei. "Kurz vor dem chinesischen Neujahr am 23. Januar kommt noch einmal eine sehr schwierige Phase", warnt Zhou Dewen, Vorsitzender des Wenzhouer Kleinunternehmerverbands. "Denn vor dem Neujahr müssen die meisten Chinesen ihre Schulden tilgen."

Weit weg vom kriselnden Europa braut sich in China derzeit eine ganz eigene Finanzkrise zusammen. Ausgerechnet in jenem Land, auf dass die Krisenstaaten der Europäischen Union (EU) besonders große Hoffnungen setzen. Die Kreditklemme der Kleinfirmen und die Schattenbanken sind nur eines der Hauptprobleme. Mindestens genauso schwer wiegt ein riesenhafter Schuldenberg, den Chinas Lokalregierungen in den vergangenen zwei Jahren quer durchs Land angehäuft haben - laut offiziellen Daten in Höhe von sagenhaften 10.700 Milliarden Yuan. Das sind gut und gerne 1200 Milliarden Euro, und entspricht etwa 27 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Und der Schuldenberg ist auch noch das Ergebnis chinesischer Wirtschaftspolitik.

Pekings Zentralregierung hatte die Kommunen in der Wirtschaftskrise ab 2009 ermutigt, auf Pump Infrastrukturprojekte zu bauen, um die Wirtschaft zu stützen. "Die Defizite vieler chinesischer Provinzen sind höher als jenes von Griechenland", sagt der Hongkonger Ökonom Ben Simpfendorfer. In den reichen Küstenprovinzen liege das Defizit zwar nur bei 3 Prozent. In den ärmeren Regionen Zentral-, Nord- und Westchinas aber seien es im Schnitt 14 Prozent - gegenüber 10 Prozent in Griechenland.

Chinas Zentralbank geht davon aus, dass 13 Prozent dieser Schulden nicht zurückgezahlt werden können. Unabhängige Ökonomen halten das eher für optimistisch. Tao Wang von der Schweizer Bank UBS rechnet damit, dass 20 bis 30 Prozent der Kredite notleidend sind - mit möglicherweise gravierenden Folgen für das Bankensystem. Peking werde die Staatsbanken mit Milliarden rekapitalisieren müssen, glaubt Ben Simpfendorfer. "Das ist zwar nicht schön, aber dadurch ist immerhin ein Bankenkollaps unwahrscheinlich", sagt Wang.

Schattenbanken übernehmen das Kommando
Angesichts solcher Schwierigkeiten hält sich Chinas Appetit auf selbstlose Investitionen in Europa in engen Grenzen. China solle nicht als einzige Wachstumslokomotive der Welt betrachtet werden, sagte kürzlich Lou Jiwei, Chef des umworbenen Staatsfonds CIC. 410 Milliarden Dollar hätte Lou zu vergeben - theoretisch. Doch statt diese in Euro-Staatsanleihen zu pumpen, würde er seine Devisen lieber direkt in Infrastrukturprojekte in Europa oder den USA stecken, schrieb Lou in der Financial Times: "Europa und die USA müssten dringend in ihre Infrastruktur investieren." Er wolle dazu mit Großbritannien verhandeln.

Viele heimische Politiker und Akademiker fordern ohnehin, China solle lieber zuhause Geld in die Hand nehmen, als den Europäern unter die Arme zu greifen. Und Geld brauchen neben den Banken auch die klammsten Lokalregierungen sowie die hochverschuldeten Privatunternehmen.

Ministerpräsident Wen Jiabao reiste im Oktober persönlich nach Wenzhou und versprach dort Finanzhilfen und Kreditreformen zugunsten der Privatfirmen. In der Stadt sind seither Notmaßnahmen angelaufen. Die Lokalregierung legte eine Art Rettungsfonds über eine Milliarde Yuan für Firmen auf, die dringend Geld für Zinszahlungen brauchen. Die Banken der Stadt bekamen vom Staat im Oktober fünf Milliarden Yuan zugeschossen.

Bis Jahresende sollen zehn bis 15 Agenturen aufgebaut werden, die Kleinkredite zu angemessenen Konditionen vergeben. "Die ganze Gesellschaft versucht zu helfen, und so gibt es erste positive Effekte. Zum Beispiel vergeben unsere Banken mehr Kredite an Kleinfirmen", sagt Zhou Dewen. Das brachte auch Hu Fulin in die Heimat zurück. Die Center Group beschäftige schon wieder 1500 Arbeiter, frohlockte China-Center-Sprecher Huang Hui gegenüber lokalen Zeitungen. Davon seien 80 Prozent schon vor Hus Flucht dabei gewesen. Damals hatte die Firma noch 3000 Mitarbeiter.

Niedrige Zinsen sollen klamme Lokalregierungen stützen

"Die Gehälter werden bezahlt, einige Arbeiter wurden sogar befördert. All das hat das Vertrauen in die Firma gestärkt", sagt Verbandschef Zhou. "Ich weiß, dass die Firma genug Aufträge für das nächste Jahr hat. Trotzdem wird es dauern, bis sie ihre Schwierigkeiten wirklich überwunden hat." Laut Zhou hat etwa eine Handvoll Firmen den Schritt vom Abgrund zurück in die Produktion geschafft. 15 geflüchtete Unternehmer seien zurückgekehrt. Die Krise sei aber erst vorbei, wenn ihre Ursachen beseitigt sind, ist Zhou überzeugt.

Die Ursache ist einerseits das Bankensystem, das die Staatsfirmen begünstigt. Parallel hat eine Gemengelage aus Krise und Konjunkturprogrammen zum enormen Anschwellen des Schattenbanksystems beigetragen: Peking hatte seit 2010 die Zinsen trotz steigender Inflation so niedrig wie möglich gehalten - unter anderem, um die klammen Lokalregierungen zu stützen, denen die Regierung ja in der Krise eigens Anreize zum Bau von Infrastruktur gesetzt hatte.

Das Problem: Dadurch lag der Sparzins der Banken oftmals unterhalb der Inflationsrate. Und so lockten Untergrundbanken frustrierte Sparer mit Hochzinsangeboten an. Deren Einlagen können sie wiederum zu noch höheren Zinsen an Firmen verleihen. Nach Recherchen von China Confidential, stellt das Schattenbankwesen der Wirtschaft inzwischen mehr Geld zur Verfügung als die offiziellen Kreditinstitute. Die Zentralbank schätzt das Volumen aller Schattenkredite auf 3380 Millionen Yuan (umgerechnet 397 Milliarden Euro). Das entspräche 20 Prozent aller ausstehenden Kredite Chinas.

Konjunkturpolitisch setzt Peking weiter auf Wachstumsförderung und eher niedrige Zinsen - der Zyklus ist also schwer zu durchbrechen.

Schattenbankensystem schwillt weiter an
Nötig ist die von Wen Jiabao versprochene Kreditreform. Doch dazu gibt es bisher wenig Informationen. Laut der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua prüft die Zentralbank Maßnahmen zur Legalisierung privaten Geldverleihs. Geplant sei, deren Zinsen auf das Vierfache von Bankzinsen zu begrenzen, zitiert die Agentur einen Zentralbanker.

Auch am Entstehen der Schuldenberge der Lokalregierungen hatten informelle Kreditkanäle große Anteile. Peking setzt seit Jahren Quoten zur Kreditaufnahme fest. Während der Krise waren diese für die Lokalbehörden zwar lockerer gestrickt - aber die Limits wurden trotzdem vielfach ausgeschöpft. Und dann gründeten die Städte eben lokale Finanzierungsgesellschaften, die nicht den strengen Auflagen der Zentralregierung unterlagen und noch mehr Geld leihen durften.

Rund 10.000 dieser Finanzvehikel gibt es heute in China. Künftige Zahlungsströme sollten ihre Schulden tilgen. Doch viele Projekte wurden in der Krise hektisch geplant, ohne dass jemand vorab ihren Nutzwert ermittelte. Das gelte vor allem für den Transportsektor, kritisiert Lu Dadao, einflussreicher Wirtschaftsgeograph der Akademie der Wissenschaften. "Lange Passagen von Autobahnen, die in Zentral- und Westchina gebaut wurden, sind meist leer und liegen nur in der Sonne", schimpfte Lu gegenüber der Wirtschaftszeitschrift Caixin. "Der Autobahnbau ist übermäßig gewachsen. Er ist völlig außer Kontrolle." Und ohne Mautgebühr fließt eben kein Geld an die Finanzvehikel zurück - wie es so schön geplant war.

85 Prozent der Finanzvehikel zahlungsunfähig

Viele von ihnen stehen daher jetzt vor großen Schwierigkeiten. In der Nordprovinz Liaoning etwa gelten laut Caixin 85 Prozent der Finanzvehikel als zahlungsunfähig.

Trotzdem betont die Bankenaufsicht CBRC bisher, dass die Regierung die Lage im Griff habe. Die Lokalbehörden hätten genug Vermögenswerte, die sie veräußern könnten, um sich Geld für die Schuldentilgung zu beschaffen. Zwischen Januar und Juli wurden lokale Staatsfirmenwerte in Höhe von 3,31 Milliarden Yuan verkauft - sprich privatisiert. Manche Lokalregierungen verkaufen zudem verstärkt Land. Außerdem startete China ein Pilotprogramm, das den Provinzen Guangdong, Zhejiang sowie Shanghai erlaubt, drei- bis fünfjährige Anleihen zu begeben.

Einen Anleihemarkt gibt es in China bisher praktisch nicht. Alle drei bereiten laut Medienberichten bereits Anleihen in Höhe von sieben bis acht Milliarden Yuan vor, um laufende Straßen- und Eisenbahnbauprojekte zu finanzieren, denen das Geld ausgegangen ist.

Angesichts dieser Erfahrungen im eigenen Land dürften sich Lou Jiwei und seine CIC-Manager in Europa zweimal überlegen, wohin sie ihr Geld stecken.

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