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Wie Bits und Bytes den Kunstmarkt revolutionieren

Wie Bits and Bytes den Kunstmarkt revolutionieren
Während der etablierte Kunsthandel noch halbherzig an seinem Webauftritt werkelt, arbeitet eine junge Generation an neuen digitalen Geschäftsmodellen.

Christiane Fricke, Hamburg
Ein bisschen wie Jesus sah Magnus Resch bei der Video-Promotion für seine Kunstmarkt-App aus, was kein Zufall war. Auf einem Esel ritt der Startup-Gründer von dannen, angetan mit gelber Öljacke und vom regnerischen Wetter zerzaustem Langhaar. Zuvor hatte er in einer chicen Galerie unter Beweis gestellt, dass man selbst als ahnungsloser Vernissage-Besucher mit seinem Wissen über das ausgestellte Exponat und seinen Preis glänzen kann.

„Take a photo. Know the Price!“, wirbt Resch auf der Website von Magnus.net. Kinderleicht ist die Anwendung für das iPhone, riesengroß die Datenmenge, die der in New York lebende Jungunternehmer dafür in den letzten Jahren einsammelte, unter anderem bei den Online-Datenbänken Artfacts.net und Artsy. Drei Galerien schritten nun wegen Verletzung der Urheberrechte ein, woraufhin Apple die „Magnus“-App aus dem Store entfernte.

Das Urheberrecht mag die von der Digitalisierung angestoßenen Entwicklungen auf dem Kunstmarkt behindern. Verhindern wird sie diese nicht. Zu groß ist der Aufholbedarf allein in Punkto Transparenz und Kundenfreundlichkeit. So sieht es auch der in Frankfurt ansässige Verleger und Kunsthändler Aurelio Fichter: „Noch ist der Kunsthandel die einzige Branche, die etwas anbietet, ohne einen Preis anzugeben“, kritisiert der Spezialist für die Kunst des späten 18 und 19. Jahrhunderts.

Weiter in die Zukunft blicken der Bundesverband Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG) und das Online-Netzwerk Independent Collectors mit ihrem im Sommer 2016 vorgestellten „Beta-Manifest zur Zukunft des Kunstmarkts“. These Nr. 1 zufolge wird die heute selbstverständliche Preishoheit der Galerien „nachhaltig in Frage gestellt“. Wolf Lieser, der in Berlin die auf digitale Kunstmedien spezialisierte DAM Gallery leitet, fürchtet sogar, dass die Galerie durch die globale digitale Vernetzung und die damit mögliche globale Recherche zum „Verkaufsladen“ wie im Buchhandel degradiert wird: „Es gibt keine Preishoheit in Zeiten des Internets, auch wenn noch so getan wird.“

Diejenigen, die es angeht, sind für die digitalen Herausforderungen noch unzureichend sensibilisiert. Da gibt es tatsächlich Antiquitätenhändler, die sich gerade erst die eigene Website zulegen. Viele andere widmen sich dem Thema Internet nur mit halbem Herzen. „Doch Digitalisierung hört eben nicht damit auf, dass ich eine Facebook-Seite aufmache“, sagt Thea Dymke, die für den BVDG das Beta-Manifest entwickelte.

Eigentlich braucht es gar nicht einmal so viel Phantasie, um sich die Erwartungen einer völlig anders sozialisierten Käuferschicht auszumalen. Es ist die Generation, für die das Netz ein selbstverständlicher Begleiter durch das Leben ist. Sie kauft im Internet ein, bietet online auf Auktionen mit, spielt mit Leidenschaft in der virtuellen Welt und kann sich deshalb auch für Virtual Reality-Kunst begeistern.

Anlässlich einer Erhebung für den Hiscox Online Art Trade Report 2016 gab annähernd die Hälfte der Befragten an, in den letzten zwölf Monaten Kunst online erworben zu haben. Zwar investierten 41 Prozent nicht mehr als 1.400 Euro. Doch Händler, die wie Fichter auf ihrem Fachgebiet Vertrauen und Ansehen erworben haben, tätigen online regelmäßig Verkäufe auch im Preisbereich zwischen 10.000 und 15.000 Euro.

Priska Pasquer (Köln) gehört zu den wenigen Galeristinnen, die sich auf die digitale Transformation von Kunst und Markt einstellen und diese unternehmungslustig mitgestalten. Das signalisiert sie bereits mit ihrem Schriftzug „art in a changing world“ auf ihrer Website. Eines ihrer schönsten Ausstellungsprojekte war die große Foto-Collage „Dialog“ von Rudolf Bonvie (2013). Sie kam durch die Interaktion mit Usern auf dem Blog-Portal Tumblr zu Stande. Überwiegend jugendliche Nutzer ließen sich von Bonvies Foto zweier, sich über eine Bettkante suchender Hände inspirieren und reagierten darauf mit eigenen Bildern.

Eine Art Think Tank hat sich die in Leipzig und Berlin ansässige Galerie Eigen + Art verpasst. Im Januar 2015 ging er unter der Leitung von Anne Schwanz und Johanna Neuschäffer als „Eigen + Art Lab“ an den Start. Seither probieren die beiden Galeristinnen aus, wie sich „unsere Online-Generation“ einfangen lässt. „Sich Frei-Denken von dem, was Norm ist“, nennen es die beiden Pionierinnen.

Erstaunliche Formate denken sich Schwanz und Neuschäffer aus: einen Wandertag auf Instagram etwa oder „Der Mitte-Cup 2016“, bei dem die Fußball-Teams Berliner Galerien, Künstler, Sammler und anderer Kunstinstitutionen gegeneinander antreten. Neuland wollen die beiden Galeristinnen auch innerhalb der Galerieräume betreten. „Ghost in the Machine“ hieß die jüngste, vom Künstler Carsten Nicolai zusammengetragene Ausstellung zum Thema Mensch – Maschine.

„Es gibt viele Wege, die wir nach außen gehen“, beschreibt Schwanz ihre Mission. „Auf diese Weise treffen wir auch auf Leute, die mit Kunst bislang gar nicht zu tun hatten.“

Wer einmal anfängt, sich mit den Veränderungen auf dem Kunstmarkt zu beschäftigen, stößt auf eine immer größer werdende Zahl neuer oder im Umbau begriffener Geschäftsfelder. Da werden Künstler zu Unternehmern in eigener Sache, Sammler zu Online-Kuratoren (Independent Collectors), Spediteure wie Klaus Hillmann müssen infolge des zunehmenden Onlinehandels neue Standards und günstigere Preise entwickeln und Kuratoren schreiben Programme, mit deren Hilfe sich die Verbreitung und Veränderung geistigen oder künstlerischen Eigentums im Internet nachverfolgen lässt („BlockChain“). Wieder andere entwickeln einen Roboter, der im Dialog mit einem Museumsführer behinderten Menschen von ihrem Zuhause aus einen Ausstellungsbesuch ermöglichen (im Special Guest-Programm des van Abbemuseum Eindhoven).

Einen Marktplatz für neue Geschäftsmodelle rund um die Kunst hebt die Sammlerin Christiane zu Salm in Kooperation mit der Frankfurter Buchmesse demnächst aus der Taufe. „The Arts+“ ist diese, auch mit völlig andersartigem Gesicht auftretende Messe betitelt. Wer sich vorstellen kann, nur eine Lizenz zu kaufen, um sich später seine Skulptur am 3-D-Drucker herzustellen, ist hier richtig am Platz.

„The Arts+“, Frankfurter Buchmesse, 19. bis 23. Oktober 2016, www.theartsplus.com

Erschienen am 9. September 2016 auf den Kunstmarktseiten des Handelsblatts, anschließend online