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Wertbildungsprozesse im Fotomarkt

Wertbildungsprozesse im Fotomarkt

Trotz der Vorarbeit einzelner, führender Museen in den USA waren es letztlich Galeristen, die um 1970 die Weichen dafür gestellt haben, dass Fotografien als Artefakte wahrgenommen und erworben werden konnten. Sie, die nahezu ausnahmslos alle selbst Sammler waren, schafften die Rahmenbedingungen für die Verbreitung und die Voraussetzungen dafür, dass sich Preise bilden und konsolidieren, dass sich Geschmack und Kennerschaft entwickeln konnten. Heute, nach 45 Jahren ist der Fotomarkt immer noch jung, wächst aber nicht mehr bzw. ist auf dem Rückzug. Die internationalen Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s, die Mitte der siebziger Jahre in diesen Markt einstiegen, haben daraus vor Monaten Konsequenzen gezogen – durch Personalabbau und ein geschrumpftes Angebot. In Deutschland schwächelt der Handel schon länger, was Angebot und Nachfrage in den Auktionen spiegeln. Dabei konkurrieren seit ein paar Jahren nur noch drei statt ursprünglich fünf Versteigerer um Einlieferungen.

Der Konzentrationsprozess hat jedoch – entgegen Annahmen – keine Auswirkungen auf die qualitative Dichte des Angebots und hat auch die Nachfrage nicht stimuliert. Galeristen und Händler kämpfen parallel um den Nachschub. „Eins-A-Qualität ist überall schwer zu kriegen“, konstatierte Thomas Zander auf dem „Praxisforum Fotografie“, das im April 2016 zwei Tage lang „Wertbildungsprozesse in der Fotografie“ aus den Blickwinkeln sieben verschiedener Fachleute beleuchtete. Bis zu 18 spezialisierte Galerien habe es in den frühen 2000er-Jahren gegeben. Heute seien es nicht mal mehr zehn, die noch dazu um Anerkennung beim Publikum kämpfen. „Sie kosten ein Schweinegeld und keiner guckt“, brachte der Kölner Galerist die Lage der Galerien auf den Punkt. Hinzu kommen die Standortnachteile, die dem deutschen Kunstmarkt durch Abgaben und eine rigide Auslegung der EU-Vorgaben zur Mehrwertsteuer erwachsen. Sie machen das Angebot um bis zu 20 Prozent teurer als entsprechende ausländische Offerten.

Wie wichtig die aufwendige Vermittlungsarbeit der Galerien ist, zeigte exemplarisch die Ausstellung mit den konzeptuellen, erklärungsbedürftigen Werken von Björn Siebert bei Rolf Hengesbach. Ohne Galerie hätte er wohl keine Chancen auf dem Markt, würden Museen nicht auf ihn aufmerksam. Doch das Geschäftsmodell Galerie steht in Deutschland zur Disposition. 80 Prozent der Unternehmen wurschtelt sich durch. Wer die vergleichsweise wohlfeile Fotografie im Angebot hat, ist besonders gefährdet. „200.000 Euro müssen auf einer Messe umgesetzt werden, um die Kosten wieder reinzuholen“, rechnet Thomas Zander vor. Für 400.000 Euro müsse er verkaufen, wenn er auch verdienen wolle.

Den Blick auf die Chancen im wenig beachteten Markt für die 19. Jahrhundert-Fotografie lenkte Uwe Wasserthal, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kunstsachverständigen (BVK). Unterbewertet sind namentlich Daguerreotypien und die Edeldrucke, mit denen die Kunstfotografen der Jahrhundertwende der Malerei Konkurrenz machten. Bezeichnenderweise wurde die letzte ausführliche Besprechung zum Thema Daguerreotypie im „Stern“ vor 35 Jahren veröffentlicht. Seitdem ist – zumindest in Publikumszeitschriften – nichts mehr erschienen. Für die relativ lichtbeständigen Pigmentdrucke oder die von Hand auf sehr dünnem Japanpapier abgezogenen Heliogravüren beobachtet Wasserthal dagegen bereits anziehendes Interesse.

Die Fotografie ist aufgrund ihres reproduzierbaren und technischen Charakters eines der kompliziertesten Sammelgebiete auf dem Kunstmarkt. Deshalb hängt sein Wohl und Wehe wesentlich von zwei Faktoren ab: von Kontrolle und Wissen. Kontrolliert bzw. dokumentiert werden muss das, was in den Markt gelangt; und dies betrifft sowohl das urheberrechtlich sanktionierte Wirken von Nachlässen als auch die Fotokunst nach 1970, die einst mit der Edition als Mittel zur Angebotsverknappung ihren Erfolg am Markt durchsetzte. Und was das Wissen betrifft: Nicht zuletzt durch die Zäsur der Nazi-Zeit hat sich eine Tradition des Sammelns in Deutschland nicht etablieren können.

Ungut auf die Wertbildung dürfte sich auf absehbare Zeit eine undurchsichtige Handhabe bei Editionsversprechen auswirken, wobei sich die Rechtsprechung noch am Anfang befindet. Dass eine unorthodoxe Auslegung auch mit dem Geschmack neuer Käuferschichten zu tun haben kann, illustrierte der Heidelberger Rechtsanwalt Felix Michl an der umstrittenen Praxis im Fall William Eggleston. Um den Vorreiter der künstlerischen Farbfotografie auch bei kaufkräftigen Sammlern, die große Formate bevorzugen, attraktiv zu machen, ließ der Eggleston Artistic Trust neue, zusätzliche Abzüge von ursprünglich in limitierten Auflagen erschienenen Motiven in größerem Format und anderer Printtechnik herstellen und 2012 über das Auktionshaus Christie’s in New York versteigern. Die Klage des größten Eggleston-Sammlers (Jonathan Sobel) wurde als „unschlüssig“ mit der Begründung abgewiesen, das Limitierungsversprechen“ enthalte keine Aussage über nachfolgende Auflagen („subsequent editions“) so wie sie die streitgegenständliche für das US-Gericht darstellte.
Um das Auflagenversprechen transparent zu kommunizieren, plädierte Michl neben einer planvollen Editionsverwaltung, für die sich explizit auch der Wuppertaler Galerist Rolf Hengesbach aussprach, für den Einsatz sogenannter „Echtheitszertifikate“. Das aber provozierte bei den zahlreich anwesenden Versicherungsfachleuten prompte Einwände wegen deren Fälschungsanfälligkeit.

Für zeitgenössische Künstlerinnen wie Anja Jensen ist eine nachvollziehbare Kontrolle dessen, was auf den Markt kommt, existenzielle Notwendigkeit. Denn die Zahl der Motive, die sie in den Handel bringt, ist beschränkt, ihre Produktion – wie im Praxisforum dargelegt – extrem aufwendig und die Auflage niedrig. Die nach US-Vorbild gestaffelten (also mit der Nachfrage sich sukzessive erhöhenden) Preise beginnen im oberen vierstelligen und unteren fünfstelligen Bereich und werden akzeptiert – sicher auch deshalb, weil es das Bild jeweils in nur zwei, deutlich unterscheidbaren Formaten gibt. Möglicherweise wird es künftig von jedem Motiv nur noch eine einzige Größe (5er-Auflage) geben, überlegt Jensen.
Die Angst vor einem Preisverfall ist groß. Dazu tragen auch die Unsicherheiten im Umgang mit Artists Proofs bei und ganz sicher die zahlreichen Neuproduktionen, von denen etwa ältere C-Print-Jahrgänge von Künstlerkollegen betroffen sind. Jensen selber experimentiert seit November mit Inkjet auf Barytpapier, hat das Gros ihrer Bilder jedoch auf Fotopapier per Lightjet- oder Lambda-Technik ausbelichtet und anschließend mit Silikon zwischen Alubond und Acrylglas versiegeln lassen (Diasec). Dass Diasec nach wie vor von einschlägigen Fotokünstlern nachgefragt wird, zeigte der Besuch bei Grieger in Düsseldorf, dem einzigen zertifizierten und nach höchsten Qualitätsstandards arbeitenden Betrieb in Deutschland.

Kontrolle ist nur möglich, wenn über jedes in den Markt entlassene Objekt penibel Buch geführt wird. Verena Voigt, Gründerin des Praxisforums, fordert deshalb einen international verbindlichen Fragenkatalog zu Entstehungsgeschichte, Materialien und Techniken fotografischer Arbeiten. Die Vorlage, eine Dokumentationsempfehlung des „American Institut for Conservation“ und der „Association of International Photography Art Dealers“ gibt es bereits, wie die Fotorestauratorin Marjen Schmidt betont, und wird von Restauratoren und führenden Institutionen bereits genutzt. Sie muss nur Standard werden auch im Handel.

Christiane Fricke
Die Autorin arbeitet als freie Redakteurin und Autorin u.a. für das Ressort Kunstmarkt beim Handelsblatt
Informationen zum Programm unter: www.praxisforum-kulturwirtschaft.de