4 subscriptions and 1 subscriber
Article

Die Kuh, die gemolken wird

Die Kuh, die gemolken wird

Steuern und Abgaben bringen den deutschen Kunsthandel zusehends in Bedrängnis. Dabei werden auf dem hiesigen Markt gerade einmal 10 Prozent des Jahresumsatzes von Christie’s gemacht.

Es gibt wohl kein Land auf der Welt, das über einen so langen Zeitraum so viele international erfolgreiche Künstler hervorgebracht hat, wie Deutschland. Doch mit diesem Pfund könnten die Deutschen die längste Zeit gewuchert haben. Denn die Basis für die beispiellose Erfolgsgeschichte droht zu erodieren, die einzigartige Galerienlandschaft ist in Gefahr.
Die Rede ist hier keineswegs von den marktstarken Unternehmen, die ihre Geschäfte längst flexibel auch über ihre Filialen in der Schweiz oder in London abwickeln. Es geht um die viel größere Zahl der kleinen und mittleren Galerien, denen Steuern und Sozialabgaben zunehmend zum Problem werden. „Die denken, der Kunsthandel ist eine Kuh, die man melken kann“, schimpft der Düsseldorfer Kunsthändler Herbert Remmert. Hans Maulberger (München), der wie Remmert überwiegend im Sekundärmarkt sein Geschäft macht, spricht sogar von einer „Enteignung“ und rechnet vor:

Was unter dem Strich übrig bleibt

Einem Galeristen, der ein 2013 für 10.000 Euro eingekauftes Bild im Jahr 2014 für 15.000 Euro regelbesteuert weiterverkaufen muss, weil er sich die 7 Prozent, die beim Einkauf fällig wurden, nicht vom Finanzamt zurückholen kann, bleiben nach Abzug des Einkaufspreises, der 19-prozentigen Mehrwertsteuer auf die gesamten 15.000 Euro, Folgerecht, Einkommens-, Gewerbesteuer- und Kirchensteuer ganze 1.176 Euro Gewinn. Einem Händler, der sein Geschäft wie Remmert vorwiegend mit in Kommission gegebenen Werken macht, bleiben nach Berechnungen des Steuerberaters höchstens zwölf Prozent.
Es ist ernüchternd, was beim Händler nach Steuern und Abgaben hängen bleibt. Und es passt so überhaupt nicht zu dem Bild, das die Medien über Rekordpreise und Umsätze internationaler Auktionshäuser und Großgalerien zeichnen. „Ein großer Teil der Galerien in Deutschland erwirtschaftet nur einen geringen Umsatz und hat Mühe, zu existieren“, schreibt Johannes Schilling (Galerie Boisserée, Köln) in einem Memorandum an die Adresse der Länderfinanzbehörden.

Ein Zehntel der Jahreseinnahmen von Christie’s

„Der deutsche Kunstmarkt erreicht jährlich in seiner Gesamtheit nicht einmal 10 Prozent der Jahreseinnahmen von Christie’s“, rückt Birgit Maria Sturm, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Deutscher Galerien und Kunsthändler (BVDG), die Dimensionen zurecht. Die deutschen Galerien sind daran nach einer Erhebung der Bonner Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst 2013 mit rund 250 Millionen Euro an Verkäufen mit Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts beteiligt. Den größten Batzen am Umsatz machten die 16 Prozent großen Galerien, die ihre Geschäfte aber inzwischen problemlos ins Ausland verlagern können.
Der deutsche Kunstmarkt ist deshalb ein tendenziell immer kleiner werdendes Gebilde, auf dem sich überwiegend kleine und mittlere Unternehmen behaupten müssen. Diese sind nun aber keine Verkaufsräume für Waschmaschinen, sondern Dienstleister für Kulturerzeugnisse, deren oft kleinster Teil das veräußerbare Kunstwerk selber ist. Von ihren erheblichen Anstrengungen, wozu auch Ausstellungen und Präsentationen nebst Vermittlungsarbeit gehören, profitiert stets eine ganze Öffentlichkeit.

Hoher Aufwand bei der Einführung neuer „Produkte“

Der Wuppertaler Galerist Rolf Hengesbach formuliert es für die auf dem Primärmarkt tätigen Kollegen so: „Wir müssen auf einem extrem von Bewertungen und kulturellen Moden abhängigen Markt mit hohem Aufwand ständig neue „Produkte“ (Künstler) einführen. Den Markt dafür müssen wir jedoch erst einmal schaffen. Manchmal kann es zehn oder sogar 15 Jahre dauern, bis sich ein junger Künstler durchgesetzt hat.“ Dasselbe gilt im Prinzip auch für den Sekundärmarkt, wenn historische Künstler wiederentdeckt und vermarktet werden.

Das Wagnis der Rechnungslegung

Die Bundesregierung hatte diese besondere Leistung und Lage des Kunsthandels durchaus im Blick, als sie 2013 zur Kompensation für den Wegfall der ermäßigten Mehrwertsteuer das Gesetz einer pauschalen Margenbesteuerung nach französischem und von der EU nicht beanstandetem Vorbild beschloss und Anfang Januar 2014 in Kraft setzte (Handelsblatt vom 14.2.2014). Demnach sollen 30 Prozent des Umsatzes der Mehrwertsteuer unterworfen werden, wenn der Einkaufspreis nicht zu ermitteln oder unbedeutend ist. Doch da die Länderfinanzministerien nicht genau festlegten, wie es ausgelegt werden sollte (Link auf „Ein Stück aus dem Tollhaus“), bewegte sich der Handel bei seiner Rechnungslegung im rechtsfreien Raum – und das bereits seit zehn Monaten. Unterdessen lässt Norbert Walter-Borjans, der als nordrhein-westfälischer Finanzminister der Länder-Finanzministerkonferenz vorsitzt, die beiden Warhols aus Landesbesitz in New York unter Umgehung der hiesigen Mehrwertsteuer versteigern.

Anwendung der Pauschalmarge oder auf Nummer Sicher gehen?

Ungeachtet der Tatsache, dass der BVDG seinen Mitgliedern im Sommer die Anwendung der Pauschalmarge wegen der unsicheren Rechtslage nicht mehr empfehlen wollte, rechnen zum Beispiel Johannes Schilling und Herbert Remmert nach wie vor pauschalmargenbesteuert ab, weil es Gesetz ist. Händler, die kein Risiko eingehen wollen, bilden Rücklagen, was aber bei größeren Umsätzen für Manchen problematisch wird. Hedwig Döbele, die in Dresden mit der Vor- und Nachkriegsmoderne handelt, wendet deshalb die Differenz- oder die Regelbesteuerung an.
Auch Hengesbach geht auf Nummer Sicher, nicht zuletzt aufgrund der restriktiv prüfenden nordrhein-westfälischen Finanzämter. Der Wuppertaler Galerist wendet die Pauschalmarge nur an im Fall von Altbeständen, wenn er den Einkaufspreis nicht mehr nachweisen kann, oder wenn er im Konvolut eingekauft hat. Ansonsten rechnet er differenzbesteuert ab. Blieben ihm 2013 von einem 10.000 Euro-Verkauf 4.650 Euro als Gewinn, sind es heute nur noch 4.200 Euro. „Unter dem Strich läuft das auf eine Preiserhöhung um 8 bis 11 Prozent hinaus“, stellt Hengesbach fest.

Es fehlt eine mächtige Lobby

An der Preisspirale darf in Deutschland jedoch nur höchst vorsichtig gedreht werden, weil der Wettbewerb verzerrt ist (s. Handelsblatt v. 14.2.2014). Die Nachbarländer haben nämlich den Willen, ihren Kunsthandel nicht durch hohe Belastungen zu schwächen. Frankreich hat bekanntermaßen die Pauschalmarge und die Niederlande haben sich nun auch etwas einfallen lassen. „Hier können Kunsthändler im Namen der Künstler zum reduzierten Mehrwertsteuersatz verkaufen“, berichtet der Kölner Galerist Martin Kudlek.
„In Deutschland fehlt eine mächtige große Lobby, die Einfluss nimmt wie in der Industrie“, beklagt die Düsseldorfer Galeristin Helga Weckop-Conrads. Keiner sei in der Lage, so eine Welle loszutreten. Und Hedwig Döbele erinnert daran, dass auch Auktionen und Künstler von einer gut funktionierenden Galeriearbeit leben: „Am besten wäre es, wenn wir streiken würden.“ Doch wer entdeckt in der Zukunft noch die jungen Künstler?
Online-Veröffentlichung vom 12.11.2014