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Fotokunst: „Es ist zu kompliziert"

Spurensuche durch Reinszenierung Björn Siebert: "The Cost of Living", S/W Inkjetprint auf Baryt, 2015/16. Quelle: Galerie Rolf Hengesbach, Wuppertal/Björn Siebert

Das Sammelgebiet Fotografie hat auf dem deutschen Kunstmarkt einen schwachen Markt. Die Ursachen und daraus erwachsene Chancen erläutert Christiane Fricke.


Einen „Rekordpreis“ meldete das Kölner Auktionshaus Lempertz, als es Ende November 2015 die Schwarzweißfotografie „Das Bäumchen“ (1929) von Albert Renger-Patzsch (1897-1966) für 136.400 Euro inkl. Aufgeld versteigerte. Der Verkauf des schönen, wohl in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre hergestellten Abzugs liefert ein bezeichnendes Beispiel für die Art und Weise, wie der deutsche Markt tickt. Denn einerseits sind sechsstellige Zuschläge selten, andererseits handelt es sich bei dem Erwerber um einen bekannten Berliner Galeristen mit Fotoschwerpunkt und eigener Sammlung, der sich auf Auktionen stets mit beherzten Geboten da vorwagt, wo andere aufgeben.

 

Der sammelnde Galerist gehört zu jener selten gewordenen Spezies, die weiß, warum sie auf diesen einen Abzug setzt. Einer wie er kann den Kontext seiner Entstehung einschätzen; er weiß, warum es wichtig ist, zwischen Aufnahme- und Abzugsdatum zu unterscheiden, er kennt die künstlerischen und technischen Entstehungsbedingungen, die auf das Erscheinungsbild der Fotografie und ihre Verbreitung eingewirkt haben. Und er interessiert sich für den ursprünglichen Verwendungszusammenhang des Bildes.

 

Außerdem dürfte der Käufer mit Recht davon ausgehen, dass die Preise für seine nach hiesigen Begriffen schon recht teuer bezahlten Meisterwerke noch Spielraum nach oben haben. Das zeigt allein schon ein Blick auf das Preisniveau amerikanischer Fotografen derselben Generation wie etwa Edward Weston oder Paul Strands, die locker auf eine drei- oder vierfach höhere Notierung kommen.

 

„Es ist zu kompliziert“, beantwortet die Kölner Galeristin Priska Pasquer die Frage, warum das Sammelgebiet Fotografie auf dem deutschen Kunstmarkt nicht breit angekommen ist. Es fehlen die spezialisierten Sammler, Persönlichkeiten wie Helmut Gernsheim, Thomas Walther, Manfred Heiting, Ann und Jürgen Wilde. Davon hat es hierzulande, bedingt durch den lang währenden Kahlschlag von Nazi-Zeit und Zweitem Weltkrieg, nicht genug gegeben. Zu schwach bleiben deshalb die Fundamente – Tradition und Wissen – auf denen etwas hätte nachwachsen können. „Und diejenigen, die nach dem Krieg reich wurden, waren nicht so klug, auch zu sammeln“, erklärt Pasquer.

 

Auch die Errungenschaften der Avantgarde kamen im Nachkriegsdeutschland nicht an. Wie viele jüdische Fotografen wurden ermordet oder hatten mit kleinem Gepäck wie Lotte Jacobi das Weite suchen müssen? Mit entsprechenden Folgen für Angebot, Nachfrage und Preisniveau. Nach dem Krieg ist dann der einflussreiche Fotograf und Lehrer Otto Steinert, Wegbereiter und Mentor der „Subjektiven Fotografie“, der einzige, der hierzulande künstlerisch und pädagogisch an die Bildleistungen der 1920er-Jahre-Avantgarde anzuknüpfen versuchte.

 

Die Folge ist ein schwacher Markt, dem es an Nachfrage und vor allem Nachschub fehlt, zumindest für die Fotografie des 20. Jahrhunderts. „Eins-A-Qualität ist überall schwer zu kriegen“, konstatierte Thomas Zander, Referent des jüngsten Workshops „Praxisforum Fotografie“. Dabei hatte er zwar den internationalen, inzwischen rückläufigen Markt im Blick. In Deutschland setzt diese Entwicklung aber schon mit dem Jahr 2000 ein, ausgerechnet zu einer Zeit, als hiesige Auktionshäuser mit ihrem Umsatz erstmals die 1 Million Mark-Grenze knackten.

 

Dass deutsche Fotografen in ausländischen Lexika kaum vorkommen, ergänzt Norbert Bunge. Er hat sich im Laufe seines Berliner Galeristenlebens insbesondere für die ostdeutsche Fotografie eingesetzt. „Eigentlich ist es ein erschlossenes Sammelgebiet.“ Das Preisniveau vieler Fotografen, unter ihnen Arno Fischer, einer der prägenden Fotografen der ehemaligen DDR, bezeichnet er jedoch als „unmöglich“. Auf Sybille Bergemann oder Helga Paris trifft das eher nicht zu. Sie nähern sich mit 3.000 Euro und mehr inzwischen dem Niveau des 2014 verstorbenen Magnum-Fotografen René Burri, dessen signierte Abzüge inzwischen mit 4.000 bis 5.000 Euro bewertet werden.

 

Burri zählt zu den schon teuer bezahlten Vertretern auf dem ansonsten unterbewerteten Feld der journalistischen Fotografie. Wie sich die Nachfrage nach dem Sammelgebiet in Deutschland entwickelt, wenn sie von einer international aktiven Galerie wie Kicken vermarktet wird, wird sich noch zeigen. Für Künstler wie Rudi Meisel oder den Nachlass des Ruhrgebietsfotografen Rudolf Holtappel, den vor wenigen Jahren noch kaum einer kannte, ist das zunächst einmal erfreulich. Für nicht wenige Liebhaber und erst recht für Einsteiger dürften ihre Bilder jedoch in absehbarer Zeit zu teuer werden.

 

Anders sieht es auf dem Markt für die Fotografie des 19. Jahrhunderts aus. „Viel Luft nach oben“ attestiert Uwe Wasserthal, Vorsitzender des Bundesverbandes der Kunstsachverständigen (BVK), den Edeldrucken, mit denen die Kunstfotografen der Jahrhundertwende der Malerei Konkurrenz machten. Das gilt insbesondere für die haltbaren, lichtbeständigen Pigmentdrucke oder die von Hand auf sehr dünnem Japanpapier abgezogenen Heliogravüren. Auch Daguereotypien werden notorisch unterschätzt. Bezeichnenderweise wurde die letzte ausführliche Besprechung im „Stern“ vor 35 Jahren veröffentlicht. Seitdem ist – zumindest in Publikumszeitschriften – nichts mehr erschienen.

 

Spielraum eröffnet auch die jüngste Fotokunst. 450 bis 3.000 Euro setzt der Wuppertaler Galerist Rolf Hengesbach für die Werke des Leipzigers Björn Siebert an. Der bei Timm Rautert ausgebildete Künstler reinszeniert bereits veröffentlichte Aufnahmen, die er in historischen Printmedien und im World Wide Web findet. Aus dem Kontext entnommen und subtil verändert, beginnen sie ein neues Leben, in dem ihr ursprünglicher Funktionszusammenhang stets mitreflektiert ist.

 

Es liegt auf der Hand, dass Arbeiten wie die von Siebert in hohem Maße erklärungsbedürftig sind. Ob sie auf dem Markt angenommen werden, hängt entscheidend von der Vermittlung ab. Das Geschäftsmodell Galerie aber steht in Deutschland zur Disposition. 80 Prozent der Unternehmen wurschtelt sich durch. Wer die vergleichsweise wohlfeile Fotografie im Angebot hat, ist besonders gefährdet. „200.000 Euro müssen auf einer Messe umgesetzt werden, um die Kosten wieder reinzuholen“, rechnet Thomas Zander vor. Für 400.000 Euro müsse er verkaufen, wenn er auch verdienen wolle.

 

Zur Erinnerung. Mangelnde Konkurrenz war der Grund, warum der New Yorker Kunsthändler Julien Levy seine 1931 gegründete Fotogalerie nicht halten konnte und auf Malerei umstellte. In Deutschland gab es in den frühen 2000er-Jahren geschätzt 18 spezialisierte Anbieter. Übrig geblieben ist gerade mal eine Handvoll.


Erschienen am 15./16./17. April 2016 in der Printausgabe des Handelsblatts
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