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"Das ist ein Wahnsinn": Die FPÖ feiert unter Vorbehalt

Von Christian Bartlau, Wien

An einem denkwürdigen Wahltag findet Österreich keine Antwort auf die Frage, in welche Richtung sich das Land bewegt. Die rechtspopulistische FPÖ feiert trotzdem - mit Frauke Petry, Freibier und markigen Ansagen.

Der Jubel war laut, er war ausgelassen, er war - gestellt. Schon eine Viertelstunde vor der ersten Hochrechnung zur Präsidentschaftswahl um 17 Uhr hatten die Zahlen im FPÖ-Parlamentsklub in Wien die Runde gemacht und es war ganz ruhig geworden. Was sollten sie anfangen mit diesem Ergebnis? Der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer lag bei 50,2 Prozent, viel zu wenig, um den Sieg für sich zu beanspruchen, kein Anlass, um in Triumphgeheul auszubrechen. Aber im Fernsehen wie Wahlverlierer aussehen, das wollten sie dann auch nicht, also rissen sie sich zusammen. Als der ORF live in den Parlamentsklub schaltete, klatschte die versammelte Parteielite auf der Bühne frenetisch, "Österreich, Österreich"-Sprechchöre hallten durch den völlig überhitzten Raum.

Draußen vor der Tür debattierten die Raucher die Lage, nervös bis ratlos, von Siegesgewissheit keine Spur. Den ganzen Tag über hatte es doch so ausgesehen, als sollte Norbert Hofer als Sieger aus der Stichwahl gegen den von den Grünen unterstützten, unabhängigen Alexander van der Bellen hervorgehen, als sollte er der neue Bundespräsident werden, als sollte die FPÖ zum ersten Mal in ihrer Geschichte eines der beiden höchsten Ämter in der Republik besetzen. Der Rechtsruck in Österreich, er schien vollzogen, doch kurz vor 17 Uhr rückten die Prognosen plötzlich nach links.

Wolfgang Jung, ein Wiener Parteiveteran im dunkelbeigen Jägerleinen, verfolgt die Diskussionen seiner Kollegen mit einem milden Lächeln. "Vor einigen Monaten hätten wir uns selbst über 40 Prozent gefreut", sagt er. "Einige haben vielleicht etwas zu viel erwartet." Das gilt für alle hier, nicht nur die FPÖ-Mitglieder, auch für die Journalisten aus 70 Ländern, die seit Tagen durch Wien laufen, auf der Suche nach dem ominösen Rechtsruck. Und zu diesem Zeitpunkt nur eines wissen: Dieses Land ist gespalten. Aber wohin es sich entwickelt, bleibt erst einmal völlig offen.

"Es ist ein Wahnsinn"

In der Wiener Hofburg haben alle großen Fernsehsender ihre Studios aufgebaut, kurz nach sechs beginnt für Norbert Hofer und seinen Kontrahenten Alexander van der Bellen der Interview-Marathon. Zu sagen gibt es nicht viel, die neuesten Zahlen ergeben ein Patt, schon jetzt ist klar, dass heute keine Entscheidung fällt. "Das hat sich niemand von uns gewünscht, wir wollten beide ruhig schlafen", sagt Norbert Hofer im ORF.

Die Kollegen vom Privatsender ATV machen derweil eine kurze Pause, Politikexperte Thomas Hofer wischt auf seinem Telefon herum, ruft die aktuellen Vorhersagen ab, schüttelt immer wieder mit dem Kopf. "Es ist ein Wahnsinn", sagt er, "es geht ständig hoch und runter". In Windeseile rechnet er die kompliziertesten Vorhersagemodelle für die Briefwahlen durch, eine Prognose aber ist ihm zu heikel. "Too close to call" sagen Politologen in so einer Situation: es ist zu knapp für eine Vorhersage, "arschknapp" sogar, wie van der Bellen es schon vor der ersten Hochrechnung ausdrückte. Das Meinungsforschungsinstitut Sora, das die Zahlen für den ORF bereitstellt, prognostiziert einen Sieg für van der Bellen um ganze 2888 Stimmen. Das endgültige Ergebnis wird erst am Montag zwischen 17 und 19 Uhr bekannt gegeben, dann sind die rund 885.000 Briefwahlstimmen komplett ausgezählt. Schon jetzt steht fest, dass es das engste Rennen aller Zeiten in Österreich wird.

Wie ein Tiger im Käfig

Wolfgang Jung ist mittlerweile schon auf der Wahlparty der FPÖ im Wiener Prater angekommen. Hunderte Mitglieder und Unterstützer sitzen auf Bierbänken draußen, es gibt Freibier und österreichische Hausmannskost: Schnitzel, Rindsgulasch, Kasnockerln. "Heute abend feiere ich, egal wie es ausgeht", sagt Jung, der ein bisschen wie Sepp Blatter aussieht. Seit den 60er-Jahren gehört er der Partei an, hat die große Zeit unter Jörg Haider mitgemacht, aber so einen Erfolg hat er noch nie erlebt: Jeder zweite Wähler hat sein Kreuz bei einem Kandidaten der FPÖ gemacht. "Und das bei einer Wahl von vier gegen einen."

Das ist die Logik der FPÖ: Sie muss gegen alle anderen Parteien kämpfen, gegen das "verkrustete System in Österreich und der EU", wie Parteichef Heinz-Christian Strache später auf der Bühne sagen wird. Er will Kanzler werden, spätestens 2018, wenn turnusgemäß Neuwahlen anstehen, gerne aber auch früher. Aktuell ist die FPÖ stärkste Partei in Österreich, in der Sonntagsfrage lag sie zuletzt regelmäßig bei über 30 Prozent. Wolfgang Jung kann lange darüber referieren, wie die Rechtspopulisten aus der Opposition heraus ihre Positionen zur Regierungslinie gemacht haben, so wie in der Flüchtlingsfrage: Da hat die FPÖ die Große Koalition erfolgreich vor sich hergetrieben. Aber der endgültige Griff nach der Macht, er scheint auch heute wieder nicht zu gelingen. Die FPÖ ist ein kräftiger Tiger, im Käfig gefangen.

Frauke Petry feiert mit Mehr zum Thema

Etwas abseits des Trubels steht eine Frau, die mit ihrem schwarzen Cocktailkleid nicht so recht in das Skihütten-Ambiente der Prater-Alm passen will: Frauke Petry. Die AfD-Chefin ist auf Einladung der FPÖ nach Wien gekommen, zusammen mit ihrem Lebensgefährten Markus Pretzell. "An so einem wichtigen Tag für Europa besuchen wir gerne europäische Partner", sagt sie. Petry sieht im Ergebnis eine Stärkung der EU-skeptischen Kräfte - und ein Signal: "Es zeigt, wie groß die Unzufriedenheit mit den großen Volksparteien ist. In Österreich noch viel mehr als in Deutschland - aber das kann sich ändern."

Bevor Norbert Hofer die Bühne betritt, spielt die John Otti Band, Haus- und Hofkapelle der Partei, "Immer wieder Österreich", ihre pathetische Hymne auf die Heimat und die Liebe zu ihr. Es ist dunkel geworden, mittlerweile stehen die ersten auf den Bänken, schwenken rot-weiß-rote Fähnchen und skandieren euphorisiert "Norbert, Norbert". Hofer wirkt erschöpft, er bedankt sich bei seiner Familie und den Wahlhelfern. Aber eine Botschaft will er seinen Anhängern noch vermitteln: Die Siegesgewissheit. Die FPÖ wird gewinnen - morgen oder in ein paar Jahren. "Es gibt zwei Optionen", sagte Hofer. "Erstens: Ich bin morgen Bundespräsident. Zweitens: Heinz-Christian Strache wird in zwei Jahren Kanzler und ich danach Staatsoberhaupt."

Quelle: n-tv.de

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