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Andreas Schicker: Handspiel

Grätschen, hinfallen, aufstehen, einwerfen. Die Nummer 16 wetzt an der linken Seitenlinie einem flinken Gegenspieler hinterher. Andreas Schicker, die 16, gehört zur Sorte der wendigen Kleinen unter den Fußballprofis, von der Figur her eher schmächtig wie Philipp Lahm, nicht bullig wie Roberto Carlos. Der Ball landet im Aus, Schicker greift ihn sich und wirft von hinten über den Kopf weit in Richtung Mittelkreis ein. Routine für einen Profi. Aber ein Wunder für einen, der vor anderthalb Jahren seine linke Hand verloren hat.

Als erster Fußballprofi weltweit, der mit einer Armprothese spielt, ist Andreas Schicker eine Sensation. Schon vor seinem Unfall hat der 29-Jährige eine steile Karriere hingelegt. Ausgebildet an der Stronach-Nachwuchsschmiede in Hollabrunn, Nationalspieler in der Jugend, fast dreihundert Spiele in Österreichs oberen beiden Ligen. Das internationale Interesse an ihm ist für Schicker aber neu: Zu seinem Comeback mit dem SC Wiener Neustadt in der zweithöchsten österreichischen Liga reisten Anfang März Journalisten aus Italien an, die deutsche Fachbibel Kicker brachte ein doppelseitiges Porträt. "Ein gutes Gefühl", sagte Schicker nach dem Spiel in Salzburg, als hätte er drei Wochen wegen einer Bänderdehnung gefehlt. Dabei war er schon abgeschrieben. 467 Tage lagen zwischen Unfall und Comeback.

An diesem Freitagabend sind nur drei Presseplätze im Stadion besetzt. Es ist Schickers drittes Spiel seit der Rückkehr. 800 Zuschauer haben sich zum Heimspiel gegen den FAC verirrt, sie kauern in dicken Jacken auf den blauen Plastiksitzen der Haupttribüne. Oben im Gang stehen die Grantler. Sie haben viel zu meckern, das Spiel ist schlecht, der Schiedsrichter auch. Andreas Schicker nicht. "Gut, Andi!", brüllt einer, als der Linksverteidiger einen Gegner per Tackling auf den Rasen schickt.

Ohne eigene Fußballerfahrung ist es schwer nachzuvollziehen, wie wichtig die Hand für einen Fußballer ist: Jeder Sprint, jeder Sprung Richtung Kopfball braucht die Schwungmasse. Vor Luftduellen schiebt und zerrt Schicker an seinem Gegner herum. Selbst die Einwürfe auf seiner linken Seite übernimmt er, nur die langen Dinger bis in den gegnerischen Strafraum schafft er nicht mehr.

Seinen Sportarm hat Schicker zusammen mit Orthopädietechnikern entwickelt. Aus Tribünendistanz sieht er aus wie die Hand einer Kaufhauspuppe: innen Silikon, darüber eine Schicht Karbon, abgeschlossen von weichem Schaum, so besteht keine Gefahr für die Gegenspieler. Das war dem Weltfußballverband wichtig. Für Schicker musste die Prothese vor allem stabil sein. Der Fußballprofi profitiert von seiner Erfahrung, viele Probleme löst er durch sein Stellungsspiel. Aber ein Linksverteidiger, der keine harten Zweikämpfe führen kann? Auf Profilevel undenkbar.

Am Dienstag nach dem Spiel hat Schicker trainingsfrei, es ist der erste richtig warme Tag des Jahres, den er auf seiner Hütte in Oberaich genießt, in der Nähe von Bruck an der Mur, weit oberhalb des Dorfes. Eine Laufente schnattert aufgeregt um die Fischteiche, Hühner staksen im Gehege umher. Hier in der Steiermark ist Schicker geboren, hier verbringt er gern seine freie Zeit. Er hat eine Wohnung in Wien, aber sieben Tage die Woche in der Stadt hält er nicht aus, sagt er. "Ich muss raus aufs Land, abschalten."

Schicker sieht aus wie das Klischee eines Steirerbuam, gesund, gebräunt, eine tiefe Furche zieht sich quer über seine vorgewölbte Stirn. Er trägt T-Shirt und seine Michelangelo-Hand, so heißt das Modell der Prothese, die er im Alltag nutzt. Mit der feinen Hand eines Künstlers hat sie wenig zu tun, sie wirkt klobiger als Schickers rechte, zusammen mit dem Schaft wiegt sie drei Kilogramm. Schicker steuert sie, indem er seine Muskeln am Unterarm bewegt. Dann dreht sich Michelangelo oder schließt die Finger. Der Motor surrt dabei wie ein Akkuschrauber, der ein wenig schwach auf der Brust ist.

Michelangelos Akku hält zwei Tage. Vielleicht zweieinhalb, wenn Schicker Glück hat. Er hat mal wieder die Ladestation in der Stadt vergessen. Um Strom zu sparen, schaltet er die Prothese ab, wenn er sie länger nicht braucht.

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