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Zu Besuch am "Balkan-Tor": Mit weißen Bändern nach Deutschland

Von Christian Bartlau, Spielfeld

Österreich sorgt mit einer schärferen Flüchtlingspolitik für Aufsehen. Doch einen konkreten Plan für die Zeit nach der Obergrenze gibt es nicht. In Spielfeld wird die Grenze schon einmal befestigt. Ein Ortsbesuch.

Manchmal lassen sich Grenzzäune einfacher passieren als gedacht. Vor allem, wenn eine Tür offen steht, so wie hier in der Nähe von Spielfeld, auf dem Graßnitzberg, in den Weinreben entlang der Grenze zwischen Österreich und Slowenien. Monatelang hatte die Alpenrepublik über den Bau gestritten, nun endlich trennen über 4 Kilometer Maschendraht die Länder - mit einigen Lücken, nicht nur dort, wo noch die Schlösser an den Türen fehlen. Einige Winzer in der Umgebung rebellierten, auf ihrem Grund dürfen die Behörden nicht bauen. Die Leerstellen sollen anders gesichert werden.

Wie genau und ab wann, das sind Fragen, auf die man in Spielfeld nur Schulterzucken erntet. Dabei scheint in Österreich gerade die Zeit der Antworten auf die Flüchtlingskrise angebrochen. Der Zaun, die Obergrenze, eine verschärfte Abschiebungspolitik - die Regierung setzt auf eine harte Linie, begleitet vom Beifall des Boulevards. Die "Kronen"-Zeitung, eng verbunden mit Bundeskanzler Werner Faymann, sieht Österreich schon als Vorreiter der "Asylwende" in Europa. Doch wer genau hinschaut und hinhört, bekommt den Eindruck, mit der österreichischen Lösung der Flüchtlingsfrage ist es wie mit dem löchrigen Zaun: Klingt gut, hält aber einer Überprüfung nicht stand.

Ordnung muss sein

"Das ist ja auch kein Grenzzaun", sagt Oberst Christian Fiedler langsam und mit Nachdruck. Fiedler steht auf dem Gelände des Grenzübergangs Spielfeld. Er trägt die olivgrüne Uniform des Bundesheeres. Rund 200 Soldaten leisten hier Dienst, sie unterstützen die 200 Beamten der Polizei. Fiedlers Wortklauberei ist nur die Fortsetzung dessen, was die Politik seit Monaten vormacht: "Türl mit Seitenteilen", "permanente technische Ergänzung", "bauliche Maßnahme" - bis zur Lächerlichkeit überboten sich die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP in der Bezeichnung des Maschendrahtes, der sich über die Hügel bei Spielfeld zieht.

Fiedler bevorzugt "G8-Zaun". Die Tiroler Firma Geo-Alpinbau stellt ihn auch alljährlich bei den Treffen der Mächtigen der Welt auf und baut ihn danach wieder ab. Für Demonstranten mag der 2,5 Meter hohe Zaun ohne Stacheldraht ein Hindernis sein, aber für Menschen, die ein sicheres und besseres Leben suchen? Oberst Fiedler schüttelt den Kopf. "Die primäre Funktion ist nicht, die Flüchtlinge abzuhalten, sondern ihre Ankunft geordnet zu gestalten."

Die Ordnung, sie war abhandengekommen im Spätsommer 2015. Zehntausende kamen täglich in Nickelsdorf an, an der Grenze zu Ungarn. Sie wurden nicht registriert, sondern einfach nur weitergeschickt. Manche Flüchtlinge nahmen sich einfach ein Taxi, um nach Wien zu reisen und von dort aus nach Deutschland. Ein Polizist, der damals dabei war, sagt: "Das war Chaos. Hier ist es anders."

Das Tor nach Österreich und Deutschland

Die Polizei und das Heer haben in Spielfeld das "Grenzmanagement" aufgebaut, wie es in der offizielle Sprache heißt. Man könnte es auch das "Balkan-Tor" nennen: Jeder Flüchtling, der über die Balkanroute nach Deutschland oder Österreich einreisen will, soll ab sofort über Spielfeld kommen. Es ist die letzte Weggabelung, hier teilen sich die Flüchtlinge in Rot, Gelb und Grün.

Die slowenischen Behörden begleiten die Menschen bis zur Grenze. Das Erste, was sie von Österreich sehen: Ein Zelt, wie man es von Schützenfesten kennt. Von drinnen dringt das Piepen von Metalldetektoren. Soldaten kontrollieren die Ankommenden und ihr Gepäck auf Waffen, in acht Kabinen mit weißer Sichtschutzplane. Dolmetscher in grünen Westen erklären den Menschen, dass sie nun warten müssen, bis sie in das zweite Zelt kommen.

Nach der Kontrolle kommt nun die Registrierung bei der Polizei. Die Beamten nehmen Fingerabdrücke, prüfen Dokumente und fragen nach dem Reiseziel. Wer nicht nach Deutschland oder Österreich will oder falsche Angaben macht, bekommt ein rotes Armband: das Signal für die Zurückweisung nach Slowenien. Gelb tragen Personen, die einen Asylantrag in Österreich stellen wollen. Wer nach Deutschland weiterreisen will, bekommt ein weißes Band.

Bei Bedarf stehen Stationen des Roten Kreuzes und der Caritas bereit, hier können sich die Flüchtlinge medizinisch behandeln lassen, essen und Kleidung suchen. 4000 Schlafplätze sind in weiteren Zelten eingerichtet - doch derzeit sind die leer.

In der letzten Halle könnte ein Ferienflieger Platz finden, doch heute warten nur Gruppen von rund 50 Menschen darin auf den nächsten Bus. In diesen Tagen kommen täglich rund 500 Flüchtlinge in Spielfeld an. Schritt für Schritt soll das zunehmen, wenn möglich sollen auch die Flüchtlinge, die momentan über Kärnten einreisen, hier in der Steiermark einreisen. Ausgelegt ist das Grenzmanagement auf Zahlen wie im Sommer an der Grenze zu Ungarn: Im Vollbetrieb soll die Kapazität für rund 11.000 Menschen pro Tag ausreichen.

Die Uhr tickt

Kämen so viele, wäre die österreichische Obergrenze von 37.500 Asylanträgen innerhalb von einer Woche erreicht. Was dann passiert, dazu will hier keiner einen Kommentar abgeben. Um eine konkrete Antwort, was mit Flüchtling Nummer 37.501 passieren soll, drückt sich auch Innenministerin Johanna Mikl-Leitner herum. Sie bringt über die Medien zwei Varianten ins Gespräch: Die Verzögerung von Asylverfahren und die Rückschiebung in sichere Drittländer. Ein Ministeriumssprecher verweist auf Nachfrage auf zwei Rechtsgutachten, die klären sollen, welche Maßnahmen überhaupt zulässig wären. Einer der bestellten Gutachter, Walter Obwexer, hat der Regierung schon vor einigen Wochen ausgerichtet: Die Grenze komplett dichtmachen, das zumindest wird nicht gehen.

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Im März sollen die Gutachten fertig sein. Die Uhr tickt, Mitte Mai läuft die EU-Genehmigung für die Grenzkontrollen aus. Dann könnte auch die Obergrenze langsam erreicht sein. Nicht umsonst gehört Österreich zu den Ländern, die auf Lösung im Vorfeld drängen, direkt an den EU-Grenzen. "Wer Obergrenze sagt, muss auch Tränengas sagen", schrieb die "Zeit Österreich" vor einigen Tagen. So ein Szenario wischen alle weg, nicht nur offiziell, auch hinter vorgehaltener Hand, hier in Spielfeld. Aber die Frage bleibt: In Spielfeld können 11.000 Menschen am Tag kontrolliert, registrieren und weitergeleitet werden - sollen sie notfalls auch aufgehalten werden?

Der Zaun steht ja schon. Zwischen dem Registrierungszelt und dem des Roten Kreuzes steht ein Container des "Psyops"-Teams des Bundesheeres, den Männern für die "Psychological Operations". Davor parkt ein dunkelgrüner Gefechtswagen, darauf montiert: ein Lautsprecher, der Durchsagen bis zu drei Kilometer weit tragen kann. Und ein Nebelgranatenwerfer. "Das gehört zur normalen Ausstattung", sagt Oberst Fiedler. Benutzen wollen sie nur den Lautsprecher. Das ist zumindest der Plan.

Quelle: n-tv.de

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