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Besser spät

Scheut weder Bürokratie noch einen Haufen Arbeit: Carmen Deepe. (Bild: Krawanders)

Wer an Existenzgründerinnen denkt, hat meist junge, agile Frauen vor Augen. Frauen in ihren Zwanzigern oder Dreißigern, die eine visionäre Idee für ein erfolgreiches Startup haben und voller Tatendrang stecken. Doch es gibt noch andere: zum Beispiel die selbstbewusste, weibliche Oldtimer-Version unter den Selbstständigen.

Wirtschaftlich, weil weise

Gründe, sich selbstständig zu machen, gibt es viele. Oft stecken Geldsorgen dahinter. Wer sich dagegen aus freien Stücken entscheidet, eine Geschäftsidee umzusetzen, verfügt laut Statistik über eine passable Rente oder genug Ersparnisse. Oder einen Partner, der zum Lebensunterhalt beiträgt.

Laut der Kreditanstalt für Wiederaufbau wagten 2013 ebenso viele Frauen den Weg in die Selbstständigkeit wie Männer. Meist allerdings nur als Feierabend-Freiberuflerinnen oder Kleingewerbetreibende - also ohne eigene Mitarbeiter. Im Vollerwerb heißt es, war nur jede dritte Existenzgründung weiblich.

Ein finanzielles Polster und die familiäre Unterstützung allein reichen als Beweggrund jedoch nicht aus. Für Sandra Bonnemeier, Autorin des „Praxisratgeber Existenzgründung", spielen auch Kontakte in die jeweilige Branche und im Gegensatz zur Berufs- vor allem Lebenserfahrung eine wichtige Rolle.

So wie bei Heike Kreyßing, Ruth Mellentin und Carmen Deepe.

Die Geschichtenerzählerin

„Was ich nicht kann, lerne ich!", sagt Heike Kreyßing, Gründerin von „Haikrey". Make art, not waste" - Kunst statt Abfall - lautet das Firmenmotto. Die Dresdnerin schneidert Kinderkleidung aus alten, abgetragenen Anziehsachen.

Das Schneidern beigebracht hat sich die studierte Betriebswirtin selbst. Doch der Traum von der eigenen Schneiderei platzte Ende der 80er. „Da kam mir die Wende dazwischen", erzählt die 54-Jährige. Erst im zweiten Anlauf 2006 gelang die Unternehmung.

Kreyßing war kurz zuvor arbeitslos geworden. Ihre Bewerbungen um einen neuen Job blieben ohne Erfolg. Dann aber ging alles ganz schnell. Mit dem Existenzgründungszuschuss vom Arbeitsamt und dank der Hilfe ihrer Familie, konnte sie sich den Traum von der Selbstständigkeit endlich erfüllen.

Jedes Teil von Heike Kreyßing ist ein buntes Einzelstück. Auf vielen finden sich die Haie Elli und Jan, die Markenzeichen von „Haikrey". Kreyßing heftet jedem Kleid auch eine selbstgeschriebene Geschichte an, „um die Kleinen frühzeitig an das Thema Meeresverschmutzung heranzuführen".

Die Entwicklungshelferin

Bei Ruth Mellentin kam mit dem Verlust ihrer Mutter 2011 die berufliche Wende. Sie hatte das Gefühl, jetzt sei der richtige Zeitpunkt für einen Kurswechsel und gründete kurze Zeit später mit ihrer Erbschaft „Herzensgut", einen Onlineshop für handgemachte Seifen auf Fair-Trade-Basis. Ein Vorhaben, dass sie schon lange Zeit im Kopf mit sich herum trug.

Mit dem Selbstständigendasein kennt sich die gelernte Altenpflegerin aus: Zehn Jahre lang führte sie ihren eigenen Second-Hand-Laden. Von 2008 bis 2010 war Mellentin auch im Kongo unterwegs, um vor Ort Solarkocher zu bauen.

Mit ihren Seifen unterstützt Mellentin eine Kooperative von 500 Familien in Brasilien. Von ihrem Unternehmen leben, kann sie leider nicht. Den Unterhalt bestreitet Mellentin inzwischen wieder als Pflegekraft. „Ich bin froh, wenn die Unkosten für die Seifen rein kommen", sagt sie und verkörpert somit den Typus der Feierabend-Freiberuflerinnen.

Die Hartnäckige

Carmen Deepe ist dagegen noch ein Neuling unter den Selbstständigen und steht noch am Anfang ihrer freiberuflichen Karriere. Aus gesundheitlichen Gründen in Frührente versetzt, entschied sich die 45-jährige Osnabrückerin im letzten Sommer, mit 1.500 Euro Startkapital aus ihrem Hobby ein Kleingewerbe zu machen.

Unter dem Label „Krawanders" näht Deepe farbenfrohe Handtaschen aus Hosen und Krawatten. Und genau wie bei Ruth Mellentin soll auch Deepes Arbeit einem sozialen Zweck dienen. Zehn Euro der bis zu 79 Euro teuren Unikate kommen Hilfsprojekten zugute.

Dass die gelernte Gärtnerin einmal Unternehmerin sein würde, war nicht abzusehen. Um sich vorzubereiten, absolvierte Deepe sämtliche Existenzgründungskurse der Industrie- und Handelskammer. Rechnungsstellung und Buchhaltung verursachen ihr seitdem kein Kopfzerbrechen mehr. Ebenso wenig wie Onlineshop oder Facebook und Co., auf denen Deepe abseits von Märkten und Messen regelmäßig unterwegs ist.

Damit aus dem Traum kein Albtraum wird

Damit der späte Traum vom Selbstständigendasein nicht zum Alptraum wird, sollten zwei Dinge beachtet werden: Wer noch nicht 67 ist und eine Rente erhält, darf monatlich nur 450 Euro brutto verdienen. Und: Als Sicherheit für ein Darlehen nicht die Ersparnisse für Altersvorsorge oder den Notgroschen aufwenden. Nur ein Teil wäre im Zweifel per Gesetz vor der Pfändung geschützt.

Wer alle Hürden genommen hat und sich gegen nach den staatlich geförderten Anfangsjahren noch am Markt behauptet, hat es - statistisch gesehen - geschafft.

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