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Barbie-Feminismus: Souverän schweigen

Einfach mal locker machen und cool auf das Geschehen schauen, statt ständig gegen Benachteiligung anmotzen? Würden wir auch gerne. Aber Sexismus ist kein individuelles Wahrnehmungsproblem, das verschwindet, wenn wir es nur lässig genug anschweigen.

Ich habe ein Problem. Ich wäre gerne entspannter. In meiner selbst gewählten Rolle als feministische Kommentatorin auf das Zeitgeschehen wird von mir erwartet, mich über all jene Dinge aufzuregen, die in Deutschland zwischen den Geschlechtern schief laufen. Ungleichheit anprangern, in Wort und Bild darüber referieren, wo Frauen und Mädchen auch heute noch nicht gleichgestellt sind etc. etc. Ich will das allerdings gar nicht mehr, ich werde langsam müde davon, mich aufzuregen und ich habe auch keine Lust mehr, ständig auf die allgegenwärtige Abwertung von Frauen in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Ich will lieber lässig mit gekreuzten Armen an der Wand oder an etwas anderem lehnen und entspannt auf das Geschehen schauen.

Insofern traf mich der Beitrag, den Mirna Funk vergangene Woche unter dem Titel „Die Barbie-Feministinnen" im Freitag veröffentlichte, an einem wunden Punkt. Funk vertritt darin die steile These, der Feind der jungen Frauen säße inzwischen vor allem in ihrem eigenen Kopf, die Rechte um Selbstbestimmung seien längst errungen, die Kämpfe gewonnen. Zeit, sich mal locker zu machen. Der Kopf, in dem Funk den Feind ausmacht, ist dabei vor allem ein westdeutscher, denn für die jungen Frauen, die in der DDR groß wurden, sei all das, was junge Feministinnen heute mit viel zu schriller Stimme forderten und einklagten eh schon selbstverständlich: Kinder bekommen und trotzdem arbeiten, finanziell unabhängig sein, Sex haben wann, wie oft und mit wem man will ohne dafür als Schlampe zu gelten - was halt sonst noch so auf der Agenda steht.

Was Mirna Funk eigentlich fordert: mehr Souveränität. Den Dingen nicht mit Geschrei oder Anklage begegnen (blöde Anmachen, sexistische Übergriffe, zweifelhafte Verteilung von Haus- und Erziehungsarbeit nicht immer gleich so unangenehm beim Namen nennen und am Ende noch mit dem Finger in irgendwelche Richtungen zeigen), sondern eben: lässig. Lässig an den Porsche gelehnt, mit cooler Zurückhaltung, maximal vielleicht noch mit dem Humor der eigentlich (intellektuell) Überlegenen, die über all das höchstens müde lachen kann. Denn Baby, it's not me, it's you. Im Wissen um die eigene moralische wie sonstige Vormachtsstellung, die Frauen wie Mirna Funk längst für sich ausgemacht haben, bleibt für Männer, die schmierig kommen, nur noch Mitleid oder gleich die komplette Nichtbeachtung.

So locker zu reagieren, ist für Frauen heute in der Tat wesentlich einfacher als vor, sagen wir, 30 Jahren. Die gröbsten Basics sind verankert, Frauen dürfen wählen und sogar gewählt werden, ein eigenes Konto haben, selbst entscheiden ob und wann sie Kinder haben wollen usw. Tolle Sache.

Was Funk nur leider übersieht, ist dass die Verhältnisse auch heute noch so begriffen sind, dass sich nicht benachteiligt zu fühlen, für viele noch nicht ausreicht, um es auch nicht zu sein. Sexismus ist eben kein individuelles Wahrnehmungsproblem einzelner (westdeutscher) Frauen, die einfach eine Überdosis patriarchaler Denkmuster verabreicht bekommen haben und jetzt an den Spätfolgen leiden. Es ist eine gesellschaftliche Machtstruktur, ebenso wie Rassismus oder Homophobie. Solange bestimmte Sichtweisen in einer relevant großen Zahl anderer Köpfe verankert sind, ist es im Zweifelsfall herzlich egal, wie lässig die betreffende Person wogegen lehnt und wie laut sie schweigt - ihr wird es nichts nützen.

Sexismus betrifft auch nicht ausschließlich weiße, westdeutsch-geborene Journalistinnen, die Feuilletonartikel dazu schreiben, ob sie sich vorstellen können, Kinder zu bekommen. Er betrifft auch: die Transfrau, die auf der Straße offen angestarrt wird und sich mit deutschen Behörden anlegen muss, weil es deren Vorstellungshorizont sprengt, dass ein Mensch ein anderes als das ihm bei der Geburt zugewiesene Geschlecht leben kann. Die Studentin mit türkischem Nachnamen, die in den Wohnungsbewerbungen gleich aussortiert wird, weil der Vermieter in ihr eine bombenschmeißende Kopftuchträgerin vermutet. Jede dicke oder lesbische oder nichtweiße Frau, also eigentlich alle, die nicht in die vorgefertigten Ideen von Weiblichkeit und Deutschsein passen.

Sexismus betrifft auch jede Frau, die im Laufe ihres Lebens mal von ihrem Ex- oder derzeitigen Freund oder Mann geschlagen wird - das ist jede vierte Frau in Deutschland und zwar quer durch alle Bildungs- und sonstige Schichten. Physische Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist die brutalste Form, in der sich Sexismus und Frauenhass in der Gesellschaft äußern. 

Und für diejenigen, die so gerne einwenden, man solle bitte nicht bei jedem nackten Frauenarsch auf einem Plakat und bei jedem sexistischen Witz im Fernsehen gleich Reizworte schreien, sei hier noch einmal wiederholt: Es gibt keinen „richtig schlimmen" und „weniger schlimmen" Sexismus. Die gleiche Logik, die dazu führt, dass wir es total okay finden, wenn nackte Frauenkörper zum Verkauf von Sprudel und Linoleum genutzt werden, kommt auch zur Anwendung, wenn Frauen geschlagen, vergewaltigt oder missbraucht werden. Es sind einfach unterschiedlich brutale Ausdrucksformen desselben Umstandes: dass es in unserer Gesellschaft an Respekt für Frauen fehlt. Dem Respekt, der ihnen als Menschen eigentlich selbstverständlich zustehen sollte.

Und das betrifft jede Frau immer und überall, egal wie angesprochen sie sich davon fühlt.

Wie Sexismus noch auf viel subtilere Weisen wirkt, davon können Frauen berichten, die Schallplatten auflegen, Schlagzeug spielen, Maschinenbau studieren oder als Programmiererinnen arbeiten - also in einem Bereich ambitioniert sind, der nicht gemeinhin dem Schema „typisch feminin" entspricht. Wie sich diese Vorurteile auf das Verhalten und die Leistungen von Mädchen und Frauen auswirken, hat die Neurowissenschaftlerin Cordelia Fine in „Die Geschlechterlüge" sehr genau und lustig aufgeschrieben und als „Neurosexismus" benannt. Wer nämlich glaubt, dass ihr Geschlecht einen Unterschied mache in Hinblick auf ihre Fähigkeiten, Matheaufgaben zu lösen, Code zu schreiben, konfrontativ aufzutreten oder kleine flauschige Tiere zu pflegen - für die wird das auch einen Unterschied machen. Frauen haben in Bereichen, in denen sie krass unterrepräsentiert sind, ob sie das wollen oder nicht, einen anderen Stress als in solchen, die für sie vorgesehen werden.

Man merkt schon, das mit der Lässigkeit geht nicht ganz auf.

Denn die gesunde Reaktion auf all diese Umstände ist nicht etwa Coolness, sondern Wut. So ein richtig tiefes Angepisstsein. Wut ist etwas, das Frauen ungern zugestanden wird, weil es das Gesicht so unschön verzerrt. Wut lässt sich allerdings hervorragend in Energie übersetzen. Energie, um gegen die Dinge vorzugehen, die die Wut auslösen.

Wenn die Fragen und Rechte, mit denen Feministinnen sich beschäftigen, nicht nur in der Welt von Mirna Funk, sondern auch in der restlichen Welt beantwortet und ausgehandelt sind, wenn diese Kämpfe mal keine Rolle mehr spielen, dann kann ich vielleicht endlich selbst auch mal so lässig sein. Bis dahin finde ich es irgendwie lässiger, über die Probleme zu sprechen, die da sind.

Foto: Copyright CC Attribution No Derivs 2.0 von vaniljapulla


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