Alle reden über Künstliche Intelligenz, Sascha Poggemann arbeitet daran: Mit seinem Start-up Cognigy entwickelt er Software für Firmen, die Kundengespräche dem Computer überlassen wollen.
In einem abgedunkelten Büro mit Aussicht auf den Düsseldorfer Medienhafen blicken vier junge Männer konzentriert auf die Monitore vor ihnen. Auf schwarzem Hintergrund flimmern für den Laien unverständliche Buchstabenreihen übers Bild. Eifrig fliegen die Finger der Entwickler über die Tasten. Sie tragen einfarbige Shirts, lässige Jeans, Turnschuhe – und arbeiten für Cognigy. Das Düsseldorfer Start-up entwickelt Chatbots, bringt ihnen das Sprechen bei und trainiert sie so lange, bis sie sich mit Menschen unterhalten können.
Ein Chatbot ist ein Computerprogramm, das mit Menschen kommunizieren kann. Immer mehr Unternehmen setzen im Kundenservice auf solche digitalen Helfer, die Anfragen beantworten sollen. Linda ist die virtuelle Assistentin der Sparkasse, bei Elisa von Lufthansa kannst du deine Flugdaten einsehen und die Bot-Version von Oliver Kahn nimmt bei Tipico Sportwetten entgegen.
Künstliche Intelligenz programmieren: Cognigy bringt Computern sprechen bei
Sascha Poggemann hat Cognigy gemeinsam mit Philipp Heltewig vor fast drei Jahren gegründet. Der 32-Jährige erinnert sich noch gut an die Anfänge, eigentlich wollte er nämlich einen sprechenden Teddybären entwickeln: „Der Teddy sollte zum Beispiel Happy Birthday singen und sich mit mir unterhalten können“, erklärt Sascha. Auf dem Markt haben er und sein Mitgründer jedoch nicht das passende Sprachprogramm gefunden, um den Teddy zum Reden zu bringen. „Also haben wir Techies uns hingesetzt und angefangen, selbst zu coden.“
Teddybär von Cognigy: Vom Stofftier zum „Kundenservice der nächsten Generation“. (Foto: Bernd Wichmann)
Sascha erzählt das alles, als wäre es keine große Sache gewesen. Nach seinem Abitur hat er Informationstechnik studiert, bevor er in ein junges Unternehmen einstieg, das sich auf smarte Technik für Häuser und Wohnungen spezialisiert hatte. Sascha war dort für sämtliche Hard- und Software-Entwicklungen zuständig und entwickelte vernetzte Haushaltsgeräte. Dann wurde es ihm zu langweilig, er hatte seinen Job erledigt und wollte mehr. Nach fünf Jahren kündigte Sascha, um selbst zu gründen. Es war die Zeit, in der Sprachassistenten wie Amazons Alexa in deutsche Wohnzimmer einzogen.
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Heute liegt der Teddy-Prototyp in einem Schrank. Anstelle von sprechendem Spielzeug entwickelt Cognigy nun Software-Produkte, mit denen Unternehmen ihre eigenen Chatbots entwickeln können. Zu den Kunden zählen Fluggesellschaften wie Vueling, Versicherungen wie Arag und Autohersteller wie BMW.
Sie bekommen eine Art Baukasten, einen graphischen Gesprächs-Editor, mit dem sie typische Abläufe von Kundengesprächen simulieren können. Sascha vergleicht diesen Baukasten mit der Oberfläche eines Handys: Nicht jeder versteht die Prozesse dahinter, dank der Apps ist die Bedienung aber trotzdem kinderleicht. Mit dem Baukasten können auch Laien einen Chatroboter bauen – ohne selbst programmieren zu müssen.
Künstliche Intelligenz-Unternehmen: Cognigy hat ein zweites Büro in San Francisco eröffnet
Das Intelligente am Bot: Im Idealfall ist er in der Lage, ein wirkliches Gespräch zu führen. Er versteht die Bedürfnisse, stellt Nachfragen und merkt sich alles, was der Kunde sagt. Chatbots, die auf Künstlicher Intelligenz basieren, lernen außerdem mit jeder neuen Anfrage dazu. Sie erkennen etwa wiederkehrende Ausdrücke und nehmen diese dann in ihren Wortschatz auf. Vorher muss ein Mensch das allerdings absegnen. Künstliche Intelligenz im Autopilot? Gibt’s bei Cognigy nicht.
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Denn dann könnte es passieren, dass der Chatbot auf einmal auf die Idee kommt, den Kunden zu duzen, statt ihn förmlich anzusprechen. „Klingt banal, ist aber eine große Sache für ein Business. Gerade bei Banken oder Versicherungen ist das ein absolutes No-Go“, erklärt Sascha. Dazulernen dürfen die Bots trotzdem, aber nur unter strenger Aufsicht.
Cognigy-Sprachsteuerung im Roboter Pepper: „How can I help you?“
Regelmäßig veröffentlicht Cognigy Updates für seine Kunden. Die Programmierer entwickeln den Baukasten immer weiter, statten ihn mit neuen Werkzeugen aus. Mittlerweile beschäftigt das Start-up in Düsseldorf 30 Mitarbeiter und hat in San Francisco seinen US-Standort eröffnet. Cognigy arbeitet profitabel und macht Millionen-Umsätze. Die weitere, internationale Expansion ist geplant.
Jürgen Gietl ist Experte für Technologiemarken und Partner bei der Managementberatung BrandTrust. Ihm zufolge besitzt Cognigy alles, was eine Technologiemarke in der digitalen Welt braucht: Das Start-up mache seine Leistungen auf einfache Weise erlebbar, gebe seinen Kunden Lösungen für tatsächliche Probleme und habe den hohen Anspruch, eine ganze Branche für immer zu verändern.
Der Ansatz, nicht nur eine Software zu entwickeln, sondern ein offenes System für die Mensch-Maschine-Kommunikation anzubieten, unterscheide Cognigy von anderen Wettbewerbern: „Technologien sind – früher oder später – kopierbar. Ein darum herum gebautes System jedoch nicht“, sagt Gietl.
Künstliche Intelligenz ist heute in fast allen Branchen angekommen. Allein im Facebook-Messenger sind 300.000 verschiedene Chatbots aktiv. Die Vorteile sind offensichtlich: Ein Chatbot ist rund um die Uhr verfügbar, nie krank, braucht keinen Urlaub und vergisst nichts. Cognigy-Gründer Sascha bezeichnet Chatbots als „Kundenservice der nächsten Generation“. Es reiche heutzutage nicht mehr, Tage später auf ein Kundenanliegen zu reagieren. „In Zeiten von blauen Häkchen und Echtzeit-Kommunikation erwarte ich sofort eine Antwort“, sagt Sascha.
Der Vorteil: Viele Menschen, die sich an den Kundendienst wenden, haben ähnliche Anliegen. Diese kann der Chatbot in wenigen Schritten lösen. In schwierigen Fällen können menschliche Berater eingreifen und sich mehr Zeit für die Kunden nehmen.
Jobs mit Künstlicher Intelligenz: Viele Cognigy-Mitarbeiter haben Informatik studiert
Dass Chatbots und Menschen in Zukunft um Jobs konkurrieren, glaubt Sascha nicht: „Wenn Unternehmen ihre Prozesse nicht automatisieren, sind sie in Zukunft nicht mehr wettbewerbsfähig. Dann würden wesentlich mehr Jobs wegfallen.“ Außerdem seien die Tätigkeiten, die der Bot übernehme, stupide und wiederkehrende Aufgaben. Menschliche Intelligenz könnten Unternehmen an anderer Stelle effizienter einsetzen.
Sascha vor dem Cognigy-Büro: „Es ist das Funkeln in den Augen der Bewerber, was mich überzeugt.“ (Foto: Bernd Wichmann)
Künstliche Intelligenz ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie versteckt sich in der Gesichtserkennung des Smartphones, hinter Google Maps und zwischen personalisierten Werbeanzeigen bei Amazon. Wer sich für Künstliche Intelligenz interessiert, braucht nicht unbedingt einen technischen Studienabschluss, erklärt Sascha, es gebe auch andere Wege, sich mit KI zu beschäftigen. Im Vertrieb reiche ein betriebswirtschaftlicher Studiengang aus. Wer KI allerdings verstehen will, der müsse unter die Oberfläche, die IT-Prozesse nachvollziehen.
Die meisten Mitarbeiter bei Cognigy haben daher Informatik studiert oder eine Ausbildung zum Fachinformatiker gemacht. Wenn Sascha neue Mitarbeiter einstellt, achtet er aber nicht als Erstes auf die technischen Fertigkeiten. „Es ist das Funkeln in den Augen der Bewerber, was mich überzeugt“, erklärt der 32-Jährige. Das Technische könne man jemandem beibringen, die Neugierde und die Leidenschaft aber müssen die Bewerber im Herzen tragen.
Saschas Arbeitstag beginnt früh und endet spät. Er ist nicht nur für die Organisation des Start-ups zuständig, sondern betreut auch aktiv Kunden und wirkt im Vertrieb mit. Er vergleicht seinen Arbeitstag mit einem Puzzle. Jeden Tag steht er vor neuen Herausforderungen, kleinen Hürden, die es zu überwinden gilt. Aber wie kein Puzzleteil dem anderen gleicht, ist auch jede Aufgabe, die Sascha lösen muss, für ihn eine neue und willkommene Abwechslung.
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