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„Kokain ist in allen Schichten der Gesellschaft angekommen"

Kokain: „Die Droge ist in allen Schichten der Gesellschaft angekommen.“ (Foto: Imago)

Kokain wird in Deutschland immer beliebter. Warum kommt die gefährliche Droge tonnenweise ins Land – und wie ist das Verbrechen organisiert? Zwei Experten des Bundeskriminalamts liefern Antworten. 


„Zwei Kilo Kokaina, direkt aus Costa Rica. Alles rein wie Mona Lisa, bald bin ich Großverdiener!“ So reimt der Rapper Miami Yacine in seinem Song „Kokaina“ – und landet einen Hit, der allein auf Youtube schon mehr als 135 Millionen Mal angehört wurde.


Auch auf der Streaming-Plattform Netflix wird das weiße Pulver zur Pop-Kultur. Dort füllen die Geschichten von Drogenbossen wie Pablo Escobar und „El Chapo“ mehrere Staffeln. Kokain gibt es in Deutschland aber nicht nur in den Charts oder in Serien. Die Droge gehört mittlerweile zu den gefragtesten Rauschgiften des Landes.


Kokain: „Der Preis für ein Gramm Koks liegt in Deutschland bei 70 Euro“

2017 stellten Mitarbeiter des Bundeskriminalamts viermal so viel Kokain sicher wie im Jahr davor – insgesamt rund 8.100 Kilogramm. In dieser Woche hat die Staatsanwaltschaft Landshut Anklage gegen acht Männer erhoben. Ermittler gehen davon aus, dass sie Teil eines Netzwerks sind, das zwischen September 2017 und April 2018 rund zwei Tonnen Kokain nach Deutschland geschmuggelt haben soll. Es dürfte einer der größten Kokain-Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik werden.


Kokain ist eine gefährliche Droge, dessen Konsum erhebliche Nebenwirkungen für die Konsumenten haben kann. Der Puls steigt, es kann zu Herzrasen und erhöhtem Blutdruck kommen. Die Droge verengt außerdem die Blutgefäße und unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Durst. Bei zu hoher Dosierung kann Kokain Wahnzustände, Krämpfe und Zittern auslösen.


Wie kommt die illegale Droge in so großen Mengen nach Deutschland? Und was kann die Polizei überhaupt gegen den Kokainhandel tun? Wir haben beim Bundeskriminalamt nachgefragt. Bettina Fehlings leitet den Bereich „Auswertung Heroin, Kokain und Cannabis, Lagebereich Rauschgift“, Markus Crecelius arbeitet im Sachgebiet „Auswertung Kokain“.


Frau Fehlings, Herr Crecelius: Hat Deutschland ein Problem mit Kokain? 
Wir erkennen einen zunehmenden Koka-Anbau in den Herkunftsländern sowie eine zunehmende Verfügbarkeit von Kokain in den Konsumländern und somit auch in Deutschland. Kriminelle Gruppen verdienen mit dem Kokainhandel sehr viel Geld und investieren es zum Beispiel in Luxusgüter oder Immobilien.


Ab welcher Schwelle wird diese Entwicklung zum Problem?
Das ist eine gesellschaftliche Bewertung.


Gut, dann bleiben wir bei den Fakten: Der Handel von Kokain hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Woran liegt das? 
Auf der einen Seite am Geld, das kriminelle Organisationen sowohl in den Herkunftsländern als auch in den Zielländern mit dem Kokainhandel verdienen. Auf der anderen Seite scheint der Bedarf seitens der Konsumenten in den reichen Industrienationen in vergleichbarem Maße zu wachsen.


Und woher kommt das Koks, das Dealer in Deutschland verkaufen?

Hauptsächlich aus Südamerika. 75 Prozent des Kokains wird in Kolumbien hergestellt und dann über Transitländer, also Brasilien, Ecuador und Panama nach Europa und in die USA verschifft.


Wie funktioniert der Transport der Drogen?
Die Organisationen unterhalten teilweise hervorragende Kontakte zu kriminellen Beschäftigten in den jeweiligen Seehäfen, was das Deponieren von Kokain wesentlich erleichtert. Sie verstauen mit Kokain gefüllte Taschen hinter der Tür eines Containers. So kommen die Mittäter dann am Zielort schnell an die Ware. Den Container verschließen sie dann wieder und versehen ihn mit einem gefälschten Siegel. Dadurch wird die missbräuchliche Benutzung des Containers im Regelfall weder durch den Zoll noch durch die eigentliche Empfängerfirma der Legalware bemerkt. Die Schmuggelmengen liegen in der Regel im dreistelligen Kilogramm- oder im Tonnenbereich.


Wie kommen diese Mengen auf die Containerschiffe?
Oftmals gelangt das Kokain erst dann auf die Schiffe, wenn diese den Hafen schon verlassen haben. Kleinere Schiffe bringen die Drogen dann aufs Schiff. Vor dem europäischen Zielhafen geben involvierte Besatzungsmitglieder die Ware an kleinere Schiffe weiter oder werfen wasserdichte Taschen und Behälter mit dem Rauschgift über Bord. Peilsender und Bojen sorgen dafür, dass Schnellboote und Kutter die Ware finden, aufnehmen und an Land schmuggeln können.


Wie sind Organisationen aufgebaut, die Kokain vertreiben? 
Sie verfügen über modernste Technik und arbeiten international. Sie haben Verbindungen in Herkunfts- und Transitländer. Südamerikanische Gruppierungen verkaufen das Kokain an europäische Organisationen wie beispielsweise kriminelle Gruppierungen des Balkans und der italienischen Mafia, die es dann innereuropäisch überwiegend mit dem Auto, auf dem Luftweg oder per Post in die einzelnen Länder schmuggeln. In Deutschland sind bei den Handelsdelikten vor allem türkische, albanische und libanesische Gruppierungen festzustellen.


Welche Tricks wenden Schmuggler beim Verstecken der Ware an?
Wir sprechen hier von hochprofessionellen eingebauten Verstecken unter Sitzen und in Handschuhfächern von Fahrzeugen, die teilweise ein Fassungsvermögen von über 50 Kilogramm haben. Sie sind zum Teil auch elektronisch gesichert, sodass viele Beamte, die nach Rauschgift suchen, das Versteck gar nicht finden. Teilweise kann die Verstecke nur öffnen, wer mehrere Tasten im Auto in der richtigen Reihenfolge hintereinander drückt. In einem Fall war es sogar so, dass man einen Magneten an die richtige Stelle setzen musste, damit die Ware zum Vorschein kam.


Wie hoch ist der Preis für ein Kilo Koks? 
Der Preis für ein Kilogramm Kokain in Deutschland betrug 2017 im Durchschnitt 41.727 Euro, der Straßenpreis liegt im Durchschnitt bei etwa 70 Euro für ein Gramm. Der Preis richtet sich dabei nach der Abnahmemenge und dem jeweiligen Transportrisiko. Je weiter das Rauschgift in Richtung Europa transportiert wird, umso teurer wird es. In Deutschland ist der Kokainpreis seit Jahren stabil. Der Preis variiert je nach Region und ist auch vom Reinheitsgehalt abhängig.


Weiß man etwas über die Gewinne von Dealern?
Konkrete Zahlen haben wir dazu nicht. Wir sprechen hier natürlich auch immer von mehreren Handelsstufen, die man nicht immer gut voneinander abgrenzen kann. Die Kilopreise für Kokain in den Herstellerländern in Südamerika variieren stark, je nach Transportrisiko zwischen 750 bis 10.000 Dollar, wobei der Preis natürlich immer auch von der Form des Kokains, der Reinheit und der Abnahmemenge abhängig ist.

Grafik Drogen hohe Margen

Wer kokst in Deutschland?
Sehr lange wurde Kokain als Partydroge oder als Droge der Reichen angesehen. Heute ist Kokain in allen Gesellschaftsschichten angekommen, die es bezahlen können. Es ist mit etwa 70 Euro pro Gramm die teuerste Droge, die auf dem Markt ist.


Warum koksen Menschen?
Kokain ist im Vergleich zu anderen Drogen recht einfach zu konsumieren. Insbesondere das Schnupfen von Kokain ist unkompliziert und einfach möglich. Kokain unterdrückt die Müdigkeit, man kann also den Schlaf hinauszögern, die Leistungsfähigkeit und Ausdauer kann gesteigert werden. Teilweise nimmt auch das sexuelle Verlangen durch Kokain zu.


Koksen auch junge Leute?
Der Preis für Kokain ist sehr hoch. Deshalb gehen wir davon aus, dass junge Menschen eher auf andere Drogenarten ausweichen. Mittlerweile gibt es im Bereich der psychoaktiven Drogen viele Stoffe, die genauso wirken wie Kokain, zum Beispiel Amphetamine.


Rapper wie Yung Hurn, Bonez MC und Miami Yacine feiern Koks in ihren Songs. Steigert das die Beliebtheit der Droge?
Es ist möglich, dass Lieder solcher Rapper generell die Akzeptanz von Drogen erhöhen. Wenn das persönliche Vorbild von Drogen singt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass man selbst Drogen konsumiert, natürlich größer. Wir gehen nicht davon aus, dass dadurch der Kokainkonsum bei jungen Leuten steigt, da sich die Fans die Droge meistens nicht leisten können.


Ist Koks beliebter als Cannabis?

Nein. Cannabis ist die mit Abstand am häufigsten konsumierte Droge in Deutschland. An zweiter Stelle kommt Amphetamin, Kokain steht an dritter Stelle.

Was kann die Polizei gegen Kokainschmuggel tun?
Im besten Fall kann die Polizei die kriminellen Gruppierungen zerschlagen. Aber auch die Drogen aus dem Verkehr zu ziehen und Informationen über die Gruppierungen zu erlangen, gehört zu unseren Aufgaben.


Wie gefährlich ist die Polizeiarbeit in der Drogenszene?
Die kriminellen Gruppierungen sind sehr gewalttätig. In Amsterdam gab es in den vergangenen Jahren mehrere Morde im Rauschgiftmilieu. Die Täter stammten aus rivalisierenden albanischen Organisationen. In Serbien und Montenegro haben sich auch Clans bekämpft, sie haben sich gegenseitig erschossen und Autobomben gezündet. Gewalt gegen die Polizei kommt dagegen selten vor.


Wie viel hat die Polizeiarbeit in Deutschland mit Serien wie „Narcos“ oder „4 Blocks“ zu tun?
Nicht so viel. Ich erlebe das immer wieder in Auswahlverfahren, wenn junge Leute sich bei uns für die Kommissarslaufbahn bewerben und sich die Polizeiarbeit vorstellen wie im Krimi. Das ist von der Realität meistens weit entfernt.


Was müssen denn junge Bewerber mitbringen, die als Drogenkommissare arbeiten möchten?
Sehr viel Geduld. Ein Fall wird meistens nicht in wenigen Tagen gelöst, sondern eher in ein paar Jahren. Außerdem ist der Job mit viel Schreibtischarbeit verbunden, das darf man nicht vergessen.


Koks gibt es schon ewig und der Handel floriert, manchen scheint die Polizei machtlos. Würde es Sinn machen, Koks zu legalisieren?
Dazu möchte ich gerne ein Gegenbeispiel geben: In den letzten Jahren hatten wir ein großes Problem mit Wohnungseinbruchdiebstahl in Deutschland. Kein Mensch wäre auf die Idee gekommen deshalb den Wohnungseinbruchdiebstahl zu legalisieren. Die Mehrheit der Menschen ist dafür, dass Rauschgift, genauso wie Wohnungseinbruch und Fahrraddiebstahl verboten ist. Deshalb sind diese Dinge illegal.


Danke für das Gespräch! 


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