Man kann das Problem der modischen Überproduktion lindern, indem man sie in die digitale Sphäre verlegt. Oder klimaschädliches CO₂ nutzen, um daraus neue Textilien zu produzieren. Wieder andere entwickeln Kleidung, die die Gefühle ihres Trägers kommuniziert. Es kommt auf die richtigen Ideen und den Mut an, sie tatsächlich zu verwirklichen. Wir stellen findige Geister vor, die sich nicht mit dem Status Quo zufrieden geben wollen, sondern Mode neu erfinden - egal, in welcher Sphäre.
Kristin Neidlinger
Ihr Lieblingsgefühl? „Das, bei dem man laut ‚Woaaah!' ruft, weil man von einer Situation so positiv überwältigt ist", sagt Kristin Neidlinger. Als Biomedia-Designerin entwirft sie Kleidung und Accessoires, die die jeweilige Stimmung des Trägers in ein auditives, taktiles oder farbliches Signal übersetzen. Wenn sie sich ‚Woaaah!' fühlt, leuchtet ihr sogenannter „Mood Sweater" pink. Möglich wird das durch Sensoren, die körperliche Faktoren messen und aus ihrem Zusammenspiel Aussagen über die Emotionslage treffen. Neidlinger nutzt die Daten zur weiterführenden Forschung im Rahmen ihrer Doktorarbeit. Bewährt hat sich ihre Stimmungsmode für Autisten, für die das Vermitteln und Erkennen von Emotionen eine besondere Herausforderung ist. Und kürzlich stellte die Europäische Weltraumorganisation Esa ihren Astronauten die Mood Sweater bei einer Teambuilding-Übung zur Verfügung. Die Möglichkeiten, durch Neidlingers „externalisierte Intimität" eine gemeinsame Kommunikationsbasis zu schaffen, sind vielfältig.
The Dematerialized
Schon heute wird Mode zum Teil nur gekauft, um von Influencern auf Selfies präsentiert zu werden. Warum also nicht gleich zu Pixelkleidern greifen und dabei textile Ressourcen sparen? Karinna Nobbs und Marjorie Hernandez haben dafür The Dematerialised gegründet, einen neuen digitalen Erlebnisraum und Marktplatz - eine Art Amazon für digitale Mode. Pixelmode war bislang ein Nischenphänomen der Gaming-Welt und im Mainstream kaum präsent. Problem: die Wertschöpfung. Hernandez sagt: „Wie kann ein digitales Kleid mir gehören? Und vor allem: Wie verdient ein Designer daran?" Als erfolgreiche Mitgründerin der Blockchain- Plattform Lukso, die eine transparente und nachhaltige Produktion in der digitalen und physischen Sphäre fördert, kennt Hernandez die Antwort auf solche Fragen. Im konkreten Fall versieht die Blockchain-Technologie das Kleid mit Informationen darüber, ob es ein Einzelstück ist oder zigfach verbreitet werden darf. So wird digitales Besitztum möglich. Ebenso kann man den Urheber hinterlegen, der immer dann mitverdient, wenn seine digitale Kreation verkauft wird. Perspektivisch wird man auf Plattformen wie The Dematerialised digitale Mode genauso einfach kaufen können wie physische.
Antje Hundhausen
Niemand friert gern, für Antje Hundhausen und Ahmet Mercan ist der Gang über ein frostiges Flugfeld auf dem Weg von einem gemeinsamen Termin aber die Geburtsstunde einer gemeinsamen Idee: Was wäre, wenn man immer so angezogen wäre, dass man nicht frieren muss? Hundhausen hat 2016 die Telekom Fashion Fusion gegründet und treibt dort technologisch-modische Innovationen voran, Mercan von Alpha Tauri, der Lifestyle-Marke von Red Bull, interessiert sich für modisches Neuland. Zusammen entwickeln sie die Idee für eine Jacke und eine Weste, die im Winter wärmt und im Sommer kühlt, bequem geregelt per App. Die Heatable Capsule Collection ist ein Gemeinschaftswerk: Die Telekom Fashion Fusion stellt die Technik, Alpha Tauri das urbane Design, und von Schoeller Textil, wo CEO Siegfried Winkelbeiner begeistert an Zukunftstextilien forscht, stammt die hochleistungsfähige waschbare E-Softshell als Meterware. Hundhausen sagt: „Die Jacke trägt sich erstaunlich leicht und angenehm weich." Zukünftig soll die Technik auch in anderen Produkten eingesetzt werden und mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, die erkennt, ob einem warm oder kalt ist, und die Temperatur gleich selbst reguliert.
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