Małgorzata Kidawa-Błońska wird Spitzenkandidatin der Bürgerkoalition (KO) und tritt gegen den amtierenden Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki an. Eine Überraschung in einem Wahlkampf, der mit harten Bandagen gefochten wird. Der Soziologe Prof. Andrzej Rychard von der Polnischen Akademie der Wissenschaften erläutert die Strategien im polnischen Wahlkampf.
Spricht man im Wahlkampf mehr vom Gegner als von sich selbst?
Andrzej Rychard: Es ist tatsächlich so, dass man viel über den Gegner spricht. Es dient dazu, eine Identität aufzubauen. Die polnische Politik ist in zwei Lager geteilt. Und die beiden Lager unterscheiden sich zunehmend auf einer gesellschaftlichen Ebene statt auf einer politischen. Und die beiden Lager tun alles, um sich voneinander zu unterscheiden. Um ins Gedächtnis der Wähler als völlig anders einzuschlagen. Deswegen konzentrieren sie sich eher darauf, was beim Gegner passiert und was man kritisieren kann, als darauf, etwas Positives über sich selbst zu sagen.
Braucht man aufmerksamkeitswirksame Methoden wie die Kampagne "Zisternen des Schams"?
Rychard: Es ist bisschen mehr Schein als Sein. Leider sehen wir das in polnischen Wahlkämpfen, aber meiner Meinung nach nicht nur in polnischen. Unzureichende programmatische Gedanken und konkurrenzfähige Programme werden mit diesen zusätzlichen Formen der Kampagne im Typ der fahrenden Zisternen, der Werbetafeln kompensiert. Werbetafeln scheinen zu wenig zu sein. Wir beschweren uns darüber, dass es keine Programme gibt. Aber auf der anderen Seite lesen die Leute keine Programme.
Im Parteiprogramm der PiS-Partei steht die traditionelle polnische Familie im Zentrum. Ist das die Vision, die die Polen teilen?
Rychard: Für manche Menschen mag es attraktiv sein, denn das ist die Vision einer einfachen Modernisierung: Wir akzeptieren euren Konservatismus, dass ihr euch vor Fremden fürchtet, manche von euch, oder auch viele. Ihr müsst euch dessen nicht mehr schämen, denkt nur an Kirche und Staat .Das ist eine völlig andere Vision, das ist eine andere zivilisatorische Vision, als jene Vision, die über 30 Jahre hinweg aufgebaut wurde. Damals wurde gesagt, wenn wir eine wohlhabende Gesellschaft sein möchten, heißt es auch Demokratie, Zusammenhalt der Bürger, Toleranz der anderen. Und jetzt ist die Kommunikation so: Nein, wir werden das nicht von euch verlangen, bleibt bei Eurer konservativen Perspektive auf die Welt. Die Frage ist, bei wem das ankommt. Bei dem großen Teil, ja. Es wächst jedoch der Teil, bei dem das, aus meiner Sicht, nicht ankommt.
Wieso gewinnt die Opposition dann nicht an Zuspruch? Ist sie zu passiv?
Rychard: Es ist nicht so, dass die Opposition völlig passiv ist. Im Gegenteil, letztens wurde sie aktiver. Die Tatsache ist aber, dass die Regierenden regieren. Die haben die Macht und sind in der Lage dazu, finanzielle und soziale Versprechen vorzulegen. Zwangsläufig werden sie als glaubwürdiger betrachtet, da sie die Mittel haben, um die Versprechen zu verwirklichen. Die Versprechen der PiS-Partei sind auch so stark, weil die bisherigen sozialen Versprechen im großem Umfang realisiert wurden.
Ist Małgorzata Kidawa-Błońska als Spitzenkandidatin der Bürgerkoalition (KO) in der Lage dazu, dagegen anzutreten?
Rychard: Für Kidawa-Błońska ist es ein riesen Test, eine Zeit der Prüfungen. Wir kennen sie größtenteils daher, wer sie nicht ist: Sie ist keine aggressive, schreiende Person. Sie schiebt sich nicht in diese Unverschämtheit der Politik. Was wir erwarten, ist folgendes: wer ist Kidawa-Błońska, was hat sie selbst zu sagen? Und schafft sie die Rolle einer eigenständigen Politikerin anzunehmen. Ich denke, sie ist in der Lage dazu, sehr, sehr schnell zu lernen. Sie ist Soziologin und meiner Meinung nach verleiht ihr das Kompetenzen. Das werden wir also in kurzer Zeit sehen. Außerdem hat die PiS-Partei auf viele von der Opposition erwähnten Vorwürfe nicht reagiert, beispielsweise auf die Affäre im Justizministerium.
Es gibt noch mehr Skandale, aber die Regierungspartei führt die Umfragen an. Trägt die PiS-Partei davon keinen Schaden?
Rychard: Nicht alles, was sich ganz direkt in den Umfragen zeigt, ist das, was Spuren hinterlässt. Über die PiS sagt man häufig, sie sei eine Partei von dem Charakter eines Teflon-Herds: Teflon geht bei gewaltvollem Einwirken nicht kaputt. Teflon bekommt aber Risse, nicht wahr? Eine Herdplatte aus Teflon kriegt Risse und Risse, sie funktioniert über einige Zeit weitere, aber sie funktioniert immer schlechter. Und das sind Prozesse, die eher lange dauern. Und wer weiß, ob das nicht auch hier so sein wird.