Amsterdam - Gemächlich tuckert das Ausflugsboot den Kanal entlang. Vorbei an prächtigen Giebelhäusern und unter steinernen Brücken hindurch bahnt es sich den Weg zwischen unzähligen Tret-, Ruder- und Motorbooten, die die Prinsengracht hinunterschippern. Das verzweigte Kanalsystem Amsterdams verführt dazu, die Stadt vom Wasser aus kennenzulernen.
Seit August kann sich Amsterdam dem Titel "Unesco-Welterbe" schmücken. Geadelt wurde der Grachtengürtel, dessen drei Hauptkanäle die Amsterdamer Altstadt im Süden und Westen als Halbkreis umschließen. Das Häuser- und Wasserstraßen-Ensemble aus dem 17. Jahrhundert gilt als städtebauliches Gesamtkunstwerk. Es zeigt den Glanz des Goldenen Zeitalters der Niederlande, das Ende des 16. Jahrhunderts mit dem Aufstieg Hollands zur führenden Seehandelsnation der Welt begann.
Im Jahr 1602 schlossen sich die niederländischen Kaufmannskompanien zur Niederländischen Ostindien-Kompanie zusammen. Später wurde nach ihrem Vorbild auch eine Westindien-Kompanie gegründet. Das Geschäft mit Kolonialwaren ließ die Wirtschaft in Holland boomen, gleichzeitig herrschte Religionsfreiheit. Zahlreiche Kaufleute, Handwerker und religiös verfolgte Gelehrte zog es in die Hafenstadt Amsterdam.
Die Bevölkerungszahl explodierte. Um Wohnraum und Platz für Handelskontore zu schaffen, beschloss man, die Stadt nach Süden und Westen hin zu erweitern. In einem enormen Kraftakt wurden das sumpfige Gebiet trockengelegt und Tausende Holzpfeiler als Fundamente für die neuen Häuser in den sandigen Untergrund gerammt.
Prachtvolle Salons und barocke Gärten
In den nächsten Jahrzehnten entstanden die drei großen Kanäle Herengracht, Prinsengracht und Keizersgracht, die über unzählige kleinere Nebenkanäle miteinander verbunden wurden. Die exklusivste Adresse war ein Abschnitt auf der Herengracht, genannt "Gouden Bocht", die goldene Bucht. Hier ließen die wohlhabendsten Bürger der Stadt luxuriöse Giebelhäuser mit prachtvollen Salons und barocken Gärten errichten.
Ein Besuch im Rijksmuseum vermittelt einen Eindruck des Lebensstils der Amsterdamer Oberschicht im "Goldenen Zeitalter": Neben den Gemälden der berühmtesten Vertreter dieser Epoche - Rembrandt, Frans Hals, Vermeer - sind Haushaltsgegenstände aus Porzellan und Silber und prachtvolle Holzmöbel ausgestellt.
Wer im 17. Jahrhundert seinen Reichtum besonders zur Schau stellen wollte, leistete sich als Prunkmöbelstück ein mannshohes Puppenhaus mit winzigem China-Porzellan, Stofftapeten und Miniaturmöbeln aus Walnussholz. Die winzigen Tische und Stühle wurden von den besten Möbelherstellern der Zeit gefertigt - zu horrenden Preisen. Das Puppenhaus der Petronella Oortman, das heute im Rijksmuseum steht, kostete geschätzt 20.000 bis 30.000 Gulden. Für diese Summe hätte die reiche Dame damals auch eine echte Villa am Kanal kaufen können.
Der Grachtengürtel ist bis heute eine der beliebtesten Wohnadressen der reichen Amsterdamer geblieben, auch wenn es direkt in der goldenen Bucht praktisch keine privaten Mieter mehr gibt. Heute residieren in den barocken Stadtpalästen an der Herengracht Banken, Versicherungen und Rechtsanwaltskanzleien. Auch das Goethe-Institut hat hier seinen Sitz. Derzeit werden viele der alten Häuser renoviert, um Besuchern das Weltkulturerbe-Viertel in strahlendem Glanz zu präsentieren. Das Niederländische Büro für Tourismus rechnet damit, dass nach der Ernennung zum Welterbe der Strom der Besucher noch einmal deutlich anschwellen wird.