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Wie Studierende im kommenden Semester mitbestimmen wollen

Eigentlich hätte diese Woche das Sommersemester angefangen. Wegen der Corona-Krise wurde der Start aber vielerorts verschoben. Wie genau das Semester aussehen soll, ist noch nicht ganz klar. Manche Hochschulen, wie die Uni Kiel, hatten in Erwägung gezogen, das Semester komplett zu streichen. Aber eines steht jetzt fest: Es wird stattfinden. Damit das klappen kann, setzen die Hochschulen auf digitale Lehre - eine pauschale Regelung, die für alle Universitäten und Fachhochschulen gilt, gibt es allerdings nicht. „Man muss von Fach zu Fach entscheiden, inwiefern digitale Angebote funktionieren. Ich plädiere für Einzelfallentscheidungen", sagt Dr. Matthias Jaroch vom Deutschen Hochschulverband auf Nachfrage von jetzt. Die Bedürfnislage der Studierenden sei sehr unterschiedlich und darauf müsse man flexibel reagieren können.

Das bildungspolitische Bündnis „Lernfabriken Meutern" sieht diese Entwicklung mit Sorge. Teil des Bündnisses sind Schüler*innen, Lehrer*innen, Studierende und Dozierende. Darunter auch Fachschaften, Jugendverbände und der „freie Zusammenschluss von Studierendenschaften" (fzs). Zusammen haben sie vergangene Woche Donnerstag zum einwöchigen Online-Protest aufgerufen. Unter dem Hashtag #Bildungskrise sollen Studierende und Dozierende auf Social Media teilen, welche Probleme ein Semester mit rein digitaler Lehre ihnen bereiten wird. „Man kann zeigen, dass man nun in einer Besenkammer ohne Tisch studieren muss", sagt Sandro, einer der Initiator*innen der Online-Demo „Lernfabriken Meutern". Sie wollen, dass das Semester stattfindet, aber unter geänderten Bedingungen: Anwesenheit soll freiwillig sein, Fristen für Prüfungen und BAFöG sollen verschoben werden. Außerdem brauche es mehr Medienpädagog*innen in den Bildungseinrichtungen sowie Fortbildungen zu digitaler Didaktik. Am 16. April soll es nochmal eine Kundgebung per Livestream geben.

Ähnliche Forderungen wie „Lernfabrik Meutern" hat auch die Initiative „Solidarsemester". Unter diesem Schlagwort steht seit vergangenen Montag ein zwölfseitiger Forderungskatalog online, den unter anderem der „freie Zusammenschluss von Studierendenschaften" (fzs), der studentische Verband der GEW, die Juso-Hochschulgruppen, der Bund grün-alternativer Hochschulgruppen und die Linke/SDS unterschrieben haben. Dieser Katalog ist deckungsgleich mit den Forderungen von „Lernfabriken Meutern". Die Studierenden sollen mitbestimmen dürfen, wie das kommende Semester aussehen soll. Nur im Dialog könne man Lösungen finden, die für alle passen. Dr. Jaroch vom Deutschen Hochschulverband hat für die Forderungen Verständnis: „Ich sehe niemanden, der sich dem entgegenstellen würde. Dass ihre Anliegen gehört werden müssen, ist selbstverständlich", sagt Dr. Jaroch.

Mit ihrem Anliegen sind die Studierenden nicht allein: die Münchner Soziologin Paula-Irene Villa Braslavsky, die Hannoveraner Amerikanistin Ruth Mayer und die Trierer Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier verfassten einen offener Brief mit dem Titel „Nichtsemester". Darin fordern sie, dass die Lehre das kommende Semester zwar stattfinden, das Semester aber formal nicht gelten solle. „Wenn Studierende wegen Care-Arbeit nicht studieren können oder sich sozial engagieren wollen, darf ihnen daraus kein Nachteil entstehen", heißt es in dem Papier. Außerdem wollen sie die Verlängerung oder Aussetzung von Fristen und eine Anpassung der BAföG-Regelung an die Krisensituation. Dieser Brief wurde bereits von mehr als 13 000 Dozierenden unterzeichnet.

Mit dieser Idee kann sich auch der „fzs" anfreunden. Denn: man könne Lehre nicht einfach eins zu eins ins Digitale übersetzen. Dafür brauche es neue didaktische Methoden und Fortbildungen für die Dozierenden, findet Jacob Bühler, Vorstand des „fzs". Er sagt weiter: „Vorlesungen kann man relativ leicht digitalisieren, aber schwierig wird alles, was interaktiv ist, wie etwa Praktika, Übungen und Seminare." Die Forderungen für ein „Solidarsemester" beziehen sich daher auf die konkrete Gestaltung der Online-Lehre. Aber auch finanzielle Unterstützung für Studierende und prekär Angestellte sind ihnen ein Anliegen. Außerdem wollen sie - so wie der offene Brief zum „Nichtsemester" - die Verlängerung von Fristen: die Regelstudienzeit und damit einhergehend die Förderhöchstdauer von BAföG soll um ein Semester verlängert werden.

Darüber hinaus wollen „Lernfabriken Meutern" sowie „Solidarsemester" noch weitreichendere finanzielle Unterstützung für Studierende. Sie plädieren für einen Solifond und dass Studierende Arbeitslosengeld-II beziehen dürfen. Sandro („Lernfabriken Meutern") erklärt: „Wegen Corona fallen nun zum Beispiel Messen aus. Diese Veranstaltungen sind eigentlich Arbeitgeberinnen für zahlreiche Studierende. Weil Studis aber in der Arbeitslosenversicherung versicherungsfrei sind, können sie kein Kurzarbeitergeld vom Staat beantragen und finden sich in einer prekären Lage wieder."

Die Forderungen nach einem Solifond oder ALG-II finden aber auch innerhalb der Studierenden nicht alle gut. So hat der „Ring Christlich Demokratischer Studenten" (RCDS) den Katalog vom „Solidarsemester" nicht unterschrieben: „Wir haben keine validen Zahlen darüber, wie viele Studierende sich mit ihrem Nebenjob den Lebensunterhalt finanzieren. Es gibt auch die Fälle - wie zum Beispiel mich -, die nebenher arbeiten, jedoch nicht auf den Job angewiesen sind. Deswegen schießt ein Solifond unseres Erachtens übers Ziel hinaus. Und ist außerdem nicht gerecht gegenüber den Steuerzahlern, die uns unser Studium finanzieren und gerade eventuell eigene Geldsorgen haben", sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende des RCDS, Franca Bauernfeind gegenüber jetzt. Sie sagt weiter: „Für die Fälle, in denen Studenten sich tatsächlich über den Nebenjob finanzieren müssen, wollen wir einen zinslosen Überbrückungskredit durch die KfW-Förderbank. Der Kredit soll Studenten die Möglichkeit geben, ohne in finanzielle Notlage zu geraten, für das kommende Semester in die geregelten Studienfinanzierungsmodelle zu gelangen."

Dem Bündnis „Lernfabriken Meutern" könnten sie sich auch deswegen nicht anschließen, weil sie mit dem Begriff „Meutern" und der Symbolik dahinter nicht mitgehen wollen. „Wer meutert, hört nicht zu und ist nicht bereit für einen offenen Diskurs und ein Miteinander an den Universitäten. Das, was wir in Zeiten von Corona aber jetzt brauchen" sagt Franca.

Die Universität Frankfurt hat bereits einiges richtig gemacht, findet Jacob (fzs). Diese hat einer Verlängerung der Regelstudienzeit um ein Semester bereits zugesichert. „So gut wie alle Hochschulen beteuern, dass es keinerlei Nachteile für Studis geben wird. Die meisten schrecken aber vor der pauschalen Verlängerung zurück und verweisen auf Härtefallanträge. Ich glaube, viele Hochschulleitungen wären eigentlich bereit dazu, haben aber Angst, dass das nötige Geld fehlt, um Fristen und Verträge zu verlängern", erläutert Jacob. Die Konsequenzen, die Frankfurt bereits gezogen hat, wünscht er sich von allen Hochschulen.

In einigen Dingen sind sich der RCDS, „Solidarsemester" und „Lernfabriken Meutern" allerdings wiederum einig: Es muss schnell Geld her für Digitalisierungskonzepte der Hochschulen. „Wenn die Online-Lehre gut gemacht ist, spricht eigentlich nichts dagegen. Das kostet aber Kohle", sagt Sandro. Studierende müssten mit Endgeräten versorgt werden. Er sagt weiter: „Wenn mein Router kaputt ist, wenn ich keinen Computer habe, kann ich nicht studieren. Daran darf es nicht scheitern. Und das muss auch nicht sein. Aber deswegen muss man jetzt über die Bereitstellung von Infrastruktur sprechen."

Auch wenn noch nicht bis ins Detail klar ist, wie das Semester aussehen wird, in vielen Punkten sind sich alle einig: Man will gemeinsam Lösungen finden, das Semester soll auf keinen Fall ausfallen, niemand soll vergessen werden. Wie gut das am Ende funktioniert, wird wohl erst in den nächsten Wochen klar werden.

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