Nach monatelangem Kopfzerbrechen, elend langem Durchklicken durch Uni-Webseiten, unter welchen scheinbar ein Wettbewerb läuft, wer den Studierenden die unübersichtlichste Website zumuten kann, und wiederholtem googeln der Frage: „Wie funktioniert eigentlich studieren?" hatte ich im Juli endlich alle meine Bewerbungen abgeschickt. Die erste Zusage kam einige Tage später aus Marburg, die letzte im August aus Potsdam. (Wie ich innerhalb von einigen Wochen nach Potsdam hätte ziehen sollen, das ist mir immer noch ein Rätsel.) München wurde gleich ausgeschlossen, da dort die Wartezeit auf einen Wohnheimplatz auch mal fünf Semester betragen kann - der Bachelor dauert sechs. Letztendlich bin ich dann doch in Frankfurt geblieben. Über die Vor- und Nachteile eines Studiums in Frankfurt hatte ich ja schon einmal für einen Artikel recherchiert. Nun pendle ich, wie so viele, fortan jeden Tag zur Uni.
Eine Woche vor Beginn der Einführungsveranstaltungen eskalierten die Erstis bereits in Facebook- und Whatsappgruppen. Wobei deutlich wurde, dass keiner so wirklich wusste, auf was er sich beim Studium eingelassen hatte. Fragen über Fragen, wie zum Beispiel: „Wer hat noch Geschichte als Nebenfach?", „Muss man sich für irgendetwas anmelden?" „Wie jetzt? Wir müssen unseren Stundenplan im Vorfeld selbst erstellen!?" und „Haben wir Leute aus dem Sauerland?", sowie hilfreiche Informationen, wie „Leute, ich kann nicht schlafen!" und „Mein Zug hat fünf Minuten Verspätung!" wurden den teilweise über 200 Mitgliedern der Gruppen mitgeteilt. Panikanfälle hatte ich jedoch zugegebenermaßen auch einige, wie zum Beispiel beim Erstellen meines Stundenplans, oder viel mehr bei dessen Versuch - einem Studium für sich.
Die Reihenfolge der Module kann man theoretisch frei wählen, allerdings liegt hierbei in der Wahl die Qual. Erstmal muss man sich in einem elektronische Vorlesungsverzeichnis der Universität, LSF genannt, anmelden und durch ein Vorlesungsverzeichnis quälen. Wenn man das gesuchte Modul gefunden hat, geht der Spaß erst richtig los. Jeder Professor hat andere Vorstellungen davon, wie man sich für sein Proseminar, seine Vorlesung oder Übung anmelden soll. Der eine möchte eine Anmeldung bei der ersten Sitzung, der nächste eine doppelte über das Vorlesungsverzeichnis und die Lernmittelplattform Olat (Ja, es gibt noch ein weiteres Portal, wofür ich mein Passwort finden musste) und die nächste Professorin sieht gar keine Anmeldung vor.
Auf meiner Suche nach einem exemplarischen Studienverlaufsplan stieß ich auf das nächste Problem: In jeder hilfreichen Erklärung und Definition fanden sich Links, um die Begriffe aus der Erklärung zu erklären, was damit endete, dass ich bei dem Öffnen des zwanzigsten Tabs nicht einmal mehr wusste, was ich am Anfang eigentlich erklärt haben wollte und der Internetbrowser erstmal abstürzte. Und noch eine andere Frage entstand: Wer kam auf die Idee, die Anmeldefrist Belegfrist zu nennen? Das ist verwirrend!
Mehr oder weniger vorbereitet stürzte ich mich am 9. Oktober in die Einführungswoche. Nachdem ich irgendwann aufgegeben hatte, mir die 100 neuen Nachrichten pro Minute in der Whatsappgruppe durchzulesen, in der sich einige zum gemeinsamen In-den-Hörsaal-hineinlaufen bereits verabredet hatten, probierte ich es ganz klassisch und altmodisch mit der kurzen Frage: „Hey, seid ihr auch Politik-Erstis?" und mit etwas Smalltalk, was auch ganz gut funktionierte.
Ich beschloss mir noch schnell einen Kaffee zu holen, immerhin war es bereits 12 Uhr und ich schon seit mindestens drei Stunden wach, aber der frühe Vogel fängt ja bekanntlich den Wurm. In der Schlange stand ein sehr deprimierter Ersti hinter mir, der gerade von der Einführungsveranstaltung für sein Nebenfach Geschichte kam und seine Wahl eindeutig zu bereuen schien. Zuvor war mir bereits ein weinendes Mädchen entgegengekommen - nicht sehr motivierend. Mit einem Kaffee in der Hand ging es dann in den Hörsaal 1 im Hörsaalzentrum (dafür steht nämlich die Abkürzung HZ1, wie ich herausfand).
In der Einführungsveranstaltung wurden wir zunächst alle zu unserer Wahl des Studiengangs und Studienorts beglückwünscht. Unter anderem stellten sich die Fachschaft und das Erasmusprogramm vor, bei dessen Vorführvideo von einem Auslandsaufenthalt in Island alle ins Träumen gerieten, nur um im Anschluss zu erfahren, dass Island noch nicht in das Erasmusprogramm an der Goethe-Uni aufgenommen wurde, woraufhin Gelächter ausbrach. Eine halbe Stunde nach Beginn der Veranstaltung kam ein Ersti mit schwarzem Sweatshirt mit der Aufschrift „RUN" in den Saal gehetzt - wie passend.
Nach der Vorstellung des offiziellen Programms und der Feststellung, dass sowohl Gleichstellungsrat wie auch der Asta nicht anwesend waren, um sich vorzustellen, folgten Informationen über das inoffizielle Abendprogramm. Dabei wurden wir dazu angehalten, uns möglichst nicht mit 3 Promille ins Krankenhaus zu trinken, immerhin seien wir ja volljährig, zumindest größtenteils. Damit wurden wir dann in die Mentoring-Gruppen entlassen und bekamen eine kleine Führung über „Europas schönsten Campus", der bei leichtem Nieselregen eher trist ausschaute.
Besonders für die zugezogenen Kommilitonen war der Montagabend im „Dauth Schneider" eine besondere Erfahrung und ein Schritt Richtung gelungene Integration, denn der regelmäßige Genuss von Ebbelwoi stellt einen der zehn Punkte der Frankfurter Leitkultur dar, weshalb einige Bembel bestellt wurden. So mancher Norddeutsche verzog sogleich beim ersten Schluck das Gesicht, aber wie ja allgemein bekannt ist: Probieren geht über Studieren. Auch an den folgenden Abenden wurden Bartouren, Feiern und Ähnliches organisiert. Viele der Politikstudierenden traf man beispielsweise am Mittwoch im Café KoZ wieder, wo geplaudert und Bier getrunken wurde.
Am Donnerstag, dem 12. Oktober fand im Hörsaalzentrum eine Unistartmesse statt, bei der uns Erstis die volle Bandbreite an Möglichkeiten, sich in der Uni zu engagieren und einzubringen, aufgezeigt wurde. Ich weiß wirklich nicht, wie ich Fechten, Ausdruckstanz und Spanischkurse, sowie mein Engagement bei Unicef, Amnesty International und in der Fachschaft, neben dem bereits mehrfach als sehr zeitaufwendig beschriebenen Nebenfach Volkswirtschaftslehre (VWL), meinen Nebenjobs und dem Hauptfach unter einen Hut bringen soll, denn ich habe ja auch noch Familie, Freunde und ein Netflix-Abonnement.
Die Lösung ist eindeutig - Schlaf wird überbewertet, denn die Regelstudienzeit schon im ersten Semester über den Haufen zu werfen, hatte ich eigentlich nicht vor, wie es uns auch am Montag empfohlen worden war mit dem Satz „Haltet die drei Jahre ein, wir bekommen nur so lange Geld für Sie!" Felix Sauer vom Asta, der bereits im elften Semester ist und somit das Angebot der Universität voll auszuschöpfen scheint, sagte hingegen bei der Begrüßungsveranstaltung der Unistart-Messe: „Wer sein Studium in sechs Semestern macht, der hat es nicht verstanden!" Oberbürgermeister Peter Feldmann bot ihm später an, dass er, falls er sich doch einmal dazu entscheiden sollte, die Uni zu verlassen, in seinem Büro arbeiten könnte (wie es auch seine Vorgängerin tue) - eine schlagfertige Retourkutsche auf die deutliche Kritik an Feldmann und der Universität selbst in Felixs Rede im Vorfeld.
Abgeschlossen wurde die Einführungswoche dann mit einer Party im Casino - hierbei handelt es sich um eine Gebäude auf dem Campus Westend, was entgegen meinem ersten Gedanken nichts mit einem Spielcasino zu tun hat - für die man zwei Stunden anstehen musste. Als wir um viertel nach zwölf endlich auch die Jacken abgegeben hatten, hieß es also: durchtanzen bis zum bitteren Ende, denn vor 4:42 Uhr fuhr sowieso kein Zug mehr zurück ins Dorf. Gesagt, getan. In der kommenden Woche wird dann wieder nach Frankfurt gependelt - und dann geht es mit dem Studium wirklich los.