Acht Jahre ist es her, dass in Syrien der Bürgerkrieg begann. Hunderttausende Menschen sind ums Leben gekommen, mehr als elf Millionen Syrerinnen und Syrer wurden vertrieben. Was es für eine Familie bedeutet, wenn ihre Mitglieder entweder tot oder über den gesamten Globus verteilt sind, lässt sich schwer nachempfinden. Das Trauma durch Giftgasangriffe, Folter, willkürliche Verhaftungen, Mord - wird es je überwunden werden können?
Nun, da Diktator Baschar al-Assad wieder zwei Drittel des Landes kontrolliert und sein Regime restauriert, scheinen einige Akteure über all das Leid und seine politischen Ursachen hinweg zu sehen. Bewusst und unbewusst wird die Normalisierung der Beziehungen mit dem syrischen Regime betrieben und Europas Unterstützung des Wiederaufbaus gefordert, obwohl dies faktisch eine Stärkung der Diktatur ist.
In Beiruter Hostels ist es wieder hip, für ein paar Tage nach Syrien zu fahren. Einfach mal sehen, wie es dort ist, sagen draufgängerische Rucksacktouristen. Dass ihre Trümmer-Touren, die ohne Zweifel die Wirtschaft in Syrien ankurbeln, bedenkliche politische Signale aussenden, ist wenigen bewusst. Sind halt Touristen, ließe sich sagen.
Aber was ist mit politischen und kirchlichen Vertretern? Die AfD entsandte eine Delegation, das passt ins Bild. Ihr scheint jedes Mittel recht, um Geflüchtete zu verhindern. Nun fuhr auch der katholische Eichstätter Bischof auf Einladung der syrisch-katholischen Kirche nach Syrien. Solidarität mit den dortigen Christen sei die Motivation gewesen, sagte der Bischof nach dem Besuch. Er betont, wie notwendig die Unterstützung der Bevölkerung und die Aussetzung der Sanktionen gegen das Regime sei. Den Begriff „Regime" findet er übrigens nicht neutral. Was stimmt. Gleichzeitig benutzt er aber den einseitigen Terminus der „befreiten Gebiete". Das gipfelt in der Aussage: „Wir sollten den Wiederaufbau ermöglichen".
Den Menschen geht es schlecht in SyrienIm Großen und Ganzen hat der Bischof ja Recht: Den Menschen geht es schlecht in Syrien. Die humanitäre Lage ist in vielen Landesteilen katastrophal. Es stimmt, dass die Bevölkerung sich ein normales Leben wünscht - einige würden dazu vielleicht auch Assad weiter hinnehmen. Nach acht Jahren Krieg ist das sogar nachvollziehbar. Klar ist, dass man den Menschen in Not helfen muss. Das passiert auch, über die Vereinten Nationen etwa. Ganz ohne Kooperation mit dem syrischen Regime funktioniert das nicht. Hilfslieferungen sind abhängig von syrischem Wohlwollen. Ein Dilemma, das ausgehalten werden muss.
Doch Unterstützung, die über humanitäre Nothilfe hinausgeht, wäre unter den derzeitigen Bedingungen falsch. Die Frage, ob der Westen den Wiederaufbau unterstützt, muss unbedingt daran gekoppelt sein, inwiefern das Regime zum Machtverzicht oder zu politischen Reformen bereit ist. Natürlich ist das schwierig. Russland steht hinter dem syrischen Diktator, übt massiv Druck auf Europa aus, Geld zu geben. China und Iran haben offenbar schon welches bereitgestellt. Assad muss aber Macht abgeben. Sonst ist Versöhnung nicht möglich.
Die Normalisierung der Beziehungen ist genau das, was das Regime will. Ausländische Gäste sollen dem eigenen Volk und der Welt zeigen: Seht her, es ist alles wieder gut in Syrien. Das ist es aber nicht. Die Kriegsverbrecher sind mit wenigen Ausnahmen nicht verurteilt. Es gibt keine Hinweise, dass Assad die Gründe, die 2011 zum Bürgerkrieg führten, beseitigen will. Syrerinnen und Syrer gingen für Meinungsfreiheit und gegen politische Willkür auf die Straße, aber das Militär schlug die friedlichen Proteste nieder. Letztlich radikalisierten sich die Oppositionellen und gingen ebenfalls brutal vor. Erst das durch diese Krise erzeugte Vakuum ermöglichte es, dass der sogenannte IS sich vom Irak aus in Syrien ausbreitete.
Unterstützt der Westen jetzt den Wiederaufbau, wäre das ein Schlag ins Gesicht all derer, die für Freiheit gekämpft oder Angehörigen in Assads Gefängnissen verloren haben. Die internationale Staatengemeinschaft muss sich weiter für eine politische Lösung des Konfliktes einsetzen. Die EU sollte bei ihrer Linie bleiben, die sie anlässlich der Geberkonferenz in Brüssel unterstrichen hat: kein Wiederaufbau, der das Assad-Regime stärkt. Keine Investitionen in die Infrastruktur. Auch, wenn es noch so frustrierend ist, dass Wasser in Tanks durch die Gegend gefahren werden muss, obwohl man Brunnen reparieren könnte. Der Westen war nicht in der Lage, diesen Krieg zu verhindern. Jetzt sollte er alles versuchen, Gerechtigkeit für die Opfer herzustellen.
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