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„Die erste Hose am Pult"

Aufmerksamkeit für die ewige Geschlechterdebatte: Franziska Brantner von den Grünen verkleidete sich am Internationalen Frauentag im Europäischen Parlament als Mann. (VINCENT KESSLER, REUTERS)

Frauen in Hosenanzügen verletzten den Anstand, Abtreibung stand unter Strafe, Gelächter bei Diskussionen um Sexismus - die Politik hat Frauen schon immer gebraucht, ohne sie hätte es keine Änderung gegeben.


Von Carolin Henkenberens


Unruhe bricht aus, als der damalige Justizminister Thomas Dehler (FDP) im Bundestag ein pikantes Thema anspricht: „die Frage des Rechts der Frau auf Berufsarbeit". 1952 ist das so strittig, dass die Abgeordneten im Plenarsaal zur Ordnung gerufen werden müssen. Dann sagt Dehler, das Recht der Frau auf Berufsarbeit werde anerkannt. „Jedoch darf die Hauptaufgabe der Frau, ihre Pflichten als Frau und als Mutter zu erfüllen, durch Arbeiten außer dem Hause nicht beeinträchtigt werden." Zwischenrufe sind im Plenarprotokoll keine dokumentiert. Fünf Jahre später wird das Gleichberechtigungsgesetz verabschiedet und damit die „Hausfrauenehe" im Recht festgeschrieben.

Weil mit der Gründung der Bundesrepublik im Grundgesetz der Paragraf drei („Männer und Frauen sind gleichberechtigt") stand, sollten das Familien- und Eherecht geändert werden. Denn es stammte zum Teil noch aus der Kaiser- und NS-Zeit. Doch das, was der zu 90 Prozent aus Männern bestehende Bundestag beschließt, verhindert ein gleichberechtigtes Leben von Frauen. Erst 20 Jahre später streicht die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt (SPD) die Hausfrauenehe aus den Gesetzesbüchern. Frauen durften nun auch ohne Zustimmung des Mannes arbeiten, nach Scheidungen wurde kein Schuldiger mehr ausgemacht. Lange wurden Gesetze über die Rechte von Frauen von Männern gemacht. So manches Thema ist erst diskutiert worden, nachdem Frauen es auf die Agenda brachten, manches Mal haben Frauen sich zusammengeschlossen Diskussionen geprägt - unabhängig von ihrer Partei.

Frauen waren immer eine Minderheit im Bundestag und in der Politik. Bis 1987 blieb der Frauen-Anteil im Parlament im einstelligen Bereich, erst nach der Wiedervereinigung stieg er auf 20,5 Prozent. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele Parteien interne Quoten festlegten. 1998 überschritt der Frauenanteil erstmals die 30-Prozent-Marke, seither dümpelt er ohne große Veränderung auf diesem Niveau. Bisheriger Spitzenwert waren 36,5 Prozent in der Legislaturperiode ab 2013. Eine Erklärung dafür ist, dass die FDP 2013 nicht in den Bundestag einzog.

Die Abgeordneten wehrten sich durchaus gegen die von den Kollegen gemachten Regeln. Etwa als der Bundestagsvizepräsident Richard Jaeger (CSU) 1970 vor Kollegen erklärte, er werde keine Frauen im Hosenanzug im Bundestag sprechen lassen. „Jetzt erst recht", sagte sich Lieselotte Funke (FDP) und scharte Verbündete unter den 34 weiblichen Abgeordneten um sich. Sie selbst glaubte, ihre Figur sei nicht gut genug für einen Auftritt in Hose. Deshalb trat am 14. Oktober 1970 die schlanke Lenelotte von Bothmer (SPD) aus Hannover als erste Frau mit Hosenanzug ans Mikrofon. Welch ein Eklat! „Die erste Hose am Pult", stieß der Abgeordnete Berthold Martin (CDU) hervor. Der Auftritt habe die Regeln des Anstandes verletzt, hieß es danach in der Öffentlichkeit. Von Bothmer erhielt Schmähbriefe.

Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag kamen scharfe Kritikerinnen des Patriarchats ins Parlament. Als symbolischen Akt stellte die Fraktion etwa 1984 einen rein weiblichen Vorstand auf - das Feminat. Wie sehr ihre Kritik den männerdominierten Bundestag provozierte, zeigt eine Debatte über den Paragrafen 218, der Abtreibung unter Strafe stellt. Die Rede der Abgeordneten Waltraud Schoppe (Grüne) im Mai 1983: Als sie über Vergewaltigung in der Ehe, Verhütung und Sexismus im Parlament spricht, bricht minutenlanges Gelächter samt Zwischenrufen aus. Sie forderte, Frauen sollten selber entscheiden dürfen, ob sie ein Kind wollen. Eine moralische Einstellung solle nicht Gegenstand von Strafverfolgung werden. Da ruft ein CDU-Abgeordneter: „Wie stehen Sie zur Euthanasie?"

Weibliche Abgeordnete wie Ulla Schmidt (SPD) und Irmingard Schewe-Gerigk (Grüne) kämpften weiter. Nach 25 Jahren intensiver Diskussion erreichten sie am 15. Mai 1997 einen Beschluss darüber, dass eine Vergewaltigung in der Ehe strafrechtlich als genau das verfolgt wird, was sie ist. Die Frauen vereinten sich und brachten einen Gruppenantrag ein, aus der die von der Union und FDP eingebaute „Widerspruchsklausel" gestrichen war. Mit der hätten vergewaltigte Ehefrauen die Strafverfolgung ihres Mannes verhindern können. Liberale und Christdemokraten argumentierten, das Grundgesetz stelle die Ehe und Familie unter besonderen Schutz. Kein Richter solle über so private Dinge urteilen, befanden die Befürworter der Klausel. Letztlich hoben Union und FDP den Fraktionszwang auf.

Für die Verschärfung des Sexualstrafrechts nach dem Prinzip „Nein heißt Nein" stritten Frauen Jahrzehnte, 2016 wurde sie Realität. Großen Anteil daran hatten die CDU-Frauen und die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, die gegen einen ersten Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) rebellierten. Letztlich erreichten sie, dass der Straftatbestand einer Vergewaltigung auch dann vorliegt, wenn der Täter keine Gewalt anwendet oder androht. Selbst, dass der Weltfrauentag dem Parlament eine Diskussion über Gleichstellung wert ist, war lange nicht selbstverständlich. Am 8. März 1995 geschah dies zum ersten Mal - nach einer interfraktionellen Initiative von Frauen.

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