Er spielte in den Trümmern eines Viertels von Damaskus und stellte Videos davon ins Internet. Jetzt ist Aeham Ahmad weltberühmt.
Als in Jarmouk der Hunger ausbrach, frittierte der Pianist Falafel. Aeham Ahmad, der an der Universität in Homs Musikpädagogik studierte, verarbeitete Bohnen zu Falafelbällchen. Von denen bekam jeder, der hungerte, genau drei. Denn das war genug zum Überleben. Eigentlich sind Falafel aus Kichererbsenbrei zubereitet. Doch wenn ein Regime ein Stadtviertel über Monate von jeglicher Lebensmittelzufuhr abschneidet, Wasser und Strom gekappt sind, tun es auch Bohnen. Kriegspragmatismus.
Doch dann kam der Tag, an dem auch die Bohnen ausgingen. Ahmad musste aufhören, Hungernde zu versorgen. Es blieb ihm sein Klavier. Nur: Ohne elektrisches Licht sah er im Haus die Tasten nicht. Da hat er das Klavier genommen, auf einen Karren gesetzt, auf die Straße geschoben und gespielt - inmitten der grauen Tristesse der Kriegstrümmer.
Joachim Gauck rief ihn höchstpersönlich anDort hat er gesungen über seine Heimat Palästina, über das Leiden im Krieg und die Liebe zum Leben. Er sang so laut, dass Kinder herbeieilten. Er sang, als wolle er den Baschar al-Assads und den Abu Bakr al-Baghdadis dieser Welt sagen: Ihr könnt mich mal. Ob Erbsen oder Bohnen, ob im Palast oder in Trümmern: Ich lebe und ich bleibe hier. Das war mehr als Kriegspragmatismus. Er tat es immer und immer wieder. Wollte mit seinem Spiel Hoffnung schenken, politischen Widerstand leisten.
Jetzt ist Aeham Ahmad weltberühmt. Die Videos vom Pianisten von Jarmouk sind um die Welt gegangen. Die New York Times, das ZDF, Phoenix, Arte und etliche kleinere Zeitungen haben schon über ihn berichtet. „Es ist verrückt", sagt Aeham Ahmad, als er das Mobiltelefon zu Seite legt, weil ihn während des Interviews in Bremen wieder eine Journalistin angerufen hat. Vor einigen Tagen rief sogar „Mister Gauck" - ja, genau, versichert er, der deutsche Präsident - an. Der habe ihm persönlich Danke sagen wollen. Dafür, dass Ahmad im September ein Konzert für ihn spielt. Ahmad schüttelt den Kopf und sagt: „Es ist komplett verrückt."
Aeham Ahmad tritt in Bremen aufAhmad ist ein impulsiver Mensch, spricht schnell, gestikuliert viel. Lacht viel. Er sagt: „Ich bin ein verrückter Mensch. Ich denke nicht so viel. Ich muss spielen, ich muss atmen, ich muss essen." Er ist zum syrischen Kulturfestival Funun nach Bremen gereist. In der Kulturambulanz Bremen Ost wird er an diesem Dienstag (20 Uhr) ein Konzert geben. Es ist eine Station von vielen. Seit er vor elf Monaten aus Syrien nach Deutschland geflohen ist, habe er 180 Konzerte gespielt, sagt Ahmad. Er zeigt seinen Kalender. Köln, Koblenz, Berlin, Wiesbaden, Frankfurt. Jeden Tag ist er woanders.
Der 28-Jährige wehrt sich nicht gegen die Aufmerksamkeit. Doch er will nicht unbedingt seinen Namen genannt wissen, er will auch kein Star sein oder reich werden. Er spiele ohnehin immer ohne Gage. Er zeigt auf sein blau-weiß gestreiftes Hemd und sagt: „Das trage ich jeden Tag." In seinem Koffer, da habe er nur eine Pyjamahose. Nein, er macht sich nichts aus Geld. Er ist glücklich beim Musizieren.
Er will die Stimme von Jarmouk seinUnd er will etwas bewegen. Er versteht sich als die Stimme von Jarmouk, dem Viertel der syrischen Hauptstadt, in dem vor allem palästinensische Flüchtlinge leben. Deshalb will Ahmad lieber „Pianist von Jarmouk" genannt werden. „Die Menschen bekommen dort nur alle 15 Tage Lebensmittelpakete, der IS schließt alle Schulen", berichtet Ahmad. Jedes einzelne Interview und jedes Konzert seien wie ein kleiner Tropfen auf einen Stein, sagt er, und schlägt dabei die Fingerspitzen der linken Hand auf die rechte Handinnenfläche.
Er singt nicht über die Natur, Freundschaft oder Liebe. Seine Musik ist entstanden aus dem Gefühl des Leidens, das er in sich trägt. Ahmad, dessen Großvater 1948 aus dem heutigen Israel floh, ist mit dem palästinensischen Leid über das verlorene Land Palästina erzogen worden. Sein Vater, ein Instrumentenbauer, habe zu ihm gesagt: „Wir sind Flüchtlinge in Syrien und haben kein Land. Das Klavier soll dein Land sein." Dieser Satz, sagt Ahmad, sei ihm immer noch präsent. Sein Vater ist sein musikalisches Vorbild. Der hat ihn zum Klavier spielen ermuntert. Eigentlich habe er immer lieber schwimmen oder Fußball spielen wollen. Doch der Vater ließ ihn vier bis fünf Stunden am Stück üben.
Notfalls macht er wieder FalafelAhmad liebt seine Heimat Jarmouk. Auch, weil er wusste, nicht nach Palästina zurückkehren zu können. „Ich wollte in Jarmouk sterben", sagt er. Doch aus Rache an den Aufständischen hatte Assad 2013 eine Blockade über Jarmouk verhängt. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon beschrieb den Ort als „tiefste Hölle". Rund 90 Prozent der einstigen 150.000 Bewohner sind geflohen. Im April 2015 nahm Daesch den zerbombten Stadtteil ein und verbrannte sein Klavier. Er sah es mit an, weinend.
In Deutschland fühlt Aeham Ahmad sich wohl. Vor wenigen Tagen sind seine Frau und die beiden Söhne nachgekommen. Er ist überglücklich - obwohl er keine Lieder mehr schreiben kann, seit er Syrien verlassen hat. „Mir fällt einfach nichts ein", sagt er. Doch er will weitermachen, so lange Anfragen kommen. „Es ist meine Pflicht, für die Menschen in Jarmouk weiter zu machen." Wenn sein Erfolg als Pianist irgendwann nachlasse, verkaufe er halt Falafel. Aus Bohnen.
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