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Integration: Anker zwischen den Kulturen

Eine Hand schwebt über dem frisch gemähten Rasen. Mit der Nagelschere schneidet sie einen Grashalm kurz. Knips - die Melodie setzt ein. Im Liedtext geht es um altbekannte Klischees über Deutsche. Der klassische Alman, wie ihn der deutsch-österreichische YouTuber Phil Laude in seinem gleichnamigen Musikvideo karikiert, ist jemand, der mit zugeknöpftem Karohemd für Recht und Ordnung sorgt. Almans bezeichnet meistens Deutsche. Wahr ist aber auch: Nicht jeder, der ethnisch deutsch ist, ist ein Alman.

Genauso kann ich als Deutsch-Kurdin hin und wieder typisch Alman sein. Das spüre ich besonders in der Türkei. Etwa wenn ich mich dort darüber aufrege, dass die vielen neuen Zebrastreifen konsequent ignoriert werden und das reglementierte Leben in Deutschland rühme. Eigentlich bin ich ehrlich gesagt immer dann ein Alman, wenn die Dinge nicht nach meinen Vorstellungen laufen.

Das Wort kommt aus dem Türkischen und meint nichts anderes als deutsch. Vor allem junge Leute mit ganz verschiedenen ethnischen Backgrounds nutzen das Wort. Dieser Jugendslang kommt allerdings nicht bei allen Deutschstämmigen gut an. In den sozialen Netzwerken stieß vor allem der ZEIT-ONLINE-Artikel mit dem Titel Die vier Almans eine Debatte darüber an, ob es nicht verletzend, gar diskriminierend sei, ethnisch Deutsche als Alman zu betiteln, wie es die Schülerinnen und Schüler im Artikel von Seiten ihrer mehrheitlich multiethnischen Mitschüler erfahren.

Begriffe wie Alman sind in mehrheitlich türkischen, kurdischen oder arabischen Sprachgemeinschaften soziolinguistisch betrachtet aber vor allem Begleiterscheinungen der Identitätsbildung innerhalb einer deutsch-deutschen Mehrheitsgesellschaft, wenn man so will, der Integration.

Jeder hat eine sprachliche Identität

Die Kinder und Enkel der sogenannten Gastarbeiter sind zwar in deutschen Städten geboren und wurden mit deutschen Gepflogenheiten sozialisiert. Wenn sie als Jugendliche nach ihrer eigenen Persönlichkeit, Identität und ihrem Platz in der Gesellschaft suchen, besinnen sie sich aber auch auf die Wurzeln ihrer Eltern und Großeltern. Deren Mentalität und Rituale fühlen sich vertraut an, sie geben ein Gefühl von Zugehörigkeit. Ein kurdisches Lied, ein arabisches Gedicht, ein türkischer Lebensmittelmarkt können den jungen Menschen sehr viel bedeuten. Aber die unterschiedlichen soziokulturellen Einflüsse machen die Identitätsfindung nicht wirklich leicht.

Sprache kann dabei sehr hilfreich sein. Viele der Jugendlichen wachsen bi- oder trilingual auf. Wenn sich zum Beispiel arabischstämmige Jugendliche im Bus abwechselnd auf Arabisch und auf Deutsch miteinander unterhalten, hat der Wechsel immer ein unbewusstes System. Welche Sprache gewählt wird, bestimmt das Thema oder das Gefühl, das damit verbunden ist. Auch die Sprachmelodie ändert sich, sie wird mal dynamischer, dann fast schon wieder phlegmatisch.

"Auf dein Nacken!"

Wer aber zwischen zwei oder mehreren Kulturen hin- und herspringt, braucht einen Anker. Der findet sich oft in einer sprachlichen Symbiose, die in einem migrantischem Szenejargon verwendet wird, wie zum Beispiel in den Wörtern Alman und Kanake. Komplexe soziale Strukturen und mehrere Identitätsbausteine werden nicht mehr separiert, sondern zusammengeführt. Deutsch-türkische Jugendliche bauen sich dann etwa eine Sprache aus Hochdeutsch und türkischen Slang-Elementen - oder umgekehrt.

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