Alkoholismus assoziiert man mit Männern, dabei nimmt die Sucht bei Frauen zu. Vor allem sexueller Missbrauch scheint Frauen wie Birgit und Carola in ihrer Sucht zu vereinen.
Während Birgit über den Hausaufgaben sitzt, nimmt sie einen Schluck aus ihrem Zaubertrank. Auf dem Tisch: Bücher, ein Geodreieck, Bleistift und eine Flasche. Durch ihr Zimmer, durch die ganze Wohnung der Familie, dröhnt in Dauerschleife ihr "all time favourite", wie sie ihn heute beschreibt. David Bowie steht für vieles in ihrer Jugend der 1970er Jahre. Birgit ist ein Teenager, gerade einmal 14 Jahre alt, als sie entdeckt, dass es größere Abenteuer gibt, als über Nacht bei einer Freundin zu schlafen: Apfelkorn trinken während der Hausaufgaben, weil es normal scheint, weil es cool ist. "Take your protin pills and put your helmet on. Can you hear me Mayor Tom"?
Die Nacht zum Tag machen. Feiern, um zu leben, um den Alltag zu vergessen und sich zu spüren. Alkohol ist ein ständiger Begleiter von Birgit und ihren Freunden. Im Sommer mit Bier im Park, im Winter mit Freunden in Bars. Geselligkeit geht einher mit Alkohol. Ausgeschenkt wird meist auch an Minderjährige trotz Jugendgesetze.
"Alkohol gehörte einfach schon immer zu meinem Leben, auch in meiner Kindheit", beginnt Birgit zu erzählen. Aufgewachsen in Deutschland, in einer Akademikerfamilie, wie sie immer betont. Wein, Sekt, Erdbeeren und Schnaps. Daraus besteht eine Bowle für Erwachsene. Wein, Sekt, Erdbeeren und kein Schnaps für die Kinder. Es ist das Kultgetränk der 1970er Jahre, auch in Birgits Heimat, wo sich Main und Rhein treffen, im großen Garten bei Familienfeiern. In jedem Milieu gehören Alkohol und Abgründe zum Alltag, sagen Psychologen. Auch wenn sich eine Alkoholabhängigkeit unter gut situierten Pelzmänteln besser verstecken lässt oder im Kulturbetrieb weniger sichtbar ist und als Arzt oder Lehrer weniger erwartet wird.
Mittlerweile ist Birgit 50-plus und nennt sich seit ihrem Umzug ins Nachbarland Österreich nur noch Piefke. Am Wiener Stadtrand lebt sie mit einem Künstlerpaar in einer WG. Wenn Piefke nicht gerade auf der nahegelegenen Donauinsel ist, schwimmt sie ein bis zwei Runden im hauseigenen Gartenteich. Braungebrannt, das mittelblonde Haar weit über ihre Schultern fallend, befreit sie ein paar Strähnen aus ihrem roten Brillengestell. Sie trägt ein locker sitzendes Kleid, das gerne mal verrutscht, während sie es sich im Schneidersitz auf ihrem Sofa bequem macht. Das stört Piefke aber genauso wenig, wie über ihre Alkohol- und Drogenvergangenheit zu sprechen. Im Gegenteil: Sie lacht darüber.
"Eine Feier ohne Alkohol ist keine Feier!", war der Konsens seit Jugendtagen. Auch in Österreich, egal ob in der Stadt oder auf dem Land, gehört Alkohol zum guten Ton. In einem österreichischen Beisl am Land bestellt man kein Wasser oder stößt mit einem Apfelsaft auf den Feierabend an. Auch in deutschen Städten überbrückt man nicht "mit einer Weg-Cola". Das lernen junge Leute schon früh.