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"Dies ist keine Hochzeit oder Party in Kabul": Taliban blasen Friedensgespräche wegen zu grosser Regierungsdelegation ab

Die Taliban sagen eine erste Gesprächsrunde mit Vertretern der afghanischen Regierung ab. Dennoch sind die Friedensbemühungen nicht gescheitert.

Der zähe und bisher wenig erfolgreiche afghanische Friedensprozess steckt erneut fest, nachdem die radikalislamischen Taliban am Donnerstag ein für das Wochenende vorgesehenes erstes Treffen mit einer Delegation der afghanischen Regierung in Katar kurzfristig abgesagt haben. Die Taliban lehnten es ab, sich mit der 250 Personen starken Delegation von Präsident Ashraf Ghani zu treffen, weil diese "zu gross" sei.

Bereits zuvor hatte sich der Sprecher der Taliban, Zabihullah Mujahid, darüber lustig gemacht, dass das Büro des Präsidenten sich offenbar nicht auf weniger Teilnehmerinnen und Teilnehmer einigen konnte. "Dies ist eine ordentlich geplante Konferenz, keine Einladung zu irgendeiner Hochzeit oder Party in einem Hotel in Kabul", sagte Mujahid. "Die Präsenz einiger Teilnehmer war vollkommen gegen die Liste, auf die wir uns geeinigt hatten."

Damit setzen die Taliban ihre Verhandlungstaktik fort, die bisher jedes Gespräch mit der gewählten Regierung in Kabul abgelehnt hat, weil diese ein "Marionettenregime" sei. Die neue Variante läuft auf dasselbe hinaus: Die radikalislamischen Milizen wollen darüber bestimmen, mit wem sie reden und wer das afghanische Volk repräsentiert.

Erstmals auch Frauen dabei

Die vom Präsidentenpalast nominierte Delegation hätte zum ersten Mal auch Vertreter der Zivilgesellschaft sowie 50 Frauen in den Friedensprozess involviert. Allerdings ist die Grösse der Delegation auch ein Ausdruck der Zerrissenheit der afghanischen Gesellschaft, was den Taliban in die Hände spielt. So hatten wichtige Vertreter der früheren Nord-Allianz, darunter Ashraf Ghanis Regierungschef, Abdullah Abdullah, der ehemalige Innenminister und Geheimdienstchef Amrullah Saleh und Atta Mohammad Noor, der mächtige Kriegsfürst aus der nördlichen Provinz Balkh und Rivale Ghanis, ihre Teilnahme abgesagt.

"Der Streit geht um den Teil der Liste, der von den politischen Parteien vorbereitet wurde", sagte der frühere Gouverneur von Kabul Ahmadullah Alizai dem Fernsehsender Tolo TV. "Sie haben sich nicht richtig vorbereitet, und die Liste basiert auf Gefälligkeiten. Das ist für uns nicht akzeptabel." Alizai ist ein Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Hamid Karzai, der nicht auf der Delegiertenliste steht.

Amrullah Saleh hingegen twitterte: "Ich bin Präsident Ashraf Ghani dankbar, dass er mich in die Liste der Sprecher aufgenommen hat, die die Regierung der Islamischen Republik Afghanistan auf der Doha-Konferenz repräsentieren sollen. Ich werde allerdings nicht teilnehmen. Die Taliban sind das grösste und einzige Hindernis auf dem Weg zu Frieden, weil sie ihre Kampagne des Massenmords und der Zerstörung fortsetzen."

In der Tat hatten die Taliban erst vergangene Woche ihre jährliche "Frühjahrsoffensive" gestartet, der sie in Anlehnung an amerikanische Militärkampagnen den unzweideutigen Namen "Operation Sieg" gegeben hatten. Innerhalb kurzer Zeit töteten sie mehrere Dutzend Menschen im ganzen Land. Im Norden griffen die Gotteskrieger die vielgeplagte Stadt Kunduz an und töteten mindestens acht Menschen; in Nangarhar attackierten sie ein Distrikt-Hauptquartier; in der westlichen Provinz Ghor kamen bei einem Hinterhalt auf einen Polizeikonvoi mindestens sieben Angehörige der Sicherheitskräfte ums Leben und in Baghlan sieben Polizisten bei einem Angriff auf einen Checkpoint.

Der amerikanische Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, dessen Aufgabe es seit vergangenem Jahr ist, den USA so schnell wie möglich einen gesichtswahrenden Truppenabzug aus Afghanistan zu ermöglichen, twitterte frustriert: "Zehntausende unschuldiger Zivilisten sind bereits in diesem Krieg gestorben. Die Taliban verlängern den Krieg, wenn sie sich weigern, mit uns zusammenzuarbeiten und das Töten zu beenden."

Friedensgespräche nicht gescheitert

Zuvor hatten die Vereinten Nationen ein Reiseverbot für einige wichtige, als gemässigt geltende Taliban-Führer aufgehoben, um diesen eine Teilnahme an den Gesprächen in Katar zu ermöglichen, unter ihnen Mullah Abdul Ghani Baradar, einer der Gründer der Bewegung, und der frühere stellvertretende Aussenminister Sher Mohammad Abbas Stanakzai.

Es wäre verfrüht, diese zweite Runde der Friedensgespräche in Katars Hauptstadt Doha bereits abzuschreiben. Im Prinzip haben sich die Taliban erstmalig auf ein Treffen mit Vertretern der Regierung eingelassen und hatten sogar vage zugesagt, die Beteiligung von Frauen hinzunehmen. Aufseiten der afghanischen Regierung waren der Nominierung von 50 Frauen intensive Konsultationen mit Frauen im ganzen Land unter Leitung der Präsidentengattin Rula Ghani vorangegangen. Ende Februar hatte sie 3000 Frauen zu einer Konferenz unter dem Titel "Nationaler Frauenkonsens für Frieden" zusammengerufen.

Damit kam die afghanische Regierung der Forderung nach, dass Frauen in grösserer Zahl an dem Friedensprozess beteiligt werden sollten. Bei ersten Treffen mit den Taliban in Moskau im November 2018 war nur eine einzige Frau zugegen, die stellvertretende Vorsitzende des Hohen Friedensrats, Habiba Sarabi. Zu einem innerafghanischen Treffen im Februar 2019, ebenfalls in Moskau, wurden nur 2 Frauen eingeladen, unter knapp 100 Delegierten.

Nach Auskunft von Diplomaten in Kabul soll ein neuer Termin für das Treffen in Katar vereinbart werden, wenn die Regierung die Teilnehmerliste überarbeitet hat.

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