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In Afghanistan bringen sich alte Warlords neu in Stellung

Atta Mohammed Nur

Mit dem Rücktritt des mächtigen Gouverneurs Atta Nur beginnt in Afghanistan der Kampf um die Präsidentschaft - und ein vermutlich unruhiges Jahr 2018.

Atta Mohammed Nur, dem mächtigen Gouverneur der afghanischen Provinz Balkh, mangelt es nicht an Selbstbewusstsein. Im Frühjahr vergangenen Jahres - pünktlich zum persischen Nawruz-Fest - teilte er mit, dass er in naher Zukunft vermutlich zurücktreten werde, um seine Kandidatur für die Präsidentschaft in Kabul anzukündigen. "Ich war lange in Balkh", so Atta, "da ist es ganz normal, dass ich irgendwann für andere den Platz frei mache."

Vom Präsidenten hintergangen

Nun ist ihm diese Entscheidung, die er gern souverän getroffen hätte, abgenommen worden. Vor einigen Tagen wurde bekannt, der 54-Jährige habe sein Amt niedergelegt, doch der vermeintliche Rücktritt soll in Wahrheit ein Hinauswurf gewesen sein. Laut einem Bericht der "New York Times", der sich auf Angaben von Mitarbeitern Attas bezieht, hat Präsident Ashraf Ghani hinterhältig ein undatiertes Demissionsschreiben genutzt, das Atta dem Präsidenten vor einiger Zeit als vertrauensbildende Massnahme unterbreitet hat.

Aussenminister Salahuddin Rabbani, Attas Parteigenosse und Vorsitzender der Jamiat-e Islami, bezeichnete die Ablösung in einer Erklärung als "übereilten, unverantwortlichen Akt gegen die Stabilität und Sicherheit Afghanistans". Doch nur einen Tag später legte die Jamiat bereits eine Reihe von Bedingungen vor, unter denen die Partei bereit sei, den Hinauswurf zu akzeptieren. Darunter sind Vorschläge für Attas Nachfolger in Balkh sowie Forderungen zur Besetzung von Ministerien in Kabul mit eigenen Parteimitgliedern.

Noch Ende Oktober hatte Atta Mohammed Nur nach einem Bericht der afghanischen Nachrichtenagentur Khaama Press in seiner Heimatstadt Mazar-e Sharif erneut die Regierung scharf angegriffen und betont, er werde selbst über seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten entscheiden.

Ob Hinauswurf oder nicht - die Rivalitäten in der Jamiat-e Islami, die mit Abdullah Abdullah den Verwaltungschef und damit den zweiten Mann neben Präsident Ghani in der Exekutive stellt, treten nun offen zutage. Damit ist das Rennen um die Präsidentschaftswahl 2019 in Afghanistan eröffnet.

Bereits 2014 hatte Atta laut darüber nachgedacht, in den Wahlkampf zu ziehen, dann aber sein politisches und finanzielles Gewicht hinter Abdullah geworfen. Später bezeichnete er dies als Fehler. Abdullah habe nicht stark genug dazu gedrängt, dass die Vereinbarungen zur Machtteilung, die Ghani und die Jamiat nach der umstrittenen Wahl 2014 geschlossen hatten, eingehalten würden - und damit die Partei geschwächt.

Kontrolle über die Wirtschaft

"Die Tatsache, dass Atta nun öffentlich Front gegen Abdullah macht, zeigt, dass er entschlossen ist, der neue Chef der Jamiat zu werden", erklärte Thomas Ruttig vom Afghan Analysts' Network in Kabul bereits im April vergangenen Jahres.

Atta ist einer der letzten mächtigen Warlords der Jamiat-e Islami, der Partei des von den Taliban ermordeten Widerstandsführers Ahmad Shah Masud. Anders als Abdullah, der bereits unter Ghanis Vorgänger Hamid Karzai Aussenminister war, gelang es Atta erst relativ spät, seine Machtbasis in der Provinz Balkh auszubauen. Heute aber kontrolliert er praktisch die Wirtschaft in ganz Nordafghanistan und ist sehr reich geworden. Dabei ist er nicht gerade zimperlich gegen Kritiker vorgegangen.

Dem Präsidenten Ashraf Ghani ist Atta deshalb schon lange ein Dorn im Auge. Zwar hatte der Präsident im Februar nach langen Verhandlungen Atta in seiner Position als Gouverneur von Balkh bestätigt, nachdem sich die beiden Männer nicht hatten einigen können, welche Position Atta in der Regierung in Kabul übernehmen könnte. Doch dies war eher ein Zugeständnis an die Machtverhältnisse als eine Ausdruck echten Vertrauens.

Im Mai ermöglichte Ghani dann im Rahmen eines Friedensabkommens einem Gegenspieler Attas - dem noch berüchtigteren, paschtunischen Warlord Gulbuddin Hekmatyar - die Rückkehr nach Kabul. Für Ghani ist der Friedensschluss mit dem als "Schlächter von Kabul" bekannt gewordenen Kriegsherrn der Versuch, ein Modell für eine Versöhnung mit den Taliban zu schaffen. Doch er hat auch Hekmatyars Partei Hezb-e Islami Auftrieb gegeben, die nun im Norden Atta herausfordert.

Traumatische Erinnerungen

Bereits im Frühjahr hatte Atta deshalb mit zwei weiteren "alten Bekannten" ein "Bündnis zur Rettung Afghanistans" gegründet: dem Usbeken Abdul Rashid Dostom und dem Führer der ethnischen Minderheit der Hazara, Mohammed Mohaqeq. Damit sind nun fast alle Vertreter des afghanischen Bürgerkriegs wieder im Spiel. Wenn die Vergangenheit ein Massstab sein kann, halten ihre Bündnisse in der Regel nicht lange. Doch beruhigend ist das nicht: Für die meisten Afghanen ist die Erinnerung an die Zeit des Bürgerkriegs (1989 bis 2001) ein Albtraum; Sicherheit und Stabilität sind inzwischen ihre obersten Wünsche.

Vielleicht ist auch deshalb so wenig von Abdullah zu hören. Es heisst, der Augenarzt und ehemalige Vertraute Ahmad Shah Masuds wolle zwischen Ghani und Atta vermitteln. Abdullah hat in der Regierung Ghanis in den vergangenen Jahren eine ausgleichende Rolle gespielt, auch weil der Präsident für sein cholerisches Temperament bekannt ist.

Abwarten könnte daher eine gute Taktik sein, denn bis zur Wahl 2019 dauert es noch lange. Abdullah hat vor einiger Zeit auf seiner Facebook-Seite ein Zitat des chinesischen Kriegs-Strategen Sun Tzu veröffentlicht: "Wenn du lange genug am Fluss sitzt, siehst du irgendwann die Leichen deiner Feinde vorbeischwimmen."

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