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Familienstress am Morgen? Ein Drei-Schritte-Plan für einen gelassenen Start in den Tag

Einschlägige Businessmagazine berichten gerne von den Morgenroutinen erfolgreicher Menschen. Da wird um 4 Uhr morgens aufgestanden, gejoggt, meditiert, Fenster aufgerissen und Weihrauch angezündet. Mein Morgen dagegen besteht aus unter die Dusche schleichen, ohne das Kind zu wecken, viel Kaffee und der Hoffnung, das Ganze ohne unnötiges Gemecker zu überstehen.

Okay, wie die meisten von uns bin ich weder Lenker eines milliardenschweren Softwarekonzerns noch Yoga-Influencer. Aber wenigstens eins kann man von den Reichen und Schönen dieser Welt lernen. Morgenroutinen sind vielleicht gar keine schlechte Idee - auch für Familien.

Der schwerste Teil des Tages: der Morgen

Denn wenn zwei Erwachsene an den Schreibtisch und die Kinder morgens in die Schule oder die Kita gebracht werden müssen, bricht schnell Chaos aus. Und das wiederum führt zu Stress. Wir treiben die Kinder zur Eile an, schimpfen und kommen am Ende völlig kaputt auf der Arbeit an.

Eine Kollegin sagte mal zu mir, wenn sie ihre Kinder in die Kita gebracht hat und endlich am Schreibtisch sitzt, liege der schwerste Teil des Tages hinter ihr. Diese Aussage kann ich als Vater durchaus verstehen. Trotzdem finde ich sie etwas schade. Deshalb also Routinen. Sie sparen Zeit, entzerren den Morgen und geben unseren Kindern Sicherheit.

Doch wie sieht eigentlich eine gute Morgenroutine für die eigene Familie aus? Die ernüchternde Antwort: Ein Patentrezept gibt es nicht, auch einfach die Routinen von erfolgreichen Menschen nachzuahmen hilft wenig. Stattdessen folgt nun ein typischer Coachingsatz: Ihr müsst selbst herausfinden, welche Routinen euch und eurer Familie guttun und zu eurem Alltag passen. Doch wie geht das?

Schritt eins: Bestandsaufnahme des Morgens

Was muss an einem normalen Morgen alles erledigt werden? Welche zeitlichen Vorgaben gibt es? Wer muss zuerst auf der Arbeit sein? Wann beginnt die Schule oder der Morgenkreis im Kindergarten? Wie viel Zeit braucht ihr fürs Duschen, Frühstück und den Schulweg? Außerdem geht es um die Gestaltung - also legt man Wert auf ein gemeinsames Frühstück, oder ist es völlig in Ordnung, wenn einer schon früh ins Büro fährt und dafür am Nachmittag mehr Zeit für die Kinder hat.

Auch eigene Vorlieben sollte man einplanen - einen Sonnengruß auf der Yogamatte oder etwas lesen. Mit diesen Fragen im Kopf entsteht ein erster Morgenplan vom Aufstehen bis zum Verlassen des Hauses. Man sollte diesen Plan nicht überfrachten. Gerade an den konfliktreichen Punkten - dem Aufstehen, dem Zähneputzen, dem Anziehen - darf es ruhig kleine Zeitpuffer geben.

So schaffen Sie Zeitpuffer

Bei meinem dreieinhalbjährigen Sohn nutze ich die Zeitpuffer für kleine Deals. Wir tanzen noch zwei Lieder lang durchs Wohnzimmer und danach ziehen wir uns an, noch eine Geschichte auf dem Sofa und dann fahren wir in die Kita. Das klappt nicht immer, aber an den meisten Tagen.

Eine gute Möglichkeit, um Zeitpuffer zu schaffen und den Morgen zu entzerren, sind - welch Überraschung - abendliche Vorbereitung und mehr Zeit. Mir hilft es sehr, eine halbe Stunde vor dem Kind aufzustehen und möglichst viel am Abend vorzubereiten - zum Beispiel den Frühstückstisch oder die Kita-Kleidung.

Schritt zwei: Verteilung der Aufgaben

"Familie ist immer Teamwork, auch am Morgen. Außerdem spart Jobsharing Zeit und Energie", rät Hanna Drechsler. Sie ist systemische Coachin, spezialisiert auf die Anliegen von Müttern und hat einen sehr hörenswerten Podcast namens "Mama in Balance". Gemeinsam mit ihrem Mann Martin lebt sie eine gleichberechtigte Aufteilung von Beruf und Haushalt - auch am Morgen.

Dieses Jobsharing bedeutet übrigens nicht, dass Mutter und Vater den ganzen Morgen anwesend sein müssen. Oft reicht es völlig aus, wenn ein Elternteil den Morgen übernimmt. Der Partner kann schon früher ins Büro fahren. Dafür schmiert er vielleicht die Pausenbrote, wenn das ganze Haus noch schläft, holt das Kind aus der Kita oder übernimmt das Ins-Bett-Bringen. Ob diese Rollen täglich wechseln oder fest verteilt sind, hängt natürlich vom eigenen Alltag ab.

Noch ein Rat von Drechsler: "Bezieht eure Kinder so früh wie möglich ein und gebt ihnen kleine Aufgaben wie Abräumen oder Anziehen. Das verschafft euch Luft und macht die Kinder selbstständiger." Kurz nach dem Interview habe ich das prompt ausprobiert: Und siehe da, mein Sohn liebt es, den Tisch zu decken und abzuräumen. Auch die Funktionsweisen der Spülmaschine kennt er inzwischen. Meine große Hoffnung: Bis zur Pubertät gerät dieses Wissen nicht in Vergessenheit.

Schritt drei: Das eigentliche Finden von Routinen

Nach der Planung kommt die Umsetzung in die Praxis und die ist, wie so oft im Leben, erstmal beschwerlich. Eine Verhaltenspsychologin berichtete mir unlängst bei einem Interview, dass wir Menschen etwa 66 Tage brauchen, bis ein neues Verhalten zur Routine wird. Leider gilt das auch für den Morgen.

Jeder neue Rhythmus kann erst für ein bisschen Chaos und Kuddelmuddel sorgen. Trotzdem sollten Eltern jedem Plan ein paar Tage Zeit geben und gleichzeitig flexibel bleiben, um alles, was sich nicht richtig anfühlt, wieder zu verwerfen. Vielleicht merkt man doch, dass man nicht auf das gemeinsame Frühstück als Familie verzichten kann oder dass der Plan, um 6 Uhr ins Büro zu gehen, eine Sackgasse war. Für die Eltern untereinander reichen hier Gespräche. Für Kinder bietet sich eine zusätzliche Visualisierung an.

Bilderkarten zeigen, was ansteht

Zum Beispiel könnten die wichtigsten Aufgaben des Morgens mithilfe von kleinen Bilderkarten dargestellt werden - aufstehen, Frühstück, waschen, anziehen, losfahren. Außerdem bietet es sich an, den "Fortschritt" zu aufzuzeigen. So könnte eine Wäscheklammer oder eine Spielfigur von Bild zu Bild springen. "Diese Visualisierung hilft gerade kleinen Kindern, eine Routine zu finden und sich im Tag zu orientieren. Außerdem weckt es einen spielerischen Charakter am Morgen", sagt Drechsler.

Die kindliche Kooperation verdient Lob und Anerkennung

Aus ihrer Sicht ist die Kommunikation mit den Kindern ein weiterer wichtiger Faktor für einen entspannten Morgen. "Wir erwarten schon früh morgens viel von unseren Kindern. Sie sollen aufstehen, sich schnell anziehen, nicht trödeln. Wir sind auf ihre Kooperation angewiesen", sagt sie und rät zum Perspektivwechsel. Aus Sicht eines Dreieinhalbjährigen gibt es am Morgen eben nichts Spannenderes und Wichtigeres als seine Dinosaurier und Feuerwehrautos, von der Tragweite von Papas Interviewtermin ahnt er nichts.

Oder anders ausgedrückt: Nicht die Kinder sind das Problem, wir Eltern sind auf ihren guten Willen angewiesen. Und Kooperation entsteht auch durch Lob und Wertschätzung. Wenn ich am Morgen viel meckern und laut werden muss, wird mein Sohn nur bockig und widerwillig - aus gutem Grund - und der Morgen endgültig zum zähen Kraftakt für alle. Wenn ich ihm aber Platz für eigene kleine Entscheidungen lasse, ihn für erledigte Aufgaben lobe, "muss" er zwar noch in die Kita, aber der Weg dorthin wird selbstbestimmter - fast wie bei uns Großen. Und dieses Gefühl findet jedes Kind toll.

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