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Pippi Langstrumpf wird 75: Eine Liebeserklärung an ein Mädchen voller Mut und Fantasie

Hannover. Pippi - auch bekannt als Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf - ist ein ungewöhnliches Mädchen, das merkte ich als junger Leser schnell. Sie ist mutig, frech, unangepasst, freundlich und hilfsbereit. Sie bestreikt die Schule, segelt über den Ozean und wäscht sich nicht gern. Vor Einbrechern hat sie keine Angst und behält grundsätzlich das letzte Wort. Obwohl sie stärker als alle anderen ist, missbraucht Pippi ihre Macht nie, sondern wehrt sich gegen jede Ungerechtigkeit. Und dazu: eine kunterbunte Villa, ein Affe und ein Pferd, einen Piraten als Vater und fast immer sturmfrei. Kurzum, Pippi war meine erste Superheldin, lange vor Batman oder den Marvel-Mutanten.

Nur zu gerne hätte ich wie Tommi und Annika neben Pippi gewohnt. An dieser Begeisterung hat sich heute rund 30 Jahre nach meinem ersten Kontakt mit Astrid Lindgrens Rebellin wenig geändert. Auch im Bücherregal meines Sohnes stehen ihre Abenteuer. Schon aus Nostalgie! Und vielleicht steckt dahinter auch die väterliche Hoffnung, dass ein bisschen von Pippis Geist auf mein Kind abfärbt. Frech, unangepasst, immer bereit für ein Abenteuer und trotzdem freundlich. Diese hohe Meinung von Pippi Langstrumpf teilen wohl die meisten Eltern meiner Generation.

Pipi und ihre viele Weggefährten. © Quelle: The Astrid Lindgren Company, Ingrid Van Nyman

Pädagogen sahen in Pippi anfangs als Gefahr für Kinder

Als die ersten Geschichten von Pippi Langstrumpf vor 75 Jahren in Schweden - und vier Jahre später in Deutschland - erscheinen, denken viele Menschen noch anders über diese Geschichten. Einige Pädagogen fürchteten sogar negative Einflüsse auf die Kinder. Pippi sei ein unmögliches Mädchen und ein schlechtes Vorbild, ihre Sprache schlampig und vulgär. Für eine Zeit, in der Kinder vor allem gehorchen sollten, ist sie eindeutig zu unangepasst. Dazu wild und mutig, Eigenschaften, die leider bis heute eher den männlichen Helden vorbehalten sind.

Zum Glück gibt es auch schon damals genug Menschen, die sich dem Zauber der kleinen Rebellin nicht entziehen können. Nach dem zuvor fünf Verlage in Deutschland die „jugendgefährdenden" Geschichten abgelehnt haben, greift Friedrich Oetinger zu. Bemerkenswert: Eigentlich ist der Hamburger auf Wissenschaftsbücher spezialisiert. Erst mit Pippi und Astrid Lindgren beginnt seine Erfolgsgeschichte als Kinderbuchverleger.

Drei Dinge überzeugen ihn: der Inhalt, der so gar nichts mit herkömmlichen Kinderbüchern dieser Zeit zu tun hat, der große Erfolg in Schweden und ein Treffen mit der stillen, liebenswürdigen Astrid Lindgren. Der Mut wird schnell belohnt. 1949 erscheint das erste Buch auf Deutsch und wird bald zum Verkaufsschlager.

Ikonisch: Inger Nilsson als Pipi Langstrumpf.

Astrid Lindgren und Pippi: Parallelen sind durchaus vorhanden

Deutschland ist heute das erfolgreichste Pippi-Langstrumpf-Land - 8,6 Millionen Exemplare wurden bisher verkauft. Und noch mehr: Heute assoziieren die meisten Eltern und Pädagogen mit dem stärksten Mädchen der Welt vor allem positive Eigenschaften - Mut, Fantasie, ja sogar ein Vorbild für die Emanzipation. Wer sich näher mit Astrid Lindgren beschäftigt, kommt schnell zum Schluss, dass Pippis rebellischer Charakter, ihr starker Wille, der Mut und die Furchtlosigkeit bewusst gewählt sind. Immerhin ist auch sie eine unabhängige und starke Frau, mit Bubikopf, alleinerziehend, erfolgreich und meinungsstark, in ihren Ansichten oft ihrer Zeit weit voraus. Vielleicht ist die Unabhängigkeit von Pippi sogar als Appell an alle jungen Leserinnen gedacht, auch an die eigenen Tochter Karin.

Die schwedische Kinderbuchautorin Astrid Lindgren am 30.09.1987 in Stockholm. © Quelle: picture alliance / dpa

Von der Gute-Nacht-Geschichte zum Welterfolg

Astrid Lindgrens Tochter Karin ist es auch, die ihre Mutter auf die Idee zu Pippi Langstrumpf bringt. Aus diesem Grund feiern Karin und Pippi beide am 21. Mai Geburtstag. Es ist 1941, die Siebenjährige ist krank und möchte, dass Mama ihr von Pippi Langstrumpf erzählt. Den merkwürdigen Namen hat sich das kleine Mädchen gerade ausgedacht. Und Mama liefert die passend merkwürdige Geschichte dazu. Ein Mädchen mit roten Haaren und Sommersprossen, ohne Eltern, dafür mit einem Pferd auf der Veranda ihrer Villa Kunterbunt. Mit jeder Erzählung wird Pippis Welt ein wenig bunter, ein wenig verrückter.

Ein Buch entsteht aus den Gute-Nacht-Geschichten als Astrid Lindgren im März 1944 auf einer vereisten Stelle ausrutscht und im Bett bleiben muss. Dort schreibt sie die Geschichten auf, verpackt das Buch in ein hübsches Kästchen und malt eine winkende Pippi darauf. Es ist ein Geschenk zum zehnten Geburtstag von Karin. Ein zweites Exemplar verschickt sie an einen Verlag. Der beigelegt Brief endet mit den Worten: „In der Hoffnung, dass sie nicht das Jugendamt alarmieren." Der Verlag sagt ab, wendet sich aber auch nicht an die Behörden. Mehr Erfolg hat Lindgren wenig später bei einem Schreibwettbewerb des Verlags Raben & Sjögren. Nicht mit Pippi, sondern mit einem Mädchenbuch namens „Britt-Mari erleichtert ihr Herz". Es ist ihr Beginn als Schriftstellerin. Ein Jahr später bewirbt sich Lindgren erneuert bei dem Schreibwettbewerb und diesmal mit Pippi Langstrumpf.

Der Rest ist Geschichte: Pünktlich zum Weihnachtsgeschäft 1945 erscheint das erste Buch und wird im Laufe der Jahre zu einem weltweiten Bestseller. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Die Kinder lieben Pippi bis heute. Über das Alter selbst ließ Lindgren ihre besondere Heldin einmal sagen: „Ja, die Zeit vergeht, und man fängt an, alt zu werden. Im Herbst werde ich zehn Jahre alt, und dann hat man wohl seine besten Jahre hinter sich". Zum Glück sind wir davon noch viele Jahrzehnte entfernt. Denn so kann ich mit meinem Sohn zusammen noch einmal Pippi Langstrumpf und ihre Welt entdecken, Besuch von Tommi und Annika bekommen und Herrn Nilson streicheln - jedenfalls in unseren Träumen. Und ihrer Schöpferin dafür danken, dass sie so viele Bücher geschrieben hat, die Generationen überleben und uns die eigene Kindheit immer wieder zurückbringen. Was für ein wundervolles Geschenk zu einem 75. Geburtstag.

10 Fakten über Pippi Langstrumpf

Astrid Lindgren schickte das Manuskript zu Pippi Langstrumpf an den Verlag mit den Worten „In der Hoffnung, dass Sie nicht das Jugendamt alarmieren". Insgesamt hat Astrid Lindgren drei Pippi-Bücher geschrieben. Am 1. September 1945 erschien Pippi Langstrumpf erstmals als Buch in Schweden. Innerhalb von zwei Wochen verkauften sich mehr als 20.000 Exemplare. Inzwischen wurde Pippi Langstrumpf in 77 Sprachen übersetzt und 66 Millionen Mal verkauft. Pippi Langstrumpft heißt woanders Pippi Tat Dai (Vietnam), Fizia Pónczoszanka (Polen), Fifi Brindacie (Frankreich) oder Pippi Longstocking (USA). Im Herbst 1949 kam das erste Pippi-Buch nach Deutschland. 207 Seiten, 2,80 Mark. Deutschland ist heute das erfolgreichste Pippi-Land. 8,6 Millionen Exemplare wurden bisher verkauft. Dabei war der Anfang schwer. Fünf deutsche Verleger lehnten das erste Pippi-Buch ab, bevor der Verleger Friedrich Oetinger es veröffentlichte. Ab 1968 entstehen die Pippi Langstrumpf- Filme (Hauptrolle: Inger Nilsson, damals 9 Jahre alt). Um die Film-Rolle bewarben sich 8.000 Kinder in Schweden. Es gibt vier Spielfilme und eine 21-teilige Fernsehserie, für die Astrid Lindgren die Drehbücher schrieb. Walt Disney gelingt es nicht, die Rechte für einen Zeichentrickfilm von Astrid Lindgren zu bekommen. Erst eine kleine Hamburger Filmfirma (die auch „Werner"- und „Kleines Arschloch"-Filme produziert) kann die Autorin 1997 überzeugen. Der Filmaffe („Herr Nilsson") riss Hauptdarstellerin Inger Nilsson immer wieder die Perücke vom Kopf und pinkelte ihr auf die Schulter. Er war nicht dressiert. Der Schimmel hieß eigentlich „Bunting", seine Punkte wurden mit Haarfärbemittel aufgetragen. Das Zitat „Sei frech, wild und wunderbar" wird häufig Pippi Langstrumpf zugeschrieben. Es stammt aber nicht von ihr. Es stammt von einer deutschen Postkarte, auf der sich ein Kind als Pippi verkleidet hat.
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