„It's a Man's Man's Man's World", sang James Brown 1966. Eine harte Männerwelt, in der es ohne die Frauen nicht geht - die Botschaft des „biblisch-chauvinistischen Songtextes" (O-Ton Musikmagazin „Rolling Stone") ist in Zeiten von Corona aktueller denn je. In der wissenschaftlichen Kommission der Leopoldina, die die Bundesregierung beriet, saßen 22 alte weiße Männer über 60 Jahre. Virologen erzählen im Fernsehen ganz beiläufig, dass ihre Frauen nun auch unter der Kitaschließung leiden würden.
Die Belange von Familien und Kindern finden kaum mehr Erwähnung als in ein paar Zeilen in Empfehlungen, einem Nebensatz in der Regierungserklärung der Kanzlerin - eine „schwierige Situation" -, ein paar dankenden Worten des Bundespräsidenten. Angesichts solch bescheidener Aufmerksamkeit muss sich niemand wundern, dass der Unmut und Zorn der Eltern - oder ich sollte lieber sagen: der Mütter? - wächst.
Corona bedeutet eine Rückkehr zur Rollenverteilung unserer ElternKlar leiden auch die Männer und Väter unter der Coronapandemie: unter ungewisser Zukunft, unter Sorgen um den Job. Aber die größte Last tragen am Ende doch die Frauen. Aus früheren Untersuchungen weiß man, dass vor allem Mütter einspringen, wenn Betreuungssysteme wie Kita oder Schule schließen. So bedeutet auch Corona eine Rückkehr zu den Rollenverteilungen unserer Eltern - mit einem Unterschied: Die Erwerbstätigkeit der Frauen hat deutlich zu genommen oder, böse formuliert, sie haben eine weitere Baustelle neben Haushalt und Kinderbetreuung.
Laut einer 2017 erschienenen OECD-Studie arbeiten die meisten Mütter in Teilzeit und tragen im Schnitt ein knappes Viertel zum Familieneinkommen bei. Bei der unbezahlten Hausarbeit und Kinderbetreuung ist die Verteilung genau umgekehrt. Hier übernehmen deutsche Mütter mit 62 Prozent den Löwenanteil der Arbeit. 4,5 Stunden unbezahlte Arbeit sind es pro Tag. Einen deutlichen Anstieg des männlichen Engagements gab es seit den 70er-Jahren nicht.
Alte weiße Männer halten Kaufprämien & Co. für wichtiger als eine Unterstützung der ElternAuch in Zeiten von Corona und Lockdown - potenziell eine Chance für alle engagierten Väter, sich einzubringen - bleiben die Rollen klar verteilt. Oder deutlicher formuliert: Die Hauptlast der Krise tragen die Frauen. Sie jonglieren mit Kinderbetreuung, Homeschooling, Homeoffice, Haushalt. Sie arbeiten in den schlecht bezahlten, aber doch so systemrelevanten Berufen. Viele Männer sind zwar auch im Homeoffice, bleiben jedoch trotzdem abwesend. So ist auch die unter dem Hashtag #CoronaEltern gesammelte Wut, dieser Protest der Kraftlosen, vor allem eine Bewegung der Mütter. Ihr Erfolg: Die Mütter an der Belastungsgrenze können sich nun über geöffnete Autohäuser und Baumärkte freuen, eine Debatte um Kaufprämien für Neuwagen verfolgen und sich auf die Fortsetzung der Bundesliga freuen.
Ein Hurra auf ein bisschen mehr Normalität. Und überhaupt, wer braucht schon geöffnete Spielplätze, finanzielle Entlastung für Familien wie ein Corona-Elterngeld, Unterstützung für Alleinerziehende oder Familien in schwierigen Lebenssituationen oder auch nur Konzepte für die schrittweise Öffnung der Kindertagesstätten? Aus Sicht der alten weißen Männer der Leopoldina & Co. scheinen diese Probleme nicht relevant zu sein. Wie auch? Ihre Frauen haben ihnen schließlich das ganze Leben lang den Rücken freigehalten. Sie können sich keine andere Welt mehr vorstellen.
„It's a Man's Man's Man's World" - für viele Frauen werden meine Zeilen vermutlich keine Überraschung sein, unzählige Frauen haben sie auch schon vor mir geschrieben. Spitzer, pointierter. An dieser Stelle möchte ich aus dem wunderbaren Text „Hannelore radikalisiert sich" von Antonia Baum auf „Zeit Online" zitieren:
„Die Frauen krabbeln unsichtbar auf dem Boden dieser Krise beziehungsweise Deutschlands herum, wo sie schlecht oder gar nicht bezahlte Arbeit machen, die für den Erhalt dieser sich gerade ganz besonders für sich selbst interessierenden Nation systemrelevant ist, und die Männer reden darüber, unter welchen Bedingungen gekrabbelt wird."Mir als Vater hat diese Pandemie etwas schmerzlich vor Augen geführt, was sich im „normalen" Alltag so bequem ignorieren ließ. Es sind vor allem die Frauen, die unsere Welt am Laufen halten - unbezahlt, nebenbei und zu müde zum Aufbegehren. Vielleicht wäre es auch für uns Männer mal an der Zeit, die Krise als Chance zu nutzen, um uns zu besinnen, wen man wirklich braucht, wer das Fundament unserer Gesellschaft ist.
Und die gute Nachricht: Diese Besinnung fällt leicht. Mann muss sich nur den Kindern widmen, den Haushalt schmeißen, versuchen, Telefonkonferenzen mit Kind auf dem Schoß zu überstehen, gemeinsam müde und kaputt ins Bett fallen und den alten, ergrauten Eminenzen unseres Geschlechts mitteilen, dass wir keine Neuwagenprämie oder Geisterspiele in der Bundesliga brauchen, sondern eine Politik, die Mütter und Väter wertschätzt, die Bedürfnisse der Kinder sieht und die Familien nicht nur sich selbst überlässt.
Liebe XING Nutzerinnen und Nutzer, aufgrund der Coronakrise und der damit verbundenen oft unübersichtlichen Faktenlage kommt es im Kommentarbereich derzeit gelegentlich zur Verbreitung von Falschinformationen. Um dem entgegenzuwirken, behalten wir uns das Recht vor, Kommentare, die Links zu weiterführenden Websites enthalten oder falsche Tatsachenbehauptungen aufstellen, ohne Stellungnahme zu löschen. Wir bitten um Ihr Verständnis.