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Corona-Ferien: Videospiele, Computer und Fernsehen bis zum Umfallen? Tipps für Eltern

Digitale Medien sind aus dem Familienleben nicht mehr wegzudenken - gerade jetzt in Corona-Zeiten. Doch wie viel Medienkonsum ist für mein Kind eigentlich in Ordnung und wie behalte ich das Gesehene und Gespielte meines Nachwuchses im Blick? Ein Gespräch mit Medienexpertin und Psychologin Patricia Cammarata.

Medienzeiten der Situation anpassen

Welche Bedeutung haben digitale Medien in der Corona-Krise für Familien?

Patricia Cammarata: Sie sind unverzichtbar. Selbst Eltern, die vorher eher medienkritisch waren, erkennen dieser Tage den großen Reiz digitaler Angebote. Sie stellen fest, dass es im Internet viele tolle Angebote gibt, die für die eigenen Kinder sinnvoll und vielleicht sogar lehrreich sind. Und natürlich nicht zu vergessen: Den Nachwuchs einmal 20 oder 30 Minuten mit einer guten Serie zu beschäftigen, ermöglicht uns Eltern wichtige Telefonate zu erledigen, Mails zu beantworten oder Essen zu kochen. Dazu kommt, dass während der Kontakt-Sperre Video-Anrufe oder Messenger eine gute Möglichkeit sind, um Kontakt zu den Großeltern oder Freunden zu halten. Das gilt übrigens auch für Computerspiele. Für viele Jugendliche sind sie mehr als nur Zeitvertreib und Hobby, sondern auch ein guter Weg, um mit ihren Freunden in Kontakt zu bleiben - zum Beispiel über die Chatfunktionen.

In vielen Familien bröckeln gerade die Begrenzungen von Medienzeiten. Braucht es trotz Corona Grenzen und Regeln?

Patricia Cammarata: Grenzen und Regeln sind für mich zwei unterschiedliche Dinge. Grenzen sind für mich Dinge, die ich auch in Corona-Zeiten nicht diskutieren würde. Zum Beispiel respektvoller Umgang miteinander im Netz oder die Nutzung von nur altersangemessenen Inhalten. Die Regeln wie die Medienzeiten sind dagegen verhandelbar und können der Situation angepasst werden. Sicher werden viele Kinder im Moment länger als 30 Minuten pro Tag mit Fernsehen oder Videospielen verbringen. Und das ist völlig in Ordnung. Viel wichtiger als die Frage nach dem „Wie lang" ist aus meiner Sicht das „Was". Wenn ein Kind stundenlang Serien schaut, ist das sicher keine gute Lösung. Wenn das Kind aber selbst Stop-Motion-Filme dreht, Roboter programmiert oder auf dem Tablet zeichnet, spricht nichts gegen längere Medienzeiten.

Auf kindgerechte Inhalte achten

Wie gut verstehen die Kinder, dass es sich um eine Ausnahmesituation handelt und sich die lockeren Regeln irgendwann wieder ändern werden?

Patricia Cammarata: Kinder verstehen das ziemlich gut. Sie kennen ja auch, dass sie in den Sommerferien länger aufbleiben oder bei Oma und Opa mehr Eis essen dürfen. Ich würde trotzdem empfehlen, ganz offen mit den Kindern über die aktuelle Situation zu sprechen und deutlich zu machen, dass die etwas lockeren Regeln kein Dauerzustand sind. Allzu große Sorgen um die Umstellung würde ich mir auch gar nicht machen. Schon jetzt besteht bei den meisten Kindern und Jugendlichen eine große Sehnsucht nach Freunden und Hobbys. Sie werden sich freuen wieder zum Sportverein oder in den Park gehen zu können, statt nur bei Youtube zu turnen oder Sport auf der Konsole zu zocken. Auf der anderen Seite sollten wir uns auch fragen, welche Dinge aus der Krise durchaus Bestand haben könnten. Meine Kinder zeigen mir zum Beispiel jeden Abend lustigste Corona-Bildmontagen. Das ist ein netter Gesprächsstoff und ich erfahre viel darüber, welchen Youtubern sie gerade folgen.

Medienexpertin Patricia Cammarata. © Quelle: Privat

Wir Eltern stehen dieser Tage unter besonderem Druck - Homeoffice, Kinderbetreuung, Haushalt, Kochen. Aus Zeitgründen ist es überhaupt nicht möglich, den Medienkonsum der Kinder vollends zu begleiten oder zu beobachten. Wie behalte ich trotzdem im Auge, was meine Kinder spielen oder schauen?

Patricia Cammarata: Ich glaube, auch im Alltag ist begleiteter Medienkonsum eher ein Idealbild als wirklich Realität. Deshalb würde ich nichts anderes raten als zu „Nicht-Corona-Zeiten". Es braucht sichere Umgebungen und Absprachen. Ein Kleinkind mit Autoplay vor Youtube zu setzen, ist sicherlich keine gute Idee. Deutlich besser sind kindgerechte Angebote wie eine Maus-App oder ein Kinder-Account für Netflix oder Co. So bekommen die Kinder wenigstens nur kindgerechte Angebote angezeigt. Außerdem geben sie sich im Kleinkindalter auch mit den immer gleichen Wiederholungen von Peppa Wutz und Paw Patrol zufrieden. Das ändert sich erst im Vorschulalter.

Mit den Kindern im Gespräch bleiben

Für Jugendliche sind die Freiheiten im Medienkonsum deutlich größer. Wie bleibe ich auch bei ihnen in Fühlnähe?

Patricia Cammarata: Für ältere Kinder und Jugendliche ist eine gewisse digitale Freiheit absolut richtig und wichtig. Trotzdem sollten Eltern und ihre Kinder klare Absprachen treffen - also welche Youtube-Kanäle darfst du anschauen, welche Spiele spielen und wie verhältst du dich im Internet. Dazu gehören zum Beispiel eine Exit-Strategie, wenn ich auf verstörende Inhalte stoße oder die klare Regelung, dass Kinder keine persönlichen Daten von sich weitergeben. Auch über Themen wie Cyber Grooming - also Erwachsene, die sich im Chat als gleichaltrige Kinder ausgeben - sollte man offen sprechen.

Sollte ich selbst die Videospiele der Kinder ausprobieren oder Youtuber ansehen, um mitreden zu können?

Patricia Cammarata: Das kann ich natürlich tun, vor allem, wenn ich selbst eine gewisse Affinität zu Spielen oder Yotube habe. Ich glaube, wichtiger ist es aber im Gespräch zu bleiben. Dafür eignen sich gemeinsame Familienzeit wie ein Spaziergang oder das Abendbrot. Dabei kann man eben fragen, was die Kinder heute gemacht haben, welche Games gerade angesagt sind und mit wem sie im Moment spielen. Dieses ehrlich gemeinte Interesse ist sehr wichtig und stärkt die Beziehung zu den eigenen Kindern - auch in einer schwierigen Phase wie der Pubertät. Wenn mich meine Tochter oder mein Sohn auch im Digitalen als Vertrauensperson wahrnimmt, werden sie schneller zu mir kommen, wenn sie auf Probleme im Netz stoßen.

Das Cover von Patricia Cammaratas jüngstem Buch. © Quelle: Eichborn Verlag

Bewegung mit der Familie

Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht im Moment der analoge Ausgleich? Der Spaziergang mit Abstand oder ein bisschen Zeit im Garten.

Grundsätzlich ist Bewegung an der frischen Luft und in der Natur immer gut. Gerade wenn man lange vor dem Rechner oder Tablet zugebracht hat, ist es auch sinnvoll, für einen Ausgleich zu sorgen. Und dafür eignet sich bewusste Bewegung ohne gesenkten Blick auf das Smartphone am besten. Selbst ich als Sportmuffel denke dieser Tage über das Joggen nach. Allerdings wehre ich mich ein wenig gegen die immer noch sehr starke Abgrenzung von digitaler und analoger Welt - sportlich aktiv oder in sozialer Interaktion kann ich auch mit digitalen Medien sein. Das zeigt sich dieser Tage sehr eindrücklich. Zum Beispiel, indem Familien morgens zu Videos von Alba Berlin turnen oder sich Schüler im Klassen-Chat gegenseitig beim Homeschooling unterstützen.

Patricia Cammarata ist Psychologin und Digitalexpertin. Sie schreibt seit 2004 unter dasnuf.de, und das so erfolgreich, dass sie bereits mehrere Preise gewonnen hat. Ihr Buch "Sehr gerne, Mama, du Arschbombe" wurde ein Bestseller. Cammarata schreibt regelmäßig für den Elternratgeber SCHAU HIN! über Kinder und digitale Medien, hält Vorträge und podcastet bei nur30min.de und mkl.wtf.

Buchtipp: " Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!"

Kaum ein Thema beschäftigt Eltern so sehr wie der Medienkonsum ihrer Kinder. Was? Warum? Ab wie vielen Jahren? Und was war gleich Fortnite noch mal? In ihrer typisch humorvollen Art beantwortet Patricia Cammarata die dringendsten Elternfragen zu moderner Medienerziehung. Wie lange sollen Kinder digitale Medien nutzen? Machen Videospiele aggressiv? Ist YouTube besser als Fernsehen? Wie wirkt sich Instagram auf die Körperwahrnehmung Pubertierender aus? Was mache ich, wenn mein Kind (virtuell) gemobbt wird?

Patricia Cammarata: "Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss! Mit Kindern tiefenentspannt durch den Mediendschungel", 317 Seiten, Eichborn Verlag, 16 Euro

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