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Moderne Sprachförderung: Wie Kinder in der Kita Sprache lernen

Hamburg. Dörte Dorbandt möchte Sprachanlässe schaffen. Um zu erklären, was sie damit meint, steht die Leiterin der Hamburger Elbkinder-Kita in der Steglitzer Straße vor einem besonders wichtigen Anlass, dem Speiseplan. Darauf heute: Salat als Vorspeise, Hauptgang Gulaschsuppe und Schokopudding zum Nachtisch. Für jede Speise gibt es ein buntes Bild, damit auch die Kinder wissen, was heute auf dem Tisch kommt. Für ganz Neugierige gibt es auch eine hörbare Speisekarte. Jeden Morgen spricht sie ein Kind mit einem Aufnahmegerät ein. Bevor die Leiterin noch mehr über das pädagogische Konzept ihrer Kita erzählen kann, unterbricht sie eine laute, etwas schräge Darbietung von „Oh Tannenbaum".

Kita-Leiterin: Sprache ist „der Schlüssel zur Welt"

Eine Kindergartengruppe hat bei ihrem Ausflug in den Stadtteil die letzten, traurigen Weihnachtsbäume der Saison entdeckt und spontan die Eindrücke vertont. Mit zufriedenem Lächeln wartet Dorbandt bis 25 singende Kinder in Matschhosen und dreckigen Gummistiefeln an ihrer Bürotür vorbeigezogen sind. „Für uns ist Sprache der Schlüssel zur Welt. Deshalb soll unsere Kita ein guter Ort sein, um sie zu lernen", sagt sie. Diese Haltung hat einen Grund: Knapp 70 Prozent der 120 Kinder hier haben einen Migrationshintergrund. In vielen Familien des Stadtteils wird nur wenig Deutsch gesprochen. Sich um mögliche sprachliche Defizite erst in der Grundschule zu kümmern, wäre schlicht zu spät - also ist die Kita gefragt.

Studien: Kita-Alltag besser als Förderprogramme, um Sprache zu lernen

Es sind alle Pädagoginnen gefragt. Sie müssen Sprachanlässe schaffen - so früh und so viel wie möglich.

Ann-Katrin Bockmann, Universität Hildesheim

„Lernen von Sprache beginnt lange vor der ersten Deutschstunde, wir legen in der Krippe und Kindergarten die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Schullaufbahn", bestätigt Ann-Katrin Bockmann, Expertin für Sprachbildung und -förderung an der Uni Hildesheim. In der Pädagogik spricht man von Vorläuferfähigkeiten. Neben Konzentration, Aufmerksamkeit oder Selbstregulation gehören dazu auch ein altersentsprechender Wortschatz und Grammatik. Studien zeigen, dass der beste Weg der Kita-Alltag selbst ist und keine gesonderten Förderprogramme. Dahinter steckt nicht weniger als ein grundlegendes Umdenken in der Pädagogik. Lange Zeit wurden Kinder mit Sprachschwierigkeiten in kleinen Gruppen gefördert. 45 Minuten pro Woche übte eine Pädagogin mit ihnen die Aussprache, Grammatik oder neue Worte. Das kann nicht nur zu einer zusätzlichen Stigmatisierung führen, sondern brachte auch nur wenig Lernerfolg. „Es sind alle Pädagoginnen gefragt. Sie müssen Sprachanlässe schaffen - so früh und so viel wie möglich", erklärt Bockmann.

Erzieherinnen sollen bei jeder Gelegenheit mit Kindern sprechen

Beim Essen, beim Durchblättern von Bilderbüchern, beim Morgenkreis, in der Puppenecke, beim Anziehen der Matschhose, überall können (und sollen) Erzieherinnen mit den Kindern ins Gespräch kommen und nach ihrer Meinung fragen. Dafür braucht es ein Bewusstsein über die eigene Sprache. Denn damit Kinder sprechen, brauchen sie positive Impulse - zum Beispiel, indem man Fragen stellt, die nicht nur mit „Ja" oder „Nein" beantwortet werden können. Statt „Willst du einen blauen Stift haben?" lieber „Welchen Stift willst du denn haben?". Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Vertrauen und das Gefühl, gehört zu werden. „Erzieherinnen sind nicht nur Sprachvorbilder, sondern auch Bindungspersonen. Dieser Umstand fördert das Sprachlernen der Kinder", sagt Bockmann. Umso wichtiger sei es, dass Pädagoginnen den Kindern zuhören und sich ernsthaft auf ein Gespräch einlassen.

Beim Essen, beim Durchblättern von Bilderbüchern, beim Morgenkreis: Erzieherinnen können (und sollen) bei jeder Gelegenheit mit den Kindern ins Gespräch kommen. © Quelle: Monika Skolimowska/dpa

Was so banal klingt, ist im hektischen Kita-Alltag oft schwierig. Denn um sich mit Kindern hinzusetzen und über ein Buch zu sprechen oder sich das Spiel in der Puppenecke erklären zu lassen, braucht es Zeit und Ruhe. Bei Gruppenstärken von 25 Kindern für zwei Erzieherinnen kommt genau das oft viel zu kurz. Auch Bockmann kritisiert: „Für eine bessere Bildungsarbeit braucht es eigentlich mehr Personal, kleinere Gruppen und mehr Zeit für Reflexion und Austausch unter Kollegen." Doch genau das liegt trotz politischer Anstrengungen à la „Gutes-Kita-Gesetz" noch in weiter Ferne.

Sprachprojekt: Kinder beobachten Umbauarbeiten und erzählen ihren Eltern davon

Bei den Elbkindern in Hamburg-Jenfeld herrschen dagegen fast „luxuriöse" Zustände. Als Brennpunkt-Kita wurde der Betreuungsschlüssel angehoben. Bis zum Ende des Jahres gibt es außerdem eine Beauftragte für die Sprachförderung. Die Hälfte der Stelle finanziert das Programm „Bildungsoffensive Sprache". Erzieherin Gülsen Kaya gibt das (noch) die Chance, Fortbildungen für Kolleginnen zu organisieren, die Kooperation mit örtlichen Büchereien zu pflegen oder neue Sprachprojekte anzuschieben. Als es im Haus Umbauarbeiten gab, besuchten die Kinder zum Beispiel regelmäßig die Baustelle. Ihre Beobachtung hielten sie auf Bildern fest. Außerdem gestalteten sie gemeinsam mit den Erzieherinnen ein Buch und einen Tisch mit Baumaterialien. So erfuhren am Ende des Kita-Tages auch die Eltern alles über die Fortschritte. „Plötzlich haben Kinder ihre Mütter über das Verlegen von Wasserleitungen oder Betonarbeiten aufgeklärt", erinnert sich Kaya. Solche Momente fördere man gezielt, zum Beispiel indem Ausflugsbilder schnellstmöglich ausgedruckt und aufgehängt werden.

Bildung im Elternhaus wichtig - pädagogische Arbeit kann sie nur teilweise ersetzen

Bildung findet zuallererst im Elternhaus statt. Selbst eine noch so gute pädagogische Arbeit kann die Förderung im Elternhaus nur teilweise ersetzen.

Ann-Katrin Bockmann, Universität Hildesheim

Das gibt nicht nur Einblicke in den Kita-Alltag, sondern baut Brücken zu den Eltern. „Bildung findet zuallererst im Elternhaus statt. Selbst eine noch so gute pädagogische Arbeit kann die Förderung im Elternhaus nur teilweise ersetzen. Deshalb gehört zur Sprachförderung auch immer Elternarbeit", erklärt Bockmann. Bei den Elbkindern in Steglitzer Straße setzt man auf frühe Überzeugungsarbeit und bunte Veranstaltungen, um mit den Eltern im Gespräch zu bleiben und sie davon zu überzeugen sich auch selbst einzubringen, zum Beispiel mit den Kindern zu lesen, in die Bücherei zu gehen oder etwas draußen zu unternehmen.

So basteln die Väter und Mütter die Kostüme für das anstehende Faschingsfest an einem Nachmittag gemeinsam mit den Kindern und Erzieherinnen. So kommt garantiert niemand ohne Verkleidung oder mit den Plastikpistolen aus dem Supermarkt. Und statt der Pädagoginnen basteln seit letztem Jahr Väter und Kinder gemeinsam Geschenke zum Muttertag. Zum Frühling gibt es regelmäßige Pflanzaktionen, bei denen Eltern und Kinder viel über Blumen und Gartenarbeit lernen können. Das Engagement geht auf: Inzwischen beteiligt sich die Mehrheit der Mütter und Väter an den Bastelnachmittag und Elternabenden - manchmal auch auf sanftem Druck der Kinder.

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