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Studienfach Kindheitspädagogik - SPIEGEL ONLINE - KarriereSPIEGEL

Matschhosen und Gummistiefel überstreifen, Mützen richten, Reißverschlüsse schließen: Draußen auf dem Kita-Flur macht sich ein Dutzend Kleinkinder bereit für den Ausflug ins Hamburger Schmuddelwetter. Drinnen im Büro sitzt Christin Janschuk am Laptop.

Statt im Sandkasten wird die Kindheitspädagogin ihren Tag mit Organisation verbringen - Verträge für Eltern aufsetzen, die Dienstpläne für den nächsten Monat schreiben.

Die eine Hälfte ihrer Arbeitszeit ist Janschuk im Leitungsteam des Fröbel-Kindergartens in der Winterstraße in Hamburg, die andere im Krippendienst. Aus Sicht der 24-Jährigen eine ideale Aufteilung: "Ich arbeite viel mit Kindern und habe gleichzeitig die Chance, die Einrichtung und ihre pädagogische Ausrichtung mitzugestalten. Genau mit diesem Anspruch habe ich mich damals für ein Kindheitspädagogik-Studium und gegen die Erzieherausbildung entschieden."

Frühe Bildung zu stärken, mit diesem Anspruch wurden vor knapp 15 Jahren die ersten Studiengänge für Kindheitspädagogik ins Leben gerufen. Heute gibt es deutschlandweit etwa hundert davon.

Kinder in ihren Rechten stärken

"Nicht von oben herab zu entscheiden, sondern den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Wünsche zu respektieren und sie in ihren Rechten zu stärken, war zentraler Inhalt meines Studiums", sagt Janschuk. "Umso glücklicher bin ich, diesen Anspruch nun umsetzen zu können."

In der Winterstraße kann Janschuk viel gestalten. Klassische Tagesstrukturen und Gruppen wurden zum Beispiel abgeschafft. Die 130 Kinder können nun selbst entscheiden, ob sie lieber im Atelier basteln oder im Bewegungsraum toben wollen. Auch die Entscheidung, ob und wann sie schlafen und was sie essen wollen, treffen die Kinder weitestgehend selbst.

Inhaltlich ist der Studiengang an Sozialpädagogik und Erziehungswissenschaften angelehnt - mit einem entscheidenden Unterschied, erklärt Petra Strehmel, Leiterin des Competence Center zum Aufwachsen von Kindern an der HAW Hamburg. Sozialpädagogen und Erzieher könnten auch in der Jugendarbeit oder mit Senioren arbeiten. "Die Kindheitspädagogik legt einen deutlichen Schwerpunkt auf das Aufwachsen von Kindern. Der reicht von pädagogischen bis zu rechtlichen Fragen."

Dieses Wissen ist gefragt. Unter den Absolventen herrscht Vollbeschäftigung. Sie leiten Kindertagestätten oder den Nachmittagsbereich von Grundschulen, arbeiten in der Familienberatung oder in Jugendämtern. Auch die Forschung bietet Perspektiven.

"Um eine Anstellung müssen sich unsere Studierenden keine Sorgen machen", sagt Strehmel. "Gleichzeitig fehlen in vielen Bereichen noch Standards für eine angemessene Bezahlung und Anerkennung der Ausbildung und Ideen für die Nutzung des Wissens."

Die Kita als Durchgangsstation

Das gilt vor allem für die Kindertagesstätten. Viele Kindheitspädagogen starten oft im Gruppendienst und mit einem "normalen" Erziehergehalt von etwa 2.700 Euro brutto. Viel schwerer aber wiegt: Wer nicht in Leitungspositionen ist, hat meist auch keine Gestaltungsmöglichkeit. Dem Anspruch, die Kita-Qualität zu verbessern, können deshalb nur die wenigsten gerecht werden. Die Folge: Viele Absolventen sehen die Kita nur als Durchgangsstation. Und das, obwohl ihr Fachwissen hier dringend benötigt wird.

Kindertagesstätten sollen heute Bildungseinrichtungen sein, in denen die Weichen für das spätere Leben und Lernen gestellt werden. "Mit diesem Anspruch geht eine hohe Erwartungshaltung an die Pädagogen einher", sagt Tim Rohrmann, Professor für Kindheitspädagogik an der HAWK Hildesheim. "Heute sollen Kitas Sprachförderung leisten, inklusiv arbeiten und die kindliche Neugier fördern."

Doch die Zahl der Kinder in den Einrichtungen steigt, gleichzeitig fehlt Personal. In neun von zehn Einrichtungen gibt es offene Stellen. Um die zu besetzen, werden auch schon mal die pädagogischen Ansprüche abgesenkt. Qualitätssicherung sieht anders aus.

Weiterbildung zu selten honoriert

Die vielfach geforderten multiprofessionellen Teams aus Kindheitspädagogen, Therapeuten und Erziehern mit Zusatzqualifikationen scheitern etwa an den Rahmenbedingungen. Ergo- oder Physiotherapeuten können nur in heilpädagogischen Kindergärten auf eine Anstellung in Vollzeit hoffen. Ein Studium oder Weiterbildungen für Sprachförderung oder Bewegungspädagogik sind bei Erziehern zwar gern gesehen, wirken sich aber selten auf die Aufgabenverteilung und den Gehaltszettel aus.

Die Kita von Christin Janschuk zeigt, dass es auch anders geht. Ihr Bildungsträger, die Fröbel Bildung und Erziehung GmbH aus Berlin, hat sich auf Kindheitspädagogen und aufstiegswillige Erzieher eingestellt und neue Positionen geschaffen. Die Führungsaufgaben wie Personalplanung oder Qualitätsmanagement sind auf mehrere Schultern verteilt und werden zusätzlich vergütet. Das gilt auch für Erzieher mit Spezialisierungen etwa in Bewegung oder Medienpädagogik.

Dieser Anreiz zur Weiterbildung zeigt jedenfalls in der Hamburger Winterstraße Erfolge. Neben Erziehern und sozialpädagogischen Assistenten arbeiten hier auch Heilpädagogen und einige Pädagogen mit Bachelorabschluss. "Von diesen unterschiedlichen Perspektiven, von der Vielfalt profitieren wir als Einrichtung und natürlich die Kinder", erklärt Kita-Leiter Marco Radsziwill: "Wir können ihnen mehr Entwicklungsangebote machen, bekommen mehr Impulse für die tägliche Praxis."

Studium und Ausbildung nicht gegeneinander ausspielen

Gleichzeitig warnt er davor, die klassische Erzieherausbildung und pädagogische Studiengänge in Konkurrenz zu sehen. Vielmehr komme es auf die Mischung an. Immerhin hat die schulische Erzieherausbildung aus seiner Sicht nicht nur ein hohes Niveau, sondern auch einen klaren Vorteil - den großen Praxisanteil.

Eine frisch ausgebildete Erzieherin könne ohne große Einarbeitung in den Gruppendienst starten. Bei Hochschulabsolventen brauche es oft mehr Anlaufzeit bei der Arbeit am Kind - allein schon weil die gängigen Lieder aus dem Morgenkreis und angesagte Bewegungsspiele nur selten Teil ihrer Vorlesungen sind. Dafür könnten die Kindheitspädagogen aber Entwicklungspläne im Schlaf ausfüllen und hätten viele Ideen für neue Projekte.

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