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Inklusion: "An staatlichen Schulen fehlen Mittel und Erfahrungen"

Schafft mein Kind den Weg zur Grundschule allein? Gibt es eine abwechslungsreiche Nachmittagsbetreuung? Sind mir die Lehrerinnen und Lehrer und das Konzept sympathisch? Die Entscheidung für die richtige Grundschule ist ohnehin nicht leicht. Deutlich schwieriger wird sie für Eltern mit einem Kind mit Behinderung.

Von einem flächendeckenden Angebot inklusiver Schulen kann in Deutschland auch zehn Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention nicht die Rede sein.Laut Institut für Menschenrechte gibt es hier noch zu viele Sonder- und Förderschulen; zu wenige Schülerinnen und Schüler mit Behinderung besuchen eine allgemeinbildende Schule.

Außerdem fehlen dort oft Sonderpädagogen, Schulbegleiter und besondere Förderangebote. Für die Eltern bedeutet das die schwere Wahl zwischen einer in der Regel gut ausgestatteten Förderschule oder einer allgemeinbildenden Schule, die inklusiv unterrichtet. Drei Mütter berichten über die Suche nach einer geeigneten Grundschule.

Eine Privatschule mit viel Erfahrung

Jannik, der Sohn von Astrid Bretz, geht in die zweite Klasse der Bugenhagenschule in Hamburg-Ottensen.

Mein Sohn Jannik ist acht Jahre alt und hat Trisomie 21. Von Anfang an legten wir viel Wert auf . Schließlich soll Jannik auf ein möglichst selbstständiges Leben vorbereitet werden. Das gelingt aus meiner Sicht am besten durch das Miteinander von Kindern mit und ohne Handicap. Wir haben damit bisher viele positive Erfahrungen gemacht.

Mit anderthalb Jahren kam er in eine inklusive Krippe, mit drei wechselte er in einen ebenfalls inklusiven Kindergarten. Hier gab es eine spezielle Sprachförderung und zusätzliche Unterstützung durch Heilpädagogen. Jannik machte große Fortschritte im Umgang mit anderen Kindern, schloss Freundschaften, lernte Fahrradfahren und wurde windelfrei. Er hörte auch auf, ständig wegzulaufen. Diese Erfahrungen bestärkten uns darin, eine inklusive Schule für ihn zu suchen. Ich war mir sicher, dass Jannik, auch wenn er kaum spricht, in einer Gruppe von anderen Kindern gut klarkommt. Aber einfach war die Suche nicht.

In Hamburg gibt es sogenannte Schwerpunktschulen, die besondere Expertise zu einem Förderschwerpunkt haben sollen. In unserem Fall ist das die "geistige Entwicklung". Ein paar dieser Schulen liegen auch in unserer Nähe. Weil wir kein Auto haben, ist das für uns ein wichtiges Kriterium neben der passenden Ausstattung und dem pädagogischen Konzept. Richtig überzeugen konnten mich die staatlichen Schulen allerdings nicht. Die meisten Lehrkräfte waren offen, nett und motiviert, direkte Absagen bekamen wir auch nur wenige. Allerdings war mir "Wir probieren das" etwas zu wenig. Ich hatte den Eindruck, dass es den engagierten Lehrkräften einfach an Mitteln und Erfahrungen fehlt.

In manchen Schulen hätte mein Sohn nur in acht Stunden pro Woche eine Unterstützung bekommen. Ich habe befürchtet, dass er den Rest der Zeit in der Klasse schlicht untergegangen wäre. Er spricht kaum, ist sonst aber sehr aktiv. Damit hätte er womöglich auch die anderen Schülerinnen und Schüler gestört.

In einer anderen Schule wurden wiederum alle Kinder mit Behinderung in einem Nebenraum unterrichtet, parallel zu der restlichen Klasse. Das ist aus meiner Sicht nicht der Sinn von Inklusion. Auch eine Förderschule sah ich mir an. Die Rahmenbedingungen waren hier toll. Therapeuten, kleine Klasse, Sonderpädagogen - dafür aber nur für Kinder mit Behinderung.

Am Ende entschieden wir uns für Bugenhagenschule in Ottensen. An der kleinen Privatschule in kirchlicher Trägerschaft hat man viel Erfahrung mit Inklusion. Jede Unterrichtsstunde ist doppelt besetzt. Gelernt wird nach Wochenplänen und in jahrgangsübergreifenden Klassen. In jeder Klasse gibt es vier Kinder mit Handicap.

Die Entscheidung für eine reformpädagogische Schule war für uns richtig. Jannik hat in den letzten beiden Jahren viel gelernt. Er ist selbstständiger geworden, kann seine täglichen Aufgaben in der Schule organisieren und seine Konzentration hat sich verbessert. Mindestens genauso wichtig: Er kommt in der Gruppe klar, spielt auf dem Schulhof mit anderen Kindern. Er ist ein guter Fußballer, das hilft bei der Inklusion. Auch zu Kindergeburtstagen wird er ab und zu eingeladen.

Nur die Leistungsfortschritte sind mir persönlich etwas zu klein. Deshalb üben wir zu Hause noch viel - zum Beispiel Lesen, das Bilden von Silben und die Grundrechenarten. Ich würde mir wünschen, dass er am Ende der Grundschulzeit grundlegend lesen, schreiben und rechnen kann. Ich bin ganz optimistisch, dass das klappt. Größere Sorgen mache ich mir um die Zeit danach. Was passiert, wenn seine Mitschüler in die Pubertät kommen und ihre Interessen sich verändern, verschwindet dann auch ihre Offenheit gegenüber den Jugendlichen mit Handicap? Ich habe ein wenig Angst davor, dass Jannik auf einer weiterführenden Schule zum Außenseiter wird und vereinsamt.

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