Es war ein schleichender Prozess. Ich bin schon länger Lehrer in internationalen Vorbereitungsklassen. Das heißt, die meisten meiner Schüler sprechen fast kein Deutsch und leben erst seit wenigen Monaten hier. In der Klasse lernen sie vor allem unsere Sprache und legen am Ende ein Deutsch-Diplom ab. Als die Idee zu der Reise entstand, kamen meine Schüler aus elf verschiedenen Nationen. Manche kamen wegen dem Job ihrer Eltern hierher, andere auf der Flucht vor Krieg und Terror. Diese kulturelle Vielfalt fand ich unheimlich spannend, vor allem wenn die Schüler von ihrer Heimat erzählten. Irgendwann wollte ich viele dieser Länder auch einmal selbst sehen.
Gab es eine Geschichte, die Sie besonders inspiriert hat?Eine Schülerin schwärmte immer von ihrer bulgarischen Heimat. Gleichzeitig kam sie nach den Ferien immer ein paar Tage zu spät. Ihre Begründung: Die Busreise von Sofia nach Hamburg sei so lang und anstrengend. In den Sommerferien stieg ich aus Neugier selbst in den Bus und fuhr nach Bulgarien. Das war eine tolle Reise. Ich lernte viele nette Menschen unterwegs kennen. Dieses Erlebnis hat meinen Entschluss, die Heimatländer meiner Schüler zu entdecken, endgültig bestärkt. Ich habe nach meiner Rückkehr ein Sabbatjahr beantragt und einen Volkshochschulkurs in Farsi, einem persischen Dialekt, belegt.
Haben Sie Ihre Schüler in die Reiseplanung miteinbezogen?Im zweiten Halbjahr habe ich der Klasse von meiner Idee erzählt und die Schüler gebeten, mir kleine Reiseführer zu schreiben. Sie waren sofort begeistert. Immerhin spielt für sie ihre Kultur auch nach der Auswanderung eine große Rolle. Einblicke in ihre Heimat zu geben war für sie sehr wichtig. Als ich zur Reise aufbrach, hatte ich unzählige kulinarische Tipps, Hinweise zu Sehenswürdigkeiten und selbst gezeichnete Karten im Gepäck. Besonders hilfreich waren die Vokabeln. Sie wirkten wie kleine Türöffner - in Bussen oder im Restaurant. Wenn ich die selbst gebastelten Reiseführer rausholte und mich an den Worten probierte, war das Eis schnell gebrochen.
Gab es Heimatländer, die Ihnen zu gefährlich waren?Einen großen Teil meiner Planung verwendete ich dafür, Wege nach Afghanistan zu finden. Ich schrieb verschiedene NGOs, Schulen und Journalisten an. Das Ergebnis: Ein Aufenthalt wäre grundsätzlich möglich. Allerdings würde ich nicht die Zivilgesellschaft kennenlernen, sondern hinter Mauern leben. Endgültig abgehalten haben mich aber die Frühjahrsoffensive der Taliban und die damit verbundene Warnung des Vaters eines Schülers. Er hatte vor Ort immer noch viele Kontakte und konnte die Lage gut einschätzen. Zum Glück gab es im Iran viele Spuren der afghanischen Kultur. In Teheran besuchte ich zum Beispiel eine Schule für Geflüchtete. Dort fand ich viele Parallelen zu meinen Schülern. Trotzdem würde ich gern noch mal nach Afghanistan reisen - die Landschaft und die Gastfreundlichkeit sollen einfach toll sein.
Haben Sie auch die Familien und Verwandten der Schüler vor Ort besucht?Nur wenn es wirklich gepasst hat. Ich wollte nicht zu übergriffig sein. Zum Beispiel habe ich die Mutter eines Schülers auf Kuba besucht - einen siebentägigen Sprachkurs und Unterkunft inklusive. In diesem Fall passte es einfach perfekt, ansonsten habe ich aber manchmal Kontakte genutzt.
Haben Sie durch die Vorbereitung seitens der Schüler die Länder anders kennengelernt als der normale Tourist?Ja, ganz eindeutig. Ich hatte von Anfang an einen ganz anderen Blick auf die Länder. Ich konnte zum Beispiel die Sprachlosigkeit meiner Schüler viel besser nachvollziehen. Ich befand mich in mir völlig fremden Ländern, mit ganz neuer Kultur und konnte nur ein paar Worte in der Landessprache. Auf diese Hilflosigkeit habe ich mich bewusst eingelassen und konnte dabei erleben, wie offenherzig die Menschen auf mich zugehen. Ganz oft musste ich von meinem Projekt der Weltreise erzählen und bekam gleich unzählige, weitere Tipps.
Wie hat sich Ihre Perspektive auf die Schüler verändert?Als Tourist muss ich nicht in dem fremden Land bleiben, sondern kann immer zurück in meine Heimat. Das ist bei vielen meiner Schüler ganz anders. Sie müssen sich hier einleben, sich in unsere Lebenskultur hineinwühlen und unsere Sprache lernen. Vor dieser Mammutaufgabe habe ich inzwischen noch größeren Respekt als vorher.
Haben Sie vor, noch weitere Heimatländer zu bereisen?Ja, einige Heimatländer meiner inzwischen ehemaligen Schüler konnte ich nicht bereisen, zu ihrer großen Enttäuschung. Neben Afghanistan würde ich gern noch mal länger in Aserbaidschan, Albanien oder Polen bleiben. Auch von meinen Schülern aus der neuen internationalen Vorbereitungsklasse lasse ich mir ab und zu Reiseführer machen. Inzwischen verfüge ich über eine große Sammlung voller exotischer Reiseziele. Das ist auch eine schöne Unterrichtsmethode, die mir viel über meine Schüler erzählt und eine neue Perspektive auf die Welt eröffnet.
Wann brechen Sie auf?Ich habe in den nächsten Wochen eine ganz andere spannende Reise vor mir - ich werde nämlich Vater. Die Reise in den Kreißsaal ist die wahrscheinlich beste, die ich mir im Moment vorstellen kann. Grundsätzlich kann ich mir aber auch vorstellen, mit der Familie auf längere Reisen durch die Welt zu gehen.
Von Birk Grüling/RND