In der Prototypen-Werkstatt von Gunter Baars herrscht kreatives Chaos. Die Regale biegen sich unter dem Gewicht bunter Spielekartons, auf dem großen Tisch liegen unzählige Plastikfigürchen, Würfel, Bauklötze und Zahnräder. Die dazugehörigen Spielideen füllen 500 Word-Seiten auf seinem Computer. Manche wurden schnell wieder verworfen, aus anderen wurden Klassiker.
Vom Quereinsteiger zum ErfolgsautorSeit 30 Jahren entwickelt der 56-jährige Gesellschaftsspiele für die ganze Familie. Rund 100 seiner Ideen haben es in dieser Zeit in die Regale der Spielwarenläden geschafft - zuletzt das Geschicklichkeitsspiel „Geisterfalle" aus dem Kosmos-Verlag. Wie viele Spieleautoren ist der 56-Jährige Quereinsteiger.
Nach dem Abitur schreibt er für das Satiremagazin Mad. 15 Jahre lang produziert er mit dem Zeichner Ully Arndt die bekannten Ottifanten-Comics. 1989 bekommt das Duo das Angebot, ein Ottifanten-Spiel zu entwickeln. Ein großer Erfolg: Es verkaufte sich 50.000-mal. „Die Spielentwicklung hat mir so viel Freude bereitet, dass ich gleich weitermachte", erzählt Baars.
Dreieinhalb Jahre tüftelt er schließlich an „Mister Diamond". Die Spielidee, bei der es darum geht, Diamanten und Dollars zu sammeln, schickt er an den Ravensburger Verlag, große Hoffnungen macht er sich nicht. Am Ende wird das Spiel zum Türöffner. Immer neue Ideen und Aufträge folgen. 1997 gelingt Baars mit „Der zerstreute Pharao" der Aufstieg zum Bestseller-Spieleentwickler. Bis heute wurde es mehr als zwei Millionen Mal verkauft. Eine ganze Generation von Kindern begab sich seither auf Schatzsuche in den Pyramiden.
Die meisten Spiele verschwinden nach einiger Zeit aus den RegalenSolche Klassiker sind eher die Ausnahme. Die meisten Spiele verschwinden nach ein, zwei Jahren wieder aus den Regalen. Der Markt ist umkämpft. Bis zu 1500 neue oder überarbeitete Spiele erscheinen pro Jahr. Und täglich landen Dutzende neue Ideen bei den Verlagen - erdacht von Hobby-Entwicklern und Profis.
Zum Spieletest geht's in Kindergärten und GrundschulenIn fast jedem dieser Prototypen steckt viel Arbeit und Leidenschaft. Auch Baars verbringt unzählige Nächte in seiner Werkstatt, damit aus einer ersten Idee ein spielfähiger Prototyp samt Anleitung, Figuren und Spielbrett wird. Erst wenn er selbst mit dem Ergebnis zufrieden ist, klemmt er sich das neue Spiel unter den Arm und macht sich zum Austesten auf den Weg zu den Grundschulen und Kindergärten in der Nachbarschaft. „Die Idee kann noch so kreativ sein, wenn das Spiel den Kindern keinen Spaß macht oder die Regeln zu kompliziert sind, muss ich den Prototypen noch mal überarbeiten."
Erst wenn die Nachwuchskritiker absolut überzeugt sind, schickt er das Spiel an einen Verlag. Großzügig belohnt wird der 56-Jährige für seine Mühen selten. Von dem Ladenpreis von rund 20 Euro kommt nur wenig beim Entwickler an. Von Spielen, die zwar mit viel Mühe entwickelt, aber nie veröffentlicht wurden, ganz zu schweigen. Etwa 40 Prozent all seiner Ideen finden keinen Abnehmer. „Man sollte schon Überzeugungstätersein. Ich habe einfach große Freude daran, Kinder zu unterhalten", sagt Baars.
Vielversprechende Prototypen werden auf Herz und Nieren getestetVincent Gatzsch arbeitet als Kinderspielredakteur beim Kosmos-Verlag. Gemeinsam mit seinen Kollegen entscheidet er, welche Spielideen den Sprung auf den Markt schaffen. Bis zu 20 neue Prototypen landen pro Woche auf dem Schreibtisch der Redaktion. „Zuerst schaue ich mir die Spielidee und die Anleitung an. Meistens sieht man schnell, was funktioniert und was nicht", erklärt Gatzsch. Neben der Idee muss der Spielansatz auch in das Verlagsprogramm passen.
Kosmos setzt vor allem auf unkomplizierte Familien-Titel - zum Beispiel Merk- oder Geschicklichkeitsspiele. Vielversprechende Prototypen werden auf Herz und Nieren getestet, zuerst von der Redaktion, später ebenfalls von den Spielekritikern in Kindergärten und Grundschulen. „Die Rückmeldung aus der Zielgruppe ist fast wichtiger als unsere persönliche Meinung. Kinder sind sehr ehrlich in ihrem Urteil", sagt Gatzsch.
Der lange Weg in die VerkaufsregaleWenn Nachwuchstester und Redakteure die Idee schließlich für gut befinden, beginnt die Kleinarbeit. Gemeinsam mit dem Autor wird das Spiel marktreif gemacht, das Design angepasst, die Regeln verschlankt, Figuren entwickelt. Manchmal wird aus der Blumenwiese auch ein Bauernhof, aus dem Stadtspiel ein Mittelalter-Szenario. Nicht selten vergehen von der Sichtung des Prototyps bis zur Marktreife ein bis zwei Jahre. „Wenn das Spiel endlich erscheint, ist die Freude immer groß", sagt Gatzsch. Auch weil er sich dann entspannt wieder neuen Abenteuern widmen kann.
Deutschland ist eine Spielenation Von Birk Grüling/RND