1 subscription and 0 subscribers
Article

Störfaktor Drogen im Wohlfühl-Bezirk

Eine Drogenberatungsstelle in der Nußdorfer Straße zog Anrainer-Proteste im neunten Bezirk nach sich. Die Wut hat sich seit der Eröffnung gewandelt.

„Die Verdreckung ist unbeschreiblich. Es graut einen, hinaus und hinein zu gehen!" Wütend ballt eine Anrainerin der Schubertgasse 2 im Neunten Bezirk ihre Hände. Bezirksvorstehung Alsergrund. An diesem tristen Mittwochabend im November 2016 findet das mittlerweile sechste Dialogforum zur Drogenberatungsstelle „Change" statt.

„Kein zweiter Karlsplatz am Alsergrund"

Groß waren die Proteste bei der Eröffnung vor rund zwei Jahren. Die Suchthilfe-Station ist umgeben von Grünflächen. Drei Volksschulen und zwei Kindergärten befinden sich in unmittelbarer Nähe. Zwei Bürgerinitiativen hatten sich formiert. „Kein zweiter Karlsplatz am Alsergrund" - Transparente wie diese befestigten die Anrainer an ihren Häusern. Die Fenster der Beratungsstelle wurden beschmiert. Sogar rosafarbene Kreide besorgten sich die Bewohner, um Spritzen auf den Gehsteig zu malen.

„Man will gerne in einem schönen, herzeigbaren Grätzl wohnen, wo eben nur das Gute und Schöne existiert", meint SPÖ-Bezirksvorsteherin Martina Malyar. Lautstarke Vorwürfe. Die Anwesenden wollen sich gegenseitig übertönen. Länger als ein paar Sekunden kann niemand ungestört sprechen. Bei der Startveranstaltung 2014 in der Canisiuskirche versammelten sich wütende Anrainer gemeinsam mit Bezirks-Politik und Suchthilfe. Für Malyar die bisher hefigste Eskalation im Bezirk.

„Ärger nicht einfach nur in die Luft blasen"

Gemeinsam mit der Grünen Bezirksvorsteher-Stellvertreterin Monika Kreutz entstand die Idee zum Dialogforum. Zeit und Geld wurden in die Hand genommen, ein externer Moderator engagiert. Die Anrainer sollten das Gefühl haben, gehört zu werden. Der Ärger sollte bei den richtigen Personen ankommen. Nicht einfach nur in die Luft geblasen werden. Seit dem letzten Jahr moderiert Malyar das Dialogforum selbst.

Bezirks-Politiker, Verantwortliche der Suchthilfe und Experten diskutieren mit den Anrainern. Themen wie Kriminalität oder Infektionsgefahr stehen auf dem Programm. Rund 100 Personen waren beim ersten Dialogforum im Dezember 2014 dabei. „Wer zahlt dafür, wenn sich mein Kind mit einer Spritze infiziert?" - Elternvertreter sind besorgt. „Nein" zur Drogenberatungsstelle im Sobieskigrätzel. Mitglieder der Bürgerinitative „Spritzenfrei" haben eigene Buttons designed. Wüste Beschimpfungen gegen Politik und Suchthilfe. Malyar hatte damals sogar mit Handgreiflichkeiten gerechnet. Es blieb bei Wortgefechten.

Die Situation entspannte sich. Die Prostet-Plakate verschwanden von den Häuserwänden. Aktionen der Bürgerinitiativen blieben aus. Es gab keine regelmäßigen Pressemitteilungen mehr. „Wir haben prinzipiell mit 99 Prozent der Anrainer ein gutes Verhältnis", sagt „Change"-Leiter Günter Tomschitz. Anders als in den Medien dargestellt. Einige Anrainer sind sogar auf ihn zugekommen. Sie haben kein Problem mit der Beratungsstelle. Und das selbst in der „heißesten Phase der Diskussion."

„Überall Pisse und Müll"

Zurück zum letzten Dialogforum im November: Der Saal in der Bezirksvorstehung ist gesteckt voll, nicht alle haben einen Sitzplatz ergattert. „Überall Pisse und Müll", klagt eine Anrainerin. Jeden Tag findet sie Zigarettenstummel und Kaffeebecher in ihrer Garageneinfahrt. Eine Gruppe von Anrainern stellt Marmeladegläser auf den Tisch vor „Change"-Leiter Tomschitz. Über zwei Wochen haben sie Plastik-Verpackungen von Spritzen eingesammelt. Für die Menschen ein Beweis, dass Drogen konsumiert werden.

„Plötzlich sind meine Seitenspiegel zerschlagen - mehrmals!" Ein Mittvierziger mit langem Bart und grünem Pullover fürchtet um sein Auto. Seit über 13 Jahren wohnt er gegenüber der Beratungsstelle. Nie hat es Probleme gegeben. Für ihn hat sich das mit „Change" geändert.

„Wir nehmen Beschwerden ernst", entgegnet Tomschitz. Eine Beschwerde-Hotline für Anrainer wurde eingerichtet. Einen einzigen Anruf gab es in den letzten vier Monaten. Keine Beschwerde im engeren Sinn. Oft hört er erst Monate später von Vorfällen wie Spritzenfunden. Mit „teilweise diffusen Anschuldigungen" sieht er sich konfrontiert. Dass manche davon stimmen - das will er nicht ausschließen. Er und sein Team nehmen Sorgen ernst und wollen Maßnahmen setzen. Sofern sie von Problemen rechtzeitig erfahren. Süchtige fühlten sich gestört und verfolgt

„Das hier ist der falsche Platz!" Die Diskussion um den Standort ist geblieben. 100 Süchtige pro Tag sind das Ziel von „Change". Derzeit sind es rund 60. „Neues Drogenzentrum an der U6 regt auf", mit Headlines wie diesen wurde über die Beratungsstelle berichtet. Für Tomschitz die Wurzel des Problems. Für Süchtige ein Grund, die Stelle zu meiden. Noch bevor „Change" öffnete. Mit einigen Anrainern gab es anfangs Probleme. Sie fotografierten die Süchtigen. Diese fühlten sich gestört und verfolgt. Nach „intensiven" Gesprächen mit den Anrainern hat sich das Problem erledigt. Mehr Süchtige kommen seitdem in die Beratungsstelle.

„Jetzt wird es auch noch zum Gasthaus?!" Einige Anrainer ärgern sich über das neue kleine Frühstücksangebot. Süchtige sollen so vom stark frequentierten „Jedmayer" in der Gumpendorfer Straße ins „Change" geholt werden. „Sie spritzen kein Opium? Nehmen kein LSD? Dann haben Sie, liebe Leser, leider keinen Anspruch auf ein vom Wiener Steuerzahler finanziertes Gratisfrühstück", titelte die Kronen Zeitung.

Im Schaufenster - mehr Transparenz

„Das Konzept wurde falsch verkauft!" Die Menschen im Dialogforum fühlen sich belogen. Süchtige mit Wohnung, Arbeit und einem geregelten Tagesablauf. Das versprach man ihnen bei der ersten Informationsveranstaltung. Tomschitz widerspricht. Ja, die meisten Klienten sind arbeitslos. Aber sie haben ein Dach über dem Kopf. Der Jahresbericht 2015 des „Change" liefert die Zahlen im Detail.

Das „Change" bietet keine Wasch- und Schlafmöglichkeiten wie das „Jedmayer". Spritzentausch, Beratung und ein kleiner Aufenthaltsraum sind vorhanden. Eine offene Gestaltung mit einer durchsichtigen Glaswand. Eine bewusste Entscheidung. Der Verdacht auf „illegale Handlungen" soll so gar nicht erst aufkommen. Transparenz ist Tomschitz wichtig. Auch wenn das Stehen „im Schaufenster" für die Süchtigen manchmal unangenehm sein kann.


„Beschäftigungstherapie" Dialogforum?
„Schön langsam drehen wir uns im Kreis", sagt Malyar. Eine Beschäftigungstherapie - dazu wird das Dialogforum für sie zunehmend. Nur noch der „harte Kern", die Bürgerinitiative, ist dabei. Menschen mit „einem wirklichen inhaltlichen Interesse" wurden durch die oft niveaulose Diskussion „rausgeekelt".

Auch die Polizei verzeichnete in ihrem Lagebericht keine Anzeigen oder Angriffe auf Passanten. Es gebe „keine Hinweise auf Suchtmittelkriminalität oder eine Aufenthaltsszene von Suchtkranken." Täglich macht sich die Polizei ein Bild vor Ort.
Original