Von Birgit Raddatz
Die Bundestagswahl gilt auch als Startschuss für eine Wende in der EU-Politik. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron drängt bereits zu tiefgreifenden Reformen. Wenn Merkel weiter regiert, könnte es Streit geben.
Das Finale des Bundestagwahlkampfs naht, und nicht nur Politiker in Deutschland fragen sich, wie es danach weiter geht. In Frankreich rechnet Emmanuel Macron die verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten durch. Der Präsident im Élysée-Palast hat auf europäischer Ebene noch einiges vor und hofft auf Unterstützung aus dem Kanzleramt.
Bei seinem Besuch in Berlin im Mai stellte Macron bereits einige konkrete Forderungen an die künftige deutsche Regierung. Am Dienstag - zwei Tage nach der Bundestagswahl - will er nun seine ganz großen Reform-Pläne vorstellen. Sollte auch die neue Kanzlerin Angela Merkel heißen, dürfte es Reibereien geben. Die CDU-Politikerin hält nicht viel von großen Visionen.
Der Berlin-Korrespondent der Zeitung "Le Monde", Thomas Wieder, warnt Macron im Gespräch mit n-tv.de vor einem allzu kühnen Auftritt. "Es darf nicht so aussehen, als würde Macron Deutschland seine Ideen aufdrücken. Das würde Merkel gar nicht gefallen."
Merkel hatte Macrons Reformwillen zwar immer wieder gelobt - erst kürzlich beim Besuch des französischen Premierministers Edouard Philippe, den sie zur Arbeitsmarktreform beglückwünschte. Doch wenn es darum geht, die europäischen Institutionen zu verändern, stürzt sie sich lieber auf die Details und setzt darauf, Probleme stückweise zu lösen. Möglichst risikolos.
Merkels Vertraute sprechen laut Wieder davon, dass Macrons Vorstöße "vielversprechend" seien. Die Arbeitsmarktreform, die er in Frankreich durchgeboxt hat, gilt als erster Schritt, um Frankreich wieder auf der europäischen Bühne zu etablieren. Wieder glaubt aber, dass sich Frankreich darüber hinaus als verlässlicher Partner für Deutschland etablieren muss. "Merkel macht sich nicht zu viele Illusionen, denn sie hat bereits drei französische Präsidenten erlebt, die Reformen versprochen und nicht durchgesetzt haben."
Streit vor allem bei WirtschaftspolitikZu Macron Plänen gehört eine verschärfte EU-Entsenderichtlinie. Damit sollen die sogenannten „travailleurs détachés" - also Arbeitnehmer aus anderen EU-Staaten - nur noch bis zu zwölf Monate in ein Land geschickt werden dürfen. Macron will so Lohndumping vor allem durch Osteuropäer verhindern.
Für Merkel ist es ein heikles Thema, denn sie steht unter Beobachtung der östlichen EU-Mitgliedsstaaten. Diese protestierten prompt gegen Macrons Vorstoß. Die Haltung Deutschlands könnte zu Streit mit Frankreich führen, so Wieder. Merkel nehme in dieser Frage eine neutrale Position ein und stelle sich damit Macron und seinem Reformwillen in den Weg. Auch bei der Energiepolitik und bei der Ausbildung von Fachkräften müssten Deutschland und Frankreich künftig mehr zusammenarbeiten und einen Kompromiss finden, sagt Wieder.
Besonders heikel wird es nach Ansicht von Wieder bei der europäischen Wirtschaftpolitik. Macron möchte einen EU-Finanzminister sowie ein gemeinsames Budget für Investitionen in der Eurozone. Merkel und auch die FDP lehnen das ab. Hier könnte der französische Präsident taktisch vorgehen, so Wieder. "Wenn Frankreich mit seinen Reformen weitermacht, könnte sich auch Angela Merkel in solchen Fragen bewegen."
Merkel will Einigkeit in der EUAuch bei den europäischen Institutionen will Macron aufräumen. Er spricht von einer "Neugründung Europas". Das sei nicht Merkels Ding, ist sich der "Le Monde"-Korrespondent sicher. "Warum sollte sie die europäischen Institutionen verändern, wenn die EU doch nicht mehr finanziell am Rande des Abgrunds steht, wie das noch vor einigen Jahren der Fall war?"
Macron sprach sich zuletzt für ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten aus. "Merkel fürchtet einen erneuten Brexit-Moment innerhalb der EU", sagt Wieder. Deutschland sei zwar sehr fortgeschritten, aber immer nur bei einzelnen konkreten Projekten, nicht bei der kompletten Änderungen der europäischen Institutionen.
Auch Eileen Keller vom Deutsch-Französischen Institut (dfi) sieht diese Diskrepanz zwischen den beiden Staaten. "Merkel wird nie gegen etwas handeln, das im deutschen Interesse ist. Das gilt gleichermaßen für Macron. Das Miteinander kann nur gelingen, wenn beiden Interessen vereint sind." Im Wahlkampf äußerte sich Merkel bisher kaum zu europäischen Themen. Bekannt ist, dass sie sich vor allem bei der Migrationspolitik mehr Reformwillen in der EU wünscht. Merkel gebe sich auch deshalb zurückhaltend, weil sie noch nicht wisse, mit wem sie künftig regieren werde, so Keller.
Macron hofft offenbar auf Große Koalition Mehr zum ThemaFür Macron sei eine Fortsetzung der Großen Koalition von Vorteil, sagt die wissenschaftliche Mitarbeiterin. "Besonders bei seinen geplanten europäischen Reformen ist die SPD ein starker Partner für ihn. Er kam ja auch ursprünglich aus einer sozialistischen Partei."
Bei einer Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen bleibe für ihn unklar, welche Prioritäten die Öko-Partei setzen werde. Aber auch eine schwarz-gelb geführte Regierung betrachtet er als schwierig. Kürzlich soll Macron einem Vertrauten gesagt haben: "Wenn Merkel sich mit den Liberalen verbündet, bin ich tot." Das berichtet die Zeitung "Le Monde". Offiziell hat sich Macron bis jetzt aus dem deutschen Wahlkampf zurückgehalten. Wohl auch aus taktischen Gründen, glaubt Keller. "Schulz ist zwar derjenige, der ihm politisch näher steht. Wenn er ihm aber jetzt seine Unterstützung zusagt, ist Merkel womöglich nicht so gut auf ihn zu sprechen und umgekehrt."
Quelle: n-tv.de
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