n-tv.de: Der Wunschpartner der Union, die FDP, zieht sehr wahrscheinlich wieder in den Bundestag ein. 2009 erlebte die FDP einen ähnlichen Erfolgsaufschwung, wurde sogar mit einem zweistelligen Ergebnis in die Regierung gewählt. Viele Wähler wurden damals enttäuscht. Ist die Stimmung dieses Mal gedämpfter?
Hendrik Träger:Ich bin mir nicht sicher, ob die FDP wirklich noch der unumstrittene Wunschpartner der Union ist. Es war früher zwar lange Zeit so, dass die beiden Parteien als lagerinterne Koalitionspartner zusammengehörten, so wie das im anderen politischen Lager für SPD und Grüne gilt. Aber mittlerweile macht die Union auch Dehnungsübungen in Richtung der Grünen.
Sie halten Schwarz-Gelb also für unwahrscheinlich?Zwischen 2009 und 2013 war das Verhältnis der Regierungspartner mehr schlecht als recht. Sie haben sich öffentlich als "Wildsäue" und "Gurkentruppe" bezeichnet. Ich bin mir auch nicht sicher, ob sich die Kanzlerin wirklich eine Regierung mit Christian Lindner als Minister und Vizekanzler vorstellen kann. Man hat bei der FDP in der letzten Zeit oft das Gefühl, dass es sich hier um eine One-Man-Show handelt, als dass dahinter ein politisches Konzept steht. Wenn man sich die Kampagne der FDP anschaut, dann hat man das Gefühl, es geht um Sprüche à la "Digital first - Bedenken second". Bei einem solchen Slogan stehen die Leute vor dem Wahlplakat und fragen sich: "Was soll das?" Die FDP muss sich jetzt erst einmal nach vier Jahren wieder an den Parlamentsalltag gewöhnen.
Außerdem ist der Partei bereits 2009 auf die Füße gefallen, dass sie außer der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger niemanden mit Regierungserfahrung hatte. Heute ist die Situation sogar so, dass niemand in der ersten Reihe der FDP Regierungserfahrung hat - weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Lindner hätte zum Beispiel sagen können, er geht jetzt erst einmal, wenn auch nur für ein Vierteljahr, in die nordrhein-westfälische Regierung. Die FDP muss noch viel Überzeugungsarbeit bei der Union leisten. Das Tischtuch zwischen den beiden Parteien ist definitiv nicht zerschnitten, aber die ehemaligen Wunschpartner haben sich in gewisser Weise entfremdet.
Also wünscht sich Merkel Schwarz-Rot?Merkel hat mit der SPD zum zweiten Mal relativ "geräuschlos" regiert, das könnte sie sich mit Sicherheit wieder vorstellen. Aber auch ein Bündnis mit den Grünen schließt sie nicht aus. Die Kanzlerin ist da sehr pragmatisch, um es vorsichtig auszudrücken. Sobald ihr jemand zur Mehrheit verhilft, regiert sie mit demjenigen, wenn es nicht links- oder rechtsaußen ist.
Wie ist die Annäherung der Grünen zur CDU zu verstehen?Beide Parteien haben sich von ihren ursprünglichen Positionen stärker zur politischen Mitte hin- und damit aus unterschiedlichen Richtungen aufeinander zu bewegt. Die Grünen sind nicht mehr die Partei mit einem starken "Fundi-Flügel" wie den 1980er-Jahren, und die CDU ist nicht mehr die konservative Partei, die sie noch vor 15 oder 20 Jahren war. Die Union hat unter Merkel viele politische Positionen, die unter Helmut Kohl als in Stein gemeißelt galten, aufgegeben. Ich denke an Themen wie die Abschaffung der Wehrpflicht, die Einführung des Mindestlohns oder den Ausstieg aus der Atomenergie. Aber auch im gesellschaftspolitischen Bereich wie bei der "Ehe für Alle", bei der immerhin ein Viertel der Unionsabgeordneten dafür gestimmt hat, findet diese Annäherung statt. Zwischen CDU und Grünen sind inhaltliche Schnittmengen entstanden, weil sich die Parteien aus unterschiedlichen Gründen in die politische Mitte bewegt haben. Auch beim Wählerklientel gibt es Überlappungen. Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist zum Beispiel sehr konservativ und spricht auch viele Wähler an, die früher die CDU gewählt haben. Es gibt also keine großen Gräben mehr zwischen der Union und den Grünen, wenn man mal von der Flüchtlingspolitik absieht. Hier gibt es aber eher Unterschiede zwischen CSU und Grünen, vor allem beim Thema Obergrenze.
Auch die AfD wird vermutlich zum ersten Mal in den Bundestag einziehen, könnte sogar stärkste Oppositionspartei werden. Wie wird sich die Partei nach der Wahl verhalten?Das lässt sich nicht so einfach beantworten und könnte bei Günther Jauch die "Eine-Million-Euro-Frage" sein. Wenn man sich das Verhalten der AfD-Abgeordneten in den Landtagen, in denen die Partei bisher sitzt, anschaut, hat man eher das Gefühl, dass sich die Partei mehr mit sich selbst beschäftigt, anstatt wirklich Politik zu machen: In Baden-Württemberg hat sich die Partei gespalten und dann wieder zusammengeschlossen. In Bremen gibt es überhaupt keine Fraktion der AfD mehr, in Thüringen sind drei Leute aus der Fraktion ausgetreten. Bei einer Haushaltsdebatte des sächsischen Landtags findet sich der AfD-Abgeordnete André Wendt auch nach mehr als zwei Jahren Parlamentszugehörigkeit nicht zurecht. Ich habe den Eindruck, dass die AfD die Erwartungen, die sie bei Teilen ihrer Wählerschaft weckt, gar nicht erfüllen kann. Auch weil sie zum großen Teil unerfahrene Mitglieder hat. Wenn die AfD - wie in den letzten Umfragen prognostiziert - zehn oder sogar zwölf Prozent holt, würde das bedeuten, dass die Partei mit bis zu 70 Abgeordneten im Bundestag sitzen könnte. Darunter werden Neulinge sein, die sich erst einmal zurecht finden müssen.
Hinzu kommt, dass ein Großteil der AfD-Wähler nicht aus Überzeugung für die Partei stimmt, sondern sie vor allem aus Protest oder Frust gegenüber den anderen Parteien wählt. Wenn die Erwartungen, die manche in die AfD setzen, nicht erfüllt werden, sagen diese Wähler vielleicht in vier Jahren: "Das mache ich nie wieder!" Das heißt: Die AfD wird unter Umständen einige ihrer Wähler enttäuschen. Eventuell positioniert sich die Partei dann auch anders, als dass sie sich weiter radikalisiert. Wenn man sich die Geschichte der erst vor viereinhalb Jahren gegründeten AfD anschaut, dann hat die Partei schon politische Entwicklungen mitgemacht, die auch für 20 oder 30 Jahre gereicht hätten. In vier weiteren Jahren kann also viel passieren.
Was haben acht Jahre Große Koalition mit der SPD gemacht? Wäre der Schritt in die Opposition sinnvoll?Ja. Egal, wer mit Merkel regiert, ob es nun die SPD oder die FDP war, der kleine Koalitionspartner muss am Ende Federn lassen. Eigentlich kann man niemandem empfehlen, mit Merkel zu regieren, wenn man nicht in vier Jahren gerupft aus der Wahl hervorgehen möchte. Für die SPD wäre es sinnvoller, zur Genesung in die Opposition zu gehen, wenn das Ergebnis unter das von 2009 fällt, also unter 23 Prozent. Schon allein, um sich inhaltlich und personell neu aufzustellen. Wenn die Regierungsbeteiligung der Partei ein so schlechtes Wahlergebnis einbringt, kann die SPD nicht weitermachen wie bisher. Es könnte allerdings sein, dass das Wahlergebnis nur zwei Optionen zulässt: "Jamaika" oder Große Koalition. Und am Ende kann es sein, dass die SPD - egal, welches Ergebnis sie erzielt - aus staatspolitischen Gründen regieren muss, weil Jamaika nicht funktioniert. Neuwahlen können sie den Wählern nicht erklären, denn Neuwahlen könnten letztlich der AfD in die Karten spielen. Es wird also am Ende eine Regierung geben, auch wenn der Weg bis zum Koalitionsvertrag vielleicht noch schwerer als 2013 sein könnte.
Welches Zeugnis würden Sie der Großen Koalition ausstellen? Mehr zum ThemaBei einer Großen Koalition geht man immer Kompromisse ein, das gehört aber zu jeder Regierung. Einige Sachen, die 2013 im Wahlkampf versprochen worden sind, hat die Regierung umgesetzt: Die SPD konnte sich mit ihrem Mindestlohn durchsetzen, die CDU mit der Mütterrente und die CSU mit der Maut. Wir haben heute den höchsten Anteil an sozialversicherten Beschäftigten, der jemals gemessen wurde. Die Arbeitslosigkeit ist relativ niedrig. Daran hat zwar die Bundesregierung nur einen geringen Anteil, weil sie keine Arbeitsplätze schafft, sondern nur die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft liefern kann. Aber zum Beispiel den Haushaltsüberschuss durch Steuereinnahmen kann man auf der Haben-Seite der Regierung verbuchen. Zur Bilanz der Großen Koalition gehört auch die Flüchtlingspolitik, und das war anfangs durchaus problematisch. SPD und CDU hatten kein Konzept und mussten situativ reagieren. Trotz mancher Probleme wird die Regierung in Umfragen wesentlich besser bewertet als die Vorgängerkabinette der letzten 13 Jahre. Müsste ich eine Schulnote vergeben, würde ich der GroKo eine "Zwei minus" geben.
Mit Hendrik Träger sprach Birgit RaddatzQuelle: n-tv.de
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