WDR 5 Politikum 17.07.2016 Kommentar
Frankreich befinde sich im Krieg mit den Dschihadisten. Klar werde der gewonnen. Man müsse nur genügend Gendarmen und Militärs auf die Straßen und Plätze schicken. Die Parolen französischer Politiker nach Terroranschlägen folgen seit Charlie Hebdo im Januar 2015 demselben Skript.Plötzlich lässt eine Stimme aufhorchen: Ein französischer General. Er präzisiert: Eine militärische Antwort sei angemessen in Syrien, im Irak und in Mali.
Rassistische und konfessionelle KomponentenAber auf die innenpolitische Herausforderung habe das Militär keine Antwort. Die französische Politik auch nicht. Drum möchte sie mit den Nebelkerzen neuer-alter Sicherheitsmaßnahmen wie der Verlängerung des Ausnahmezustandes eines vermeiden: Die großen Fragen, die sich die Gesellschaft stellen müsste, auf den Tisch zu bringen. Denn in Zeiten des Vorwahlkampf für die Präsidentenwahlen von 2017 ist erst recht kein Platz für Nachdenklichkeit.
Eine der zentralen Fragen angesichts der islamistischen Terrorbedrohung lautet: Wie wollen die Franzosen in der Zukunft miteinander leben? Wie kann dem Spaltpilz, der sich durch die Gesellschaft frisst, Einhalt geboten werden? Er ist nicht nur sozialer Natur. Er hat auch rassistische und konfessionelle Komponenten. Denn Maghrebiner oder Franzosen mit nordafrikanischen Wurzeln stehen unter Generalverdacht. Auch weil die meisten von ihnen Muslime sind. Die Rechte drängt sie gnadenlos in die Ecke des Sündenbocks. Die Linke laviert.
Es fehlt ein politischer DiskursFest steht: Das französische Integrationsmodell ist offensichtlich gescheitert. Es lautet: Ihr seid willkommen, wenn ihr euch in Franzosen verwandelt. Das funktioniert nicht. Menschen einer völlig anderen Kultur vergessen ihre Herkunft nicht. Sie wollen sie auch nicht verleugnen. Vielleicht gerade weil Heimatländer wie Algerien, Marokko und Tunesien mit Frankreich eine teils sehr schmerzhafte koloniale Vergangenheit verbindet. Ein großer Teil des gegenseitigen Misstrauens rührt daher.
Auch darüber müsste endlich gesprochen werden. Die Haltung: Wir sind hier zu Hause, ihr aber seid bestenfalls geduldet, führt nicht zu friedlichem Zusammenleben. Dazu sind gegenseitiger Respekt und Rücksichtnahme vonnöten. Sie lassen sich aber nicht erzwingen. Was also tun? Wie kann man die immer wieder beschworenen Grundwerte „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" erneut mit Inhalt füllen? Darüber müssten sich die Franzosen unterhalten. Allen voran die Politiker. Gerade weil es keine einfachen Antworten gibt. Das geschieht nicht. Darin besteht das totale Versagen der Politik angesichts der Ideologie des so genannten Islamischen Staates, die nur in einer gespaltenen Gesellschaft ihre ganze Zerstörungskraft entfalten kann.