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Studenten - Warum Elitenförderung immer ungerecht ist

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Wer bekommt an den Hochschulen ein Stipendium? Es ist vor allem der Nachwuchs aus Akademikerfamilien. Man kann das ändern - fair wird das System trotzdem nicht.

Man stelle sich Folgendes vor: Der Staat beschließt ein Förderprogramm speziell für Lottogewinner. Es wird eine Lottogewinnerstiftung des deutschen Volkes gegründet, die den Glücklichen Vertrauenspersonen an die Seite stellt und Seminare organisiert, in denen sie erfahren, welche Landhäuser und Yachten ihr Geld wert sind und wo sie ihren Reichtum gewinnbringend anlegen. Den Millionären wird aus Mitteln der Steuerzahler dafür eine kleine Pauschale von 300 Euro im Monat gezahlt.

Ein solches Unterstützungsprogramm für Lottogewinner würde wohl die meisten Menschen empören. In der Begabtenförderung an den deutschen Hochschulen passiert im Prinzip aber genau das. Da hat sich ein falsches Sytem der Begünstigung etabliert, das nach den Maßstäben der Gerechtigkeit abgeschafft gehört, aber merkwürdigerweise kaum von jemanden mehr wirklich in Frage gestellt wird.

Das eine Prozent

Viele Studienanfänger bewerben sich in diesen Wochen für ein Stipendium, Schulleiter schlagen tausende Abiturienten, die sie für geeignet halten, der Studienstiftung des deutschen Volkes vor. In Auswahlseminaren begutachten die Stiftungen ihre Bewerberinnen, achten auf Noten, Persönlichkeit und Engagement und treffen nach mehr oder weniger schwammigen Kriterien eine Entscheidung darüber, wen sie für begabt halten und wen nicht. Am Ende ist es eine Minderheit, die in den exklusiven Club darf.

Ein Prozent aller Studierenden in Deutschland bekommt ein Stipendium von einem der 13 Förderwerke. Die Stipendiaten erhalten einen Zuschuss von 300 Euro im Monat - egal, ob ihre Eltern Reinigungskräfte sind oder Zahnärzte. In der Regel sind sie eher Zahnärzte. Denn die Stipendien kommen überproportional oft Kindern aus Akademikerfamilien zugute, die ohnehin schon besser dastehen. Gut zwei Drittel der Stipendiaten kommen aus Familien mit Hochschulabschluss; unter allen Studierenden ist es dagegen nur die Hälfte. Das Geld stammt vom Bundesbildungsministerium, das auf diese Weise Umverteilung von unten zumindest in die obere Mitte betreibt. Wer hat, dem wird gegeben.

In den vergangenen Jahren wurde das Stipendienwesen sogar großzügig ausgebaut. Im Jahr 2005 flossen 80,5 Millionen Euro an die Begabtenförderwerke, in diesem Jahr sind dafür schon weit über 200 Millionen Euro eingeplant. Wer heute ein Stipendium bekommt, erhält mehr Geld als früher. Auch die aktuelle Regierung - trotz sozialdemokratischer Beteiligung - bekennt sich zu dieser Politik: "Wir wollen die Stipendienkultur und Begabtenförderwerke in Deutschland weiter stärken", heißt es im schwarz-roten Koalitionsvertrag.

Getragen wird das Elitenfördersystem von einer ganz großen Koalition, was erklären mag, warum so wenig Kritik daran zu vernehmen ist. Alle Parteien haben über die ihnen nahestehenden Stiftungen eine eigene Begabtenunterstützung; sie alle profitieren vom Ausbau der Spitzenförderung. Das einzige, was zuletzt für Erschrecken sorgte, war die Aussicht darauf, dass in einigen Jahren sogar die AfD von der ihr angeschlossenen Stiftung nach eigenen Kriterien bestimmte Elitestudenten unterstützen könnte. Es gibt sehr viel näher liegende Gründe, um das System zu hinterfragen.

Breiten- und Spitzenförderung schließen sich nicht aus?

Es ist schwer verständlich, warum ausgerechnet diejenigen Extra-Zuwendungen bekommen sollten, die ohnehin die besten Aussichten auf einen erfolgreichen Studienabschluss und eine gute Karriere haben. Meistens speisen die Verfechter des Elitedenkens solche Einwände mit der Phrase ab, dass Breiten- und Spitzenförderung einander nicht ausschlössen und nicht gegeneinander ausgespielt werden sollten. Aber warum eigentlich nicht? Es stimmt zwar irgendwie: Selbst das kräftig angehobene Budget für die Begabtenförderwerke nimmt sich mit 266,3 Millionen Euro winzig aus gegenüber den 1,5 Milliarden Euro, die der Bund für die Unterstützung bedürftiger Studenten einplant. Würde man das Geld für die Förderwerke streichen und unter allen Studierenden im Land verteilen, hätte jeder 7,74 Euro mehr im Monat, das reicht gerade für eineinhalb Mensa-Essen. Die Begabtenförderung, so lautet der Subtext, ist eigentlich zu klein, um sich darüber aufzuregen.

Nur dreht sich dieses Argument im Kreis. Eine Elite ist ja definitionsgemäß kleiner als der große Rest, der ausgeschlossen wird. Ihre Unterstützung fällt als Haushaltsposten somit zwangsläufig weniger ins Gewicht. Das Argument, Elitenförderung sei kein Widerspruch zur Unterstützung für die Breite, würde absurderweise sogar umso stärker, je kleiner man die Elite zöge. Würde man ein Förderprogramm für eine Handvoll Lottomillionäre für moralisch unproblematisch halten, weil es gegenüber den Milliarden im Sozialetat winzig ausnähme? Das Verstörende ist nicht die Größenordnung, sondern das Prinzip. Dafür bräuchte es einen guten Grund.

Die Studienstiftung des deutschen Volkes, das größte und wichtigste Begabtenförderwerk, rechtfertigt ihr Dasein mit einem vagen Hinweis auf einen nicht näher spezifizierten Nutzen, den die Gesellschaft aus der Spitzenförderung angeblich zieht. In der Satzung heißt es, man unterstütze diejenigen, die "besondere Leistungen im Dienst der Allgemeinheit erwarten lassen". Was heißt das: Leistungen im Dienste der Allgemeinheit? Was genau ist der Mehrwert der Studienstiftung für das Volk, das sie im Namen führt? Die einzigen, die sicher von der Stipendienpolitik profitieren, sind die Stipendiaten selbst.

Irgendein Unbehagen muss wohl auch die Politik gespürt haben, denn den Ausbau der Stipendien hat sie mit der Erwartung verbunden, dass die Werke sich stärker um bislang benachteiligte Gruppen bemühen. Und auch der neue Vorschlag der FDP, auch Auszubildende in die Zirkel aufzunehmen, geht in diese Richtung. Der Begriff der Begabtenförderung rekurriert darauf, dass nicht Bildungsabschluss und Einkommen der Eltern das Auswahlkriterium bildet. Talent entscheidet. Sonst könnten sich die Stipendiengeber ja gleich unverblümt "Förderwerke für den Nachwuchs der besseren Leute" nennen. Die Bezeichnung "Begabtenförderung" legt nahe, dass die Elitenförderung eine gerechte Angelegenheit ist, so lange die Chance auf ein Stipendium unabhängig von der sozialen Herkunft ist.

Das ist ein Trugschluss. Die Sache wird auch so nicht besser.

Im Begriff der Begabung schwingt schon mit, dass sie nichts ist, was man sich frei aussucht; Begabung kann man sich nur in Grenzen erarbeiten. Man begabt sich nicht selbst. Manche Forscher weisen darauf hin, dass die Intelligenz - so man die überhaupt als Annäherung an das das noch wolkigere Konzept der Begabung sehen will - in großem Maß genetisch bedingt ist. Angeborene Talente sind als Grundlage für finanzielle Förderung damit genauso unverdient wie Bildungsabschluss und Einkommen der Eltern.

"Für den Einfluss natürlicher Fähigkeiten auf die Einkommens- und Vermögensverteilung gibt es keine besseren Gründe als für geschichtliche und gesellschaftliche Zufälle", schreibt etwa der Philosoph John Rawls. "Denn wenn man einmal mit dem Einfluss entweder gesellschaftlicher oder natürlicher Zufälle auf die Verteilung unzufrieden ist, dann wird man durch Nachdenken dazu geführt, mit beidem unzufrieden zu sein. Vom moralischen Gesichtspunkt aus erscheint beides gleich willkürlich."

Rawls nennt es eine natürliche Lotterie. So grotesk ein staatliches Förderprogramm für Lottogewinner wirken würde: So gesehen ist die Begabtenförderung nicht so weit davon entfernt. Und über 7,74 Euro mehr fürs Mensa-Essen würden sich manche weniger begüterten Studenten dann doch sehr freuen.

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