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Winternotprogramm: Streit um die besten Plätze

Für bis zu 890 Obdachlose stellt die Stadt seit Sonntag Notschlafplätze zur Verfügung. Viele warteten tagelang, um einen der begehrten Wohncontainer zu bekommen. Im Münzviertel kommt es zu Tumulten unter Obdachlosen, die für einen Platz Schlange stehen.

Der Run auf die beliebtesten Plätze im Winternotprogramm hat schon vor Tagen begonnen. Bereits seit Donnerstag machen Jacky und Micha vor der Tagesaufenthaltsstätte TAS der Diakonie in der Bundesstraße Platte. Auf ihren Schlafsäcken haben sich ihre drei Hunde Tequila, Lucy und Spike zusammengerollt. Alle fünf hätten sie gerne einen der 140 Plätze in den Wohncontainern, die Kirchengemeinden in der ganzen Stadt aufgestellt haben. Allerdings gibt es nur drei Container für Paare und zwei für Obdachlose mit Hunden. Damit sie überhaupt eine Chance haben, warten Jacky, Micha und ihre Gefährten seit Tagen - denn die Alternative wäre für sie ein Winter auf der Straße.

Die Mitarbeiter der TAS vergeben am Sonntagmorgen 120 der Containerplätze. 20 weitere extra für Frauen vergibt die Kemenate, eine Beratungsstelle für Obdachlose Frauen. Zur TAS kommen besonders viele Obdachlose in diesem Jahr nicht alleine: „Wir haben viele Leute mit Hunden in diesem Jahr", sagt Uwe Martini, Leiter der Diakonie-Einrichtung. Sein Blick wandert durch die Menge der knapp 100 Obdachlosen, die darauf warten, dass er die Wartemarken vergibt. Er weiß, dass er einige von ihnen wieder wegschicken muss.

Die Regeln sind klar: Obdachlose, die stark drogen- oder alkoholabhängig sind, bekommen keinen Containerplatz. Auch die, die sich nicht mit den ehrenamtlichen Helfern der Kirchengemeinden verständigen können, haben keine Chance. Allerdings heißt das nicht mehr, dass sie unbedingt deutsch sprechen müssen: „Es gibt auch viele Gemeinden, die eine zweite oder dritte Sprache anbieten", sagt Martini.

Kranke hoffen auf einen warmen Platz

Die Containerplätze sind bei Obdachlosen so beliebt, weil sie dort die Tür hinter sich zu machen können - anders als in den Massenunterkünften in der Stadt. Auch können sie den ganzen Tag im Container bleiben und werden nicht um 9 Uhr vor die Tür gesetzt. Deswegen will die Hinz&Künztlerin Anke zusammen mit ihrem Verlobten Ralf unbedingt einen der Plätze haben. Sie hat eine Nierentransplantation hinter sich, gefolgt von einer Nierenbeckenentzündung. „Ich bin morgens auf allen Vieren aus meinem Zelt gekrochen", sagt die 46-Jährige. „Ich kann nicht jeden Tag wieder raus in die Kälte."

Und die Container sind die einzigen Plätze im Winternotprogramm, in die die Obdachlosen ihre Hunde mitnehmen können. Hinz&Künztler Flummi ging mit seiner Hündin Leyla im vergangenen Winter leer aus und schlief auf der Straße. Auch bei Minustemperaturen. „Dieses Mal muss es klappen", sagt Flummi. „Zwei Winter hintereinander sind zu viel." Er habe viele psychische Schäden durch die Zeit auf der Straße erlitten, schiebt er noch hinterher. „Und jetzt brauche ich ein bisschen Ruhe."

Zu wenig Platz für Obdachlose mit Hund

Der 58-jährige Peter wohnt mit seinem „dicken Hund", wie er sagt, im Altonaer Volkspark. Er kommt mit seinem Fahrrad vorbei, weil auch er auf eine beheizbare Unterkunft hofft. Doch der Mann, dem der dichte Bart bis fast unter die Augen wächst, zieht geknickt wieder von dannen, als er die vielen anderen Obdachlosen mit Hunden sieht, die vor ihm da waren. „Ich habe hier ganz schlechte Karten", sagt er und steigt auf sein Fahrrad.

Viel zu spät kommt Hinz&Künztler Kasimir zur TAS. Er bekommt die Wartemarke mit der Nummer 137. Mit der letzten U-Bahn wollte er in der Nacht schon anreisen, ist dann aber eingeschlafen und erst an der Endstation wieder aufgewacht. Ein Containerplatz wäre wichtig für ihn, denn er hat ein hartes Jahr hinter sich: Erst starb seine Freundin, dann musste er selbst ins Krankenhaus. Inzwischen übernachtet er in einem Parkhaus. „Mal sehen, ob ich hier noch was bekomme", sagt er.

Die Sozialarbeiter der TAS rufen einen nach dem anderen zu sich ins Büro, um zu entscheiden, wer für den Winter einen eigenen Container bekommt. Und die meisten kommen mit einem Lächeln im Gesicht und einem Zettel in der Hand wieder heraus. Jacky, Micha und ihre Hunde haben einen Container in Rahlstedt bekommen. „Ich freue mich wie Sau!", sagt Jacke und strahlt. Auch Flummi kann schon am Nachmittag sein neues Zuhause in Ottensen beziehen. Er ist erleichtert: „Endlich eine schöne warme Dusche. Danach sehne ich mich schon richtig."

Anke und Ralf hatten auch Glück und können in einen der wenigen Container für Paare einziehen. Allerdings erst am kommenden Dienstag. Vorher ist ihre Notunterkunft nicht bezugsfertig. Bei einigen Kirchengemeinden sind Wohncontainer nicht rechtzeitig geliefert worden, mancherorts können die Obdachlosen sogar erst am 16. November einziehen. Anke und Ralf wollen bis Dienstag noch in ihrem kalten Zelt ausharren. Anke kann ihre Freude trotzdem nicht verbergen: „Wir haben jetzt einen Container, besser kann's uns nicht gehen."

Bis 17 Uhr dauert die Vergabe der Plätze in der TAS, ganze neun Stunden also. 150 Obdachlose haben sich auf die 120 Containerschlafplätze beworben. Einen schickten die Sozialarbeiter weg, weil er nur spanisch sprach. Ein anderer wurde abgewiesen, weil es keinen Platz mit Hund mehr gab. Der war dann auch richtig sauer, erzählt eine Mitarbeiterin später: „Es gab einen großen Aufruhr."

Viele Paare sind bereits vor dem Gespräch mit einem Sozialarbeiter wieder gegangen, weil sie mitbekommen haben, dass die Plätze für Paare schon alle vergeben waren. Und zahlreichen anderen Obdachlosen haben die TAS-Mitarbeiter schon in den Wochen zuvor in Beratungsgesprächen klar gemacht, dass sie keine Chance auf einen Platz haben.

Tumulte im Münzviertel

Allen Abgewiesenen bleiben nur die Großunterkünfte des Winternotprogramms. Auch die reguläre Notunterkunft Pik As hat zahlreiche Menschen vor die Tür gesetzt und dort hin geschickt. 400 Plätze gibt es in Containern und einem ehemaligen Schulgebäude im Münzviertel. Zunächst 60 davon sind für Frauen reserviert, 30 für Paare. Für Obdachlose mit Hund ist hier kein Platz. Auch nicht in den 350 Schlafplätzen in einem ehemaligen Verlagsgebäude am Schaarsteinweg.

Um 17 Uhr stehen um die 100 Obdachlosen vor einem Bauzaun im Münzviertel, der sie von der Containersiedlung trennt, in der sie übernachten wollen. Das Sicherheitspersonal öffnet das Tor erst mit 20 Minuten Verspätung, die Obdachlosen werden unruhig. Viele drängeln und schubsen, andere rütteln am Zaun. Die Stimmung ist aggressiv. Als dann endlich das Tor geöffnet wird, drängen die Menschen eilig den Hang hinunter. Erst als allen klar wird, dass jeder einen Schlafplatz bekommen wird, beruhigt sich die Situation. Klar ist: In Zukunft muss der Einlass hier anders geregelt werden.

Obdachlose aus vielen Ländern Europas

Manchen macht die Aggressivität Angst. Hamza und Vincenza aus Sizilien stehen am Rand und trauen sich gar nicht recht in die Unterkunft. Sie sind vor einigen Wochen nach Hamburg gekommen, weil sie in Südeuropa keine Arbeit mehr gefunden haben. Auch dort haben sie schon in einem Obdachlosenasyl gelebt. „Krise", sagt Vincenza. „Italia finita." Auch aus vielen anderen europäischen Ländern stehen Menschen in der Schlange, meistens kommen sie aus Osteuropa.

Vincenca hat ab Montag hat einen Job in einem italienischen Restaurant. „Ich kann nicht draußen schlafen, wenn ich arbeiten muss", sagt sie verzweifelt. „Ich muss mich doch waschen!" Ihre Sorge, dass sie und Hamza keinen Platz im Winternotprogramm bekommen, bestätigt sich zum Glück nicht. „Tutto bene", sagt Hamza am nächsten Morgen - alles gut. Er sucht jetzt auch einen Job - und will dann mit Vincenca in eine Wohnung ziehen.

Auch der ehemalige Hinz&Künztler Andre und seine Freundin Nicole stehen Schlange im Münzviertel. Das Gedränge lässt sie kalt - sie wissen, dass sie hier einen Platz bekommen. Die beiden gingen bei der Container-Platzvergabe am Morgen leer aus. Bereits gegen zwei Uhr nachts hätten sie vor der TAS angestellt, berichtet das Pärchen. „Wir gehörten zu den Ersten, die da waren, aber für Pärchen gab es trotzdem zu wenige Plätze", beklagt sich Andre. Den vergangenen Winter verbrachte er noch im Container, damals allerdings noch als Single. Jetzt wird er mit Nicole jeden Abend ins Münzviertel gehen. Dort muss er allerdings um 9 Uhr wieder raus, weil die Unterkunft tagsüber nicht geöffnet ist. Er fühlt sich von der Stadt im Stich gelassen, denn eine Wohnung findet er schon lange nicht. Er sagt: „Es muss mehr für uns Obdachlose getan werden."

Text: Benjamin Laufer und Jonas Füllner Fotos: Dmitrij Leltschuk

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