Handel und Gastronomie sind einfallsreich, wenn es darum geht, Anlässe zu erfinden. Kölner Gastwirte laden mitten im Sommer zu einem Tag Karneval – der Ausverkauf eines Kulturguts?
Wenn es nach den Gastronomen geht, dann wäre am besten das ganze Jahr über Karneval. Manche Kölner Kneipen machen zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag ein Drittel ihres Jahresumsatzes. Da wundert es nicht, dass 100 Wirte an diesem Augustwochenende zu Kostümpartys laden. Unter dem Motto „Jeck im Sunnesching“ treten 30 verschiedene Karnevalsbands in Kölner Kneipen auf.
Dahinter steckt die Kölner Brauerei Gaffel. Das Unternehmen hat die Musiker vermittelt, die Konzertkarten verkauft und die Werbung gemacht. Schließlich sei man den Gastwirten verpflichtet, sagt Marketingchef Thomas Deloy: "Unsere Gastronomen haben in den letzten Jahren über eine Konsumzurückhaltung, über Nichtrauchergesetze, über steigende Energiepreise harte Zeiten durchgemacht. Und für uns ist es Aufgabe, diesen Gastronomen Anlässe zu schaffen. Sogenannte Erlebnistage, wo wir auch aktiv Leute wieder in die Gastronomie bewegen."
Für viele Gastwirte reicht Bier und gutes Essen alleine nicht mehr aus, um die Umsätze konstant zu halten, heißt es auch vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga Nordrhein. Deshalb suchen die Gastronomen nach außergewöhnlichen Events – und bedienen sich dabei bei Traditionen und Bräuchen, sagt Dagmar Hänel, Kulturwissenschaftlerin beim Landschaftsverband Rheinland: "Das Oktoberfest ist ein schönes Beispiel, was sich ja seit ein paar Jahren in ganz Deutschland ausbreitet. Man sieht in Bayern dieses schöne Heimatbild mit der entsprechenden Kleidung, mit den Speisen, mit dem Blau-Weiß. Man kann diese Elemente ganz wunderbar übertragen – und feiert das einfach nochmal."
Dabei bleibe aber vieles auf der Strecke, sagt Hänel. Statt der Traditionen und des Engagements der Vereine gehe es vor allem um Kommerz: "Wir nennen das eine Eventisierung, dass halt eben deutlich stärker wirtschaftliche Aspekte eine Rolle spielen bei solchen Festbräuchen – und dass es oft darum geht, Besonderheiten zu schaffen. Jedes Jahr muss es irgendwie toller, größer, schneller sein."
Das närrische
Event am Samstag reiße den Karneval aus seinem zeitlichen Zusammenhang,
kritisiert Brauchtumsexperte Michael Euler-Schmidt vom Kölnischen
Stadtmuseum: "Es ist eindeutig, dass es hier darum geht, das Jahr profitabel
zu strukturieren. Im Sommer wurde vermutlich zu wenig Kölsch getrunken, also
musste eine Veranstaltung her. Im Sommer wurden keine Karnevalskostüme
verkauft, also musste eine Veranstaltung her. Bräuche haben klare Grenzen,
haben Termine im Jahr. Und wenn man die Grenzen dieser Bräuche aufweicht, dann
ist das zu kritisieren."
So ein Driss, sagt Brauereivertreter Thomas Deloy. Schließlich sei am Wochenende weder ein Karnevalsumzug noch eine Sitzung geplant. Eigentlich machten die Jecken nur das, was sie sowieso immer machen: "Der Kölner verkleidet sich gerne und singt gern Kölsche Lieder – und diese beiden Dinge nutzen wir. Das ist aber noch weit, weit von dem entfernt, was den Karneval ausmacht."
Trotzdem
fürchtet Euler-Schmidt, dass die närrische Sommerparty den echten Karneval im
Winter entwerten könnte. Es entstehe der Eindruck, die Jecken interessierten
sich nicht mehr für die Hintergründe des Brauchtums: "Wir bedienen damit unser Außenbild: Der Kölner hat einen an
der Waffel, der feiert das ganze Jahr Karneval. Und das find ich falsch."