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#ActOut: Was hat die queere Kampagne deutscher Promis bewirkt?

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Sechs Monate war das #ActOut-Manifest und die gemeinsame Coming-out-Aktion in Planung. Eine lange Zeit, die sich – der Resonanz zufolge – mehr als gelohnt hat. Markus Ulrich, Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbands (LSVD), bleibt trotzdem skeptisch, was die nachhaltige Wirkung angeht.

„Also es ist ja immer so die Frage bei so Diskussionen: Wie nachhaltig kann es Sachen beeinflussen? Und bei manchen Sachen geht die Arbeit und Auseinandersetzung ja damit auch erst los. Ich glaub, da kann man jetzt nach einer Woche vielleicht noch nicht so viel erwarten, aber ein Anfang ist gemacht, der ja auch durchaus ein sehr breites Echo gefunden hat, wo man sagen kann: Darauf lässt sich auf jeden Fall aufbauen.“

Die Diskussion müsse jetzt branchenintern weitergehen, damit auch bei den Entscheider*innen Veränderungen stattfänden. Das sieht auch Lamin Leroy Gibba so, der als Teil von #ActOut auch kritisiert, dass die Gremien der Filmbranche ganz überwiegend aus weißen Menschen bestehen.

„Wir brauchen wirklich die Leute, die in den Führungspositionen sitzen, die an diesen Tischen sitzen und entscheiden: Wer darf Geschichten erzählen? Wer wird gesehen? Wie guckt man einfach? Wie sucht man eigentlich nach Menschen? Wie sucht man nach Menschen, die systematisch aus dieser Branche herausgehalten wurden? Da braucht man andere Strategien. Und wenn die das wirklich wollen, dann sie sie auch. Das sind leider immer wieder Ausreden und die bin ich einfach satt zu hören, weil sie einfach nicht stimmen.“

In der Vorbereitung des Manifests ist ein Netzwerk entstanden, dass jetzt als Gemeinschaft Forderungen stellt und Druck erzeugt. Solidarisiert haben sich viele: Berlinale, Münchner Volkstheater und Medienboard Berlin Brandenburg twitterten ihre Unterstützung und teilten den Artikel des SZ-Magazins. Das Wiener Burgtheater nannte das Manifest auf Instagram eine „wichtige Debatte“. Die Casting-Direktorin Suse Marquardt schrieb auf Instagram: „Wir sind an eurer Seite!“ Laut Markus Ulrich vom LSVD können diese Solidarisierungen als Hebel genutzt werden, um tatsächliche Veränderungen einzufordern.

„Da muss man natürlich auch bei den Öffentlich-Rechtlichen viel eher Sachen einfordern, weil die viel weniger, finde ich, mit fehlenden Einschaltquoten argumentieren dürfen, weil das sozusagen nicht ihr Job ist, sondern sie sind eigentlich verpflichtet, eine Realität zu zeigen, die es in Deutschland gibt, und dazu gehören natürlich die unterschiedlichsten und vielfältigsten Perspektiven. Ich finde, das ist ein großer Punkt, wo man einfach noch mal sagen muss: Wie kann es sein, dass unter einem Prozent der im deutschen Fernsehen zu sehenden Menschen LGBT sind.“

Im Begleit-Interview des SZ-Magazins erklärte der Schauspieler Tucké Royale diese Repräsentationslücke mit den Worten: „Ich komme aus einer Welt, die mir nicht von mir erzählt hat“. João Kreth d‘Orey, nicht-binär*e Schauspieler*in und ebenfalls Teil von #ActOut, genießt genau deshalb vor allem das entstandene Gemeinschaftsgefühl.

„Ich kannte davor nur eine oder zwei nicht-binäre Schauspieler*innen und das hat sich jetzt auch total verändert, dadurch dass jetzt das Manifest rausgegangen ist. Und ich seh auf einmal die Menschen, die immer schon da waren, aber die ich nie sehen konnte, weil sie mich ja auch nicht gesehen haben und weil wir nie die Möglichkeit hatten, uns zu sehen, oder das Gefühl hatten, dass wir existieren.
Für Kreth d'Oray geht es neben der Präsenz auch um eine Umverteilung der Verantwortlichkeit.“

„Dadurch, dass ich jetzt gesehen habe in der Zeitung da steht nicht-binär, trans und da müssen sich jetzt Menschen mit auseinandersetzen, habe ich irgendwie so das Gefühl, dass mir so ein bisschen Verantwortung abgenommen wurde, die ich sonst immer alleine trage, wenn ich irgendwie arbeite oder im Casting bin und mich dann frage: Berichtige ich jetzt jemanden? Stehe ich jetzt dafür ein? Sage ich jetzt, dass ich nicht-binär bin oder nicht? Irgendwie hab ich so das Gefühl, dass der Diskurs jetzt so ankurbelt und dadurch viele Menschen aufgefordert sind, sich damit auseinanderzusetzen und ich das nicht mehr nur alleine machen muss.“

Dass Schauspieler*innen aufgrund ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität von Castinglisten gestrichen werden, gehört bisher zu üblichen Vorgängen hinter den Kulissen der Filmbranche. Laut LSVD Diskriminierungen am Arbeitsplatz, die bereits durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gedeckt sind. Aber wie können hier Veränderungen angestoßen werden? Lamin Leroy Gibba zufolge müssen die Entscheidungsträger*innen einfach nur die richtigen Stellen kontaktieren.

„Man braucht hier das Rad nicht neu erfinden. Es gibt ganz viele verschiedene Vorlagen, die man aus anderen Kontexten, aus anderen Ländern schon nehmen kann und sagen kann: Was haben die für BFI Standards zum Beispiel in England? Was haben die da eingeführt, wie haben die das gemacht? Und es gibt auch sehr viele Expert*innen hier in Deutschland, die sich darauf spezialisiert haben: Wie kann man Institutionen so verändern, dass die Gesellschaft tatsächlich repräsentiert wird und dass die Strukturen sich verändern.“

Die Queer Media Society hat beispielsweise das #ActOut-Manifest von Anfang an begleitet und bietet drigend benötigte Ressourcen. Auch João Kreth d'Oray sieht die Bewusstseins- und Bildungslücken als großes Problem, hat in der Berichterstattung über #ActOut aber schon erste Veränderungen bemerkt.

„Viele Journalist*innen haben ja dann auch verwechselt irgendwie, was sexuelle Identität ist und was Gender-Identität ist und das so in einen Topf geworfen. Aber da haben dann auch viele Journalist*innen das dann zurückgenommen und das berichtigt. Und das ist natürlich toll, weil dann merkt man: Da ist so ein Lernprozess und da haben dann Leute auch keine Scheu davor, einen Fehler gemacht zu haben, weil: Das machen wir alle. Ich mache auch Fehler in der Sprache manchmal oder darin, ich jemanden adressiere oder wie ich etwas formuliere. Das mache ich auch Da muss man aber drüber sprechen, das muss man thematisieren und nicht so wegschweigen, weil: sonst kann es sich nicht verändern.“
Vielleicht ist das also die Mischung die es braucht: Entschlossene Forderungen und Nachdruck bei gleichzeitiger Offenheit für eine neue Form der gemeinsamen Weiterentwicklung. Und eine Hollywood-Version des #ActOut-Manifests, denn das halten alle Befragten für längst überfällig.

(16.02.2021, Corso, Deutschlandfunk)