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„Wir melden uns dann bei dir!“

Von einem der auszog, eine WG zu finden.


"Das ist dann das Badezimmer", sagt Nicola. Wow, das ist gar nicht mal so schön. Alles braun, die Kacheln, die Toilette, das Waschbecken und sogar die Heizung. Es ist die dritte Wohnungsbesichtigung an diesem Tag, oder sollte ich eher sagen: Das dritte WG-Casting. Drei komplett unterschiedliche Wohnungen, drei komplett unterschiedliche Wohnsituationen. Mal vier Mitbewohner, mal einer. Mal Fachwerkhaus im Außerbezirk, mal Neubau an der Einfallstraße. Aber trotzdem jedes Mal derselbe Ablauf: Klingeln, Begrüßen und dann in knappen 30 Minuten herausfinden, ob man hier wohnen kann, möchte und dürfen wird. Manchmal sind es auch nur 10 Minuten, abhängig vor allem davon, ob noch andere Verzweifelte am selben Tag einen Besichtigungstermin haben. Ein Zimmer brauchen zum Semesterstart eben alle.

Nelson und Mira haben es sich einfach gemacht. 20 Leute quetschen sich im auszugsfertigen Zimmer und zählen nacheinander ihre Hobbies auf, was sie studieren und woher sie kommen und warum. Es sind alle mit dabei: Der 19-jährige BWL-Erstsemester, die 30-jährige Soziologie-Master-Studentin und Mey, der für sein Auslandssemester hier ist. Nelson notiert alles, Mira nickt und fragt jeden, ob er pokern kann. Bei einer Chance von 1 zu 20 kommt die SMS drei Tage später nicht wirklich unerwartet. "Wir haben uns leider für jemand anders entschieden. Viel Erfolg noch bei der Suche." "Viel Glück" würde eher passen. Bei 19 sympathischen, relativ unkomplizierten und betont putzaffinen Mitbewerbern kann man sich noch so sehr anstrengen, die Erfolgschancen bleiben gering. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

"Das Zimmer hat 16 Quadratmeter, die Warmmiete liegt mit Strom so bei 360 Euro, dann kommt natürlich noch die Kaution dazu und die Ablöse für die Küche, das wären dann zusammen 800 Euro." So wirklich ernst kann Benedikt das nicht meinen. Welcher Student kann denn bitte 360 Euro im Monat an Miete bezahlen? Bei einem Blick durch das Wohnzimmer hat man das Gefühl, mitten im Jahreskatalog von ligne roset zu stehen. Die XBOX 360 und die Playstation 3 machen sich gut auf dem dunklen Sideboard mit Plasmafernseher. So wohnt also die zukünftige Elite. Mami und Papi haben sich gut gekümmert. "Der Chauvinismus im Fußball ist echt nervig oder?", sagt Benedikt. Irgendwie sind wir auf die Frauen-WM gekommen. Viel lieber würde ich darüber reden, was es in der Ecke für Bars oder Supermärkte gibt, irgendwo müssen die 360 Euro ja herkommen. Aber es geht stattdessen darum, das Autofahren auf die Dauer ja so teuer ist. Vom Kauf eines Autos bin ich ungefähr so weit entfernt wie Benedikt davon, Hartz VI-Empfänger zu werden. "Ich melde mich dann bei dir", sagt er zum Abschied. Die "gemütliche Wohnung in super Lage" ist bei mir genauso wenig angekommen wie die SMS mit der Absage. Mit Absprachen hält es nicht jeder so genau.

Zur Stoßzeit zu Beginn des Semesters findet man im Internet auf den einschlägigen Seiten täglich fünf neue Angebote, manchmal sind es auch zehn. "Rauchen erlaubt" steht in den Exposés oder "Gesucht: Frau, 25 bis 30". Betitelt sind die Anzeigen mit "Helles Zimmer in der Innenstadt", "Zieh zu uns ins Studidorf" oder auch "Komm nackt und bring Bier mit!" Die wenigen, aus denen man ein Fünkchen Persönlichkeit herauslesen kann, sind meistens sofort weg oder die Anbieter verhängen einen "Aufnahmestopp", weil "den ganzen Tag das Telefon klingelt" und "das Postfach voll ist". Die inserierenden WGs wissen meistens selbst nicht, was auf sie zukommt, wenn sie locker-lustig "Melde dich einfach, gerne auch bis Mitternacht, wir sind Nachtmenschen ^^" schreiben. Fünf Minuten, nachdem sie "Angebot aufgeben" angeklickt haben, merken sie das dann auch.

Entsprechend gut kommt der 31245ste Anruf bei Jonas an. "Samstag kommen schon 18 Leute vorbei, aber nachmittags ist um 1 noch was frei". Hey super, das wird bestimmt richtig entspannt! Als ich am Samstag um 13 Uhr die Wohnung betrete, werde ich dann doch überraschend fröhlich begrüßt und zuerst zum Zimmer geführt, das wegen "persönlicher Differenzen" in der 4er-WG freigeworden ist. Deren Auslöser muss ich auch nicht lange suchen: Aus dem Raum hinter der Küche kommt mir ein leckerer Zoohandlungsgeruch entgegen. "Ich hoffe, du magst Haustiere", sagt Merle. Natürlich ist es keine Frage, sondern eine Feststellung, schließlich muss ich hier kompatibel sein und nicht die Ratten, die hektisch im Käfig herumlaufen. "Natürlich", sage ich, auch wenn der Begriff Haustier für mich mit Ratten noch nie wirklich vereinbar schien. Aber jedem das Seine. Nach der obligatorischen Hobby-Frage kommt die nach den Kochkünsten und dem Essverhalten. "Ich bin nämlich Vegetarierin, aber Jonas isst trotzdem gerne mal ein Steak. Wenn wir gemeinsam kochen, muss es aber ohne Fleisch sein." Das sollte ja kein Problem sein. Was dann kommt allerdings schon. "Von den 150 Euro Haushaltskasse bestellen wir Getränke und kaufen alles ein. Du kannst dann für dich auch kaufen, was du willst." Bitte? 150 Euro? Pro Person oder für alle oder vor allem für was? Aber anscheinend meinen die drei es ernst. Genauso wie den Verzicht auf die übliche Abschiedsfloskel. "Absagen werden wir nicht, nur zusagen. Wenn du bis Montag nichts gehört hast, weißt du Bescheid." Auch nett.

Je länger die Suche dauert und je später man dank des Wahnsinns der Uni-Bewerbungen weiß, in welche Stadt es geht, desto unangenehmer werden die Besichtigungen. Ungewollt und zwangsläufig wird der Gesprächseinstieg leicht mitleidserregend, wenn man sagt, dass man dringend ein Zimmer sucht, weil das Semester bald anfängt und man noch nichts hat. Die potentiellen Mitbewohner haben dann bestenfalls eine Art Hilfsbedürfnis und schlimmstenfalls das Gefühl, man würde letztendlich zu allem Ja und Amen sagen, um endlich ein Zimmer zu haben. Nichtraucher sagen: "Natürlich darf bei Partys dann auch bei mir im Zimmer geraucht werden." Menschen mit Eltern ohne Porsche und Stadtvilla sagen: "Egal, ob die Miete hoch ist. Hauptsache die Chemie stimmt." Normalesser sagen: "Ich liebe Tofu." Ordnungsfetischisten sagen: "Putzen find ich total spießig." Und Partygänger sagen: "Oh super, ihr mögt gemeinsame Filmabende auch so gerne wie ich?" Mit anderen Worten: Wirklich passende Mitbewohner kann man unter solchen Bedingungen nur in Ausnahmefällen finden.

Das Endprodukt solcher Fehlgriffe demonstriert Sofias WG eindrucksvoll. Mit der Anzeige im Internet geht das Problem los, denn Sofia hat sie ohne Wissen ihres Mitbewohners eingestellt. Problematisch ist das deshalb, weil sie auszieht und Chris wohnen bleibt. Unangenehm ist als Prädikat weit untertrieben für das, was da in der WG-Küche atmosphärisch auf mich wartet. Chris fühlt sich zu Recht übergangen. Aber auch wenn er nicht so genervt wäre wie jetzt, ist er empathiemäßig eher für ein Einzelzimmer im Wohnheim prädestiniert als für eine flippige 3er-WG. Sofia ist das genaue Gegenteil von Chris, nach dem Grund für den Auszug muss ich also gar nicht erst fragen. Angenehmer wird die Situation auch dadurch nicht, dass Sofia erst mal alle Möbelstücke aufzählt, die sie mitnehmen wird, weil sie ihr gehören. Dazu zählen auch der Küchentisch und der Kühlschrank. Als sie in ihr Zimmer geht, sagt Chris, Sofia sei hysterisch, eifersüchtig und zickig. Vor der Wohnungstür sagt Sofia, Chris sei renitent, unsozial und cholerisch. Da ich weder WG-Therapeut noch interessiert an offensichtlich sozialinkompetenten Mitbewohnern bin, lasse ich Chris pro forma meine Nummer da und gehe. Sofia erwähnt noch nebenbei, dass die Verwaltung Chris erst rauswerfen könne, wenn zwei weitere Mitbewohner wegen ihm kündigten. Wie nett von ihr, das noch zu sagen. Hoffentlich meldet Chris sich nicht. Mal ein anderes Gefühl, mit dem ich eine Besichtigung verlasse.

Aber es gibt auch gute Menschen auf dieser Welt. Paolo und Sascha sind zwei von ihnen. Sie wollen erst eine E-Mail geschickt bekommen und dann zurückrufen. Und sie rufen tatsächlich zurück. Die Neubauwohnung mit großem Zimmer zu kleinem Preis ist zu gut, um wahr zu sein, und Paolo und Sascha sind es auch. Aber vielleicht ist das einfach der Lohn für drei Wochen Besichtigungshopping. Nach einer Stunde gehe ich wieder und habe ein gutes Gefühl, unterdrücke es aber, weil es mich die letzten Wochen zu oft enttäuscht hat. In der Bahn am nächsten Mittag dann der Anruf: "Wir haben uns das gestern überlegt und den anderen abgesagt. Wir würden dich gerne bei uns einziehen lassen." Eindeutig der falsche Moment, um in der Bahn zu sitzen. Eine Art Freudentanz wäre angebracht, aber ich halte mich an deutsche Normen, bleibe sitzen und mache Two Door Cinema Club an. Freudiges Rumhüpfen in Form von Musik, der passende Soundtrack zur Situation. Was lange währt, wird wohl doch endlich gut.