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Ballern - Waffennarren, angeschossen

Was ist los bei Deutschlands größtem Kleinwaffenhersteller? Heckler & Koch landete zuletzt wegen der hohen Schulden des Unternehmens in den Negativschlagzeilen. Wegen der angeblich mangelhaften Treffsicherheit des G36-Sturmgewehres. Und Anfang des Jahres aufgrund der Verurteilung vor dem Stuttgarter Landgericht wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko. Trotz alledem verlautbarte Vorstandschef Jens Bodo Koch auf der Aktionärshauptversammlung in Rottweil am 12. Juli: „Wir sind wieder auf Kurs."


Was er damit meint: dass die Waffenschmiede aus Oberndorf am Neckar nach Millionenverlusten in den Vorjahren im ersten Halbjahr 2019 erstmals wieder Gewinne erzielt habe. Eine konkrete Zahl hierfür nannte er nicht. Die Höhe der Schulden wurde von H&K auf 236,3 Millionen Euro beziffert. Insgesamt gab man sich in Rottweil transparent: So wurden erstmals in der Firmengeschichte auch Pressevertreter zur Hauptversammlung zugelassen. Dies hatten die vom Freiburger Rüstungsinformationsbüro e. V. gegründeten „Kritischen Aktionär*innen Heckler & Koch" in den Vorjahren gefordert. Was bei Daimler, Airbus und Co. selbstverständlich ist, gilt nun also auch für H&K. Die „Kritischen Aktionäre" sprachen zudem von einer offenen Atmosphäre bei der Versammlung. Viele Fragen blieben aber inhaltlich unbeantwortet, auf eine Anfrage des Freitag reagierte H&K nicht.


Unklar ist zum Beispiel weiterhin, von wem das mittelständische Unternehmen 2018 mit Krediten in Höhe von mehr als 80 Millionen Euro über Wasser gehalten wurde. In Medienberichten ist lediglich von einem anonymen Großaktionär die Rede. Wer dieser Finanzier ist, wurde von H&K auch auf mehrfache Nachfragen nicht offenbart. Für die Rüstungsgegner um Jürgen Grässlin liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Andreas Heeschen handeln könnte. Dem öffentlichkeitsscheuen Investor gehören rund 57 Prozent der Aktien von H&K. Heeschen war bei der Hauptversammlung wie in den Vorjahren nicht anwesend. Er ließ sich von einem Kölner Anwalt vertreten.


Unklar ist auch, welchen „Kurs" H&K künftig bei der Exportpolitik einschlagen wird. Der Hersteller von Pistolen und Sturmgewehren hatte sich zwar vor gut zwei Jahren eigene Regeln dafür gegeben, in welche Länder Waffen geliefert werden dürften. Diese Regeln seien nun aber aufgeweicht worden, bemängeln die „Kritischen Aktionäre".


Unbedenklichkeitsampel


2017 gab H&K offiziell bekannt, künftig grundsätzlich nur noch in NATO-Staaten und NATO-assoziierte Staaten wie die Schweiz, Australien und Japan Waffen liefern zu wollen. Weitere Kriterien waren die Platzierungen des Landes in einem Korruptions- und einem Demokratie-Index (siehe der Freitag 39/2017). H&K teilte die Länder so in „rote", „gelbe" und „grüne" Länder ein. Nur letztere gelten demnach als „unbedenklich" und dürften H&K-Waffen bekommen. Bestehende Altverträge sollten davon zwar unberührt bleiben, dennoch war H&K damit ein Vorbild. Denn eine solche Selbstregulierung ist in der deutschen Rüstungsindustrie bislang einmalig.


Während beispielsweise Rheinmetall laut Recherchen von stern und Correctiv zumindest plante, sich an einer Panzerfabrik in der Türkei zu beteiligen, schließt Heckler & Koch Waffenlieferungen in das NATO-Land weiterhin kategorisch aus. Als Grund wurde unter anderem die dortige Sicherheits- und Menschenrechtslage angeführt, so Jürgen Grässlin. Explizit von der H&K-Führung ausgeschlossen wurden laut „Kritischen Aktionären" ferner Waffenexporte nach Bahrain, Katar, Hongkong, Ecuador und Brasilien.


Konsequent ist man bei der Wahl der Exportländer aber keineswegs: 2018 habe H&K unter anderem nach Jordanien, Indien, in den Oman und die - am Jemenkrieg maßgeblich beteiligten - Vereinigten Arabischen Emirate exportiert. Waffen wurden unter anderem nach Indonesien, Malaysia und Südkorea geliefert.


Heckler & Koch habe „die ‚Grüne-Länder-Strategie' aufgeweicht", um weitere Staaten als „unbedenklich" einstufen zu können, kritisiert Charlotte Kehne von der Organisation „Ohne Rüstung Leben", die ebenfalls an der Hauptversammlung teilnahm. Es gebe nun neue Kriterien wie die Interpol-Mitgliedschaft oder EU-Sicherheitspartnerschaft eines Landes. Die eigenen Exportregeln würden dadurch „schwammig", meint Kehne. Denn in Ausnahmefällen sollten beispielsweise auch der Oman, Indonesien, Malaysia, Chile, Jordanien, Indien und Singapur beliefert werden können. Das sei „unglaubwürdig", sagt Jürgen Grässlin.


Indes stockt das Vorhaben von H&K, in den USA Fuß zu fassen. In Georgia hatte das Unternehmen 2017 zum ersten Mal eine Fabrik im Ausland bauen lassen, die von H&K selbst betrieben wird. Üblich war bislang, dass andere Firmen mit H&K-Lizenzen Waffen herstellen, wie in Pakistan oder Saudi-Arabien. Da die Vereinigten Staaten den größten „zivilen" Kleinwaffenmarkt der Welt darstellen, sah man dort Wachstumspotenzial.


Das Projekt liege aber weit hinter den Erwartungen zurück, berichtete die Firma nun. Man habe Verluste eingefahren. Mehrere Entwicklungsprojekte für neue Waffentypen seien eingestampft worden, derzeit werde von den neuen Waffen nur noch eine Pistole in den USA produziert. Man habe sich von einem dortigen CEO getrennt und die US-Tochtergesellschaft enger an Oberndorf gebunden, hieß es.


Charlotte Kehne sieht die Gefahr, dass über das US-Werk in Zukunft Waffen in „nicht grüne" Länder exportiert werden könnten. Dem widersprach H&K auf der Hauptversammlung vehement. Zwar würde die neu entwickelte Pistole tatsächlich nur noch eine US-Ausfuhrgenehmigung benötigen. Das Werk in den USA sei aber nicht für Exporte zur Umgehung deutscher Rechtsstandards gedacht.


Trotzdem, widerspricht Kehne, stelle sich am Beispiel der USA grundsätzlich die Frage, was ein „grünes" Land sei. Denn die USA seien nicht nur an Kriegseinsätzen beteiligt. Innerhalb der Landesgrenzen stürben auch jedes Jahr über zehntausend Menschen durch den Einsatz von Schusswaffen. Zudem sei es möglich, dass problemlos legal erworbene Waffen anschließend illegal weiterverbracht würden, zum Beispiel nach Mexiko. „Wir werden auch hier wachsam bleiben", sagt Kehne.


Ein offenes Geheimnis ist, wieso der bisherige Aufsichtsratschef Dieter John abgesetzt und auf Vorschlag von Großaktionär Andreas Heeschen gegen den 77-jährigen General a. D. der Luftwaffe Harald Kujat ausgetauscht wurde. Tatsächlich hätte H&K die Kontakte zur Vergabestelle der Bundeswehr von Kujat - immerhin ehemaliger Generalinspekteur der Armee - bitter nötig, will man bei der 245-Millionen-Euro-Ausschreibung für den Nachfolger des G36-Sturmgewehrs der Bundeswehr noch eine Chance haben. Kujat - eine „reine Lobbyismuskanone" (Jürgen Grässlin) - hatte bereits vor seiner Ernennung angekündigt, er wolle sich in die Ausschreibung der Bundeswehr nicht einmischen, aber H&K sei wohl alternativlos.


Zwei Millionen Tote


Erstmals in der knapp 70-jährigen Unternehmensgeschichte wurde H&K im Februar wegen illegaler Waffenlieferungen nach Mexiko verurteilt. Das LG Stuttgart verdonnerte die Waffenschmiede zu einer Strafzahlung von gut 3,7 Millionen Euro. Ein Ex-Vertriebsleiter und eine Ex-Sachbearbeiterin wurden zwar zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Für zwei ehemalige Geschäftsführer und einen anderen Ex-Vertriebsleiter gab es aber Freisprüche. Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch H&K legten Revision gegen das LG-Urteil ein, der Prozess wird wohl erst in einem Jahr vor dem Bundesgerichtshof weitergehen.


Jürgen Grässlin hat anhand jahrzehntelanger Recherchen und Militärdaten errechnet, dass bereits „über zwei Millionen Menschen durch H&K-Waffen getötet wurden". Er schätzt, dass als Folge einer expansiven Exportpolitik seit den 1960er Jahren H&K-Waffen weltweit zudem über sechs Millionen Menschen verstümmelt hätten. Rüstungsaktivisten nennen Heckler & Koch deshalb weiterhin „das tödlichste Unternehmen Deutschlands".


Bemerkenswert waren die Antworten auf Fragen einer Aktivistin zum Einsatz von H&K-Waffen im Jemen-Krieg. Das Unternehmen erklärte dazu auf der Hauptversammlung, man erhebe keine Daten darüber, wo H&K-Waffen von wem gegen Menschen verwendet würden. Der Einsatz von H&K-Sturmgewehren im Jemen-Krieg sei ihm nicht bekannt - dabei sind entsprechende Berichte von ZEIT und Deutscher Welleein Jahr alt.


Ben Mendelson berichtete bereits 2017 über die wohltönenden Absichtserklärungen von H&K in puncto ethischer Exportpraxis

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