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Pegidas Märchen

Medien Auch wer „Lügenpresse" schreit, braucht Infos. Was sind das für Portale, die ständig Öl ins Feuer gießen?

Foto: Daniel Biskup/Laif

Was ist nur aus der guten alten Lügenpresse geworden? „Man kann es kaum glauben, aber es gibt sie noch, die objektive Berichterstattung." So lautet ein Facebook-Beitrag der Bewegung. Verlinkt wird auf einen Online-Artikel der Newsseite Metropolico, es geht um eine Pegida-Demonstration vom Oktober 2015. Darin spricht ein anonymer Autor von 25.000 bis 30.000 Demonstrationsteilnehmern. Später stellt das Kollektiv Durchgezählt von der TU Dresden mit wissenschaftlichen Methoden nur 7.500 bis 8.000 Demonstranten fest. Da ist die Erfolgsmeldung aber längst schon draußen - und geglaubt wird der akademischen Initiative, die bei Pegida nur noch „Vollverzählt" genannt wird, so oder so nicht. Objektiv ist bei Pegida nur, was ins Weltbild passt. Und das tun Onlineportale wie Metropolico, die mit Schlagzeilen wie„Ein Vorgeschmack auf den Bürgerkrieg" und „Kinderkarneval wegen Terrorangst abgesagt" auffälig oft die Facebook-Timelines von Pegida und AfD füllen. Was sind das für „Medien", die für Pegida nicht so lügen wie der Rest?

2012 wurde die Seite als Blu-News (bürgerlich, liberal, konservativ) von Christian Jung gegründet und 2015 in Metropolico umbenannt. Jung war bayrischer Landesvorsitzender der liberal-konservativen Kleinpartei Die Freiheit. Wegen häufiger Interviews von Politikern wie Beatrix von Storch, Frauke Petry und Alexander Gau-land gilt das Portal als „inoffizielle Parteizeitung der AfD" ( publikative.org). Nachrichten bestehen vor allem aus Schreckensmeldungen über Muslime und AfD-Parteinews, die Kommentare strotzen vor Häme, Polemik, vulgären Beleidigungen und Rechtschreibfehlern. Zugriffe verzeichnet das Portal vor allem von Facebook, PI-News und der Seite des rechtspopulistischen Kopp-Verlags.

200.000 Menschen folgen Pegida auf Facebook, mehr als CDU und SPD zusammen. Die Reichweite der Facebook-Seite liegt damit nur etwas unter der vieler großer Medienhäuser. Neben den Aufrufen zu Demonstrationen gibt es hier auch Nachrichten im Stundentakt: bis zu zehn Meldungen pro Tag, meist ein Mix aus seriösen, aber konservativen bis sensationistischen Medien ( Welt, Focus) und „alternativen" Quellen. Zu Letztgenannten gehören vor allem die Epoch Times Deutschland sowie Metropolico und der islamfeindliche Blog Politically Incorrect. Oft sind die Grenzen zwischen Rechtspopulismus und Verschwörungstheorien fließend, wie auch beim Querfront-Magazin . Es sind Seiten, die mit Hetze gegen Flüchtlinge oder mit verschwurbelten Theorien tausende Klicks und damit Werbeeinnahmen generieren.

Wahrheit schaffen

Dass sich Menschen im Internet schnell zum Publizisten ernennen und ohne seriöse Informationsgrundlage oder Ausbildung schreiben, was sie denken, ist keine Neuheit. Der Unterschied zu PI-News, Epoch Times oder Metropolico besteht darin, dass diese als seriöse Berichterstatter, als vermeintlich objektives Bollwerk gegen die verschworene Systempresse auftreten wollen. Das Tendenziöse und Hetzerische versteckt sich oft zwischen den Zeilen. Es ist der Versuch, sich aus einem selbst geschaffenen Dilemma zu befreien: Einerseits werden gängige deutsche Medien von den Gruppierungen verneint und als „Lügenpresse" diffamiert, da sich in deren Berichterstattung - abgesehen von ein paar Ausnahmen - nicht die Radikalität der eigenen Linie widerspiegelt. Andererseits gibt es bei der Verneinung der gesamten Presse auch keine glaubwürdige Informationsquelle, mit der man das eigene, „richtige" Weltbild irgendwie stützen könnte. Ziel ist, den Anschein einer glaubhaften Wahrheit zu erwecken, die vereinbar ist mit der Radikalität. Deshalb wird konventionelles mit rechtem Gedankengut bunt gemischt. „Da kommt der Wunsch nach Seriosität durch: ‚Schaut, hier steht das auch, guck, wir haben recht, wir sind keine Spinner!' - so versucht man auch die Unentschlossenen zu überzeugen", erklärt Professor Stephan Humer, der als Netz-Soziologe seit 2012 auf diesem Gebiet forscht. Die rechtsextremen Seiten greifen die passenden Nachrichten aus der Mainstream-Presse auf und spinnen die Geschichten weiter.

Der Spieß wird umgedreht, indem diese Seiten die volle Wahrheit für sich beanspruchen. Der Vorwurf an die klassischen Medien lautet nicht, falsch zu berichten, sondern wichtige Details auszulassen. Diese Details präsentieren allein die alternativen Medien. Ereignisse wie die Kölner Silvesternacht sind dafür dankbare Katalysatoren.

Die Epoch Times startete 1999 als US-amerikanische Zeitung für Exil-chinesen, die einen Gegenpol zur Medienzensur der KP bilden wollten. Sie entsprang Falun Gong, einer Bewegung auf Basis der spirituellen Konzentrations- und Meditationstechnik Qi Gong. Falun Gong wird in China stark verfolgt. Manche Beobachter stufen die Bewegung als harmlos, andere als sektenartig bis rassistisch ein. Der deutsche Ableger existiert seit 2005. Neben eigenen Artikeln, zumeist zur Flüchtlingspolitik, publiziert die Epoch auch zahlreiche Übersetzungen von dubiosen Onlineportalen, die Pseudowissenschaften, Esoterik oder Verschwörungstheorien nahestehen. Über 20 Prozent des Datenvolumens der Epoch kommen von Facebook.

Auch die verschwörungstheoretischen Seiten handeln nach diesen Prinzipien: Wahrheit schaffen. Eine eigene Weltsicht auf Grundlage teils obskurer Verschwörungstheorien zusammensetzen. Allerdings sind ihre Ziele längst nicht so durchschaubar wie die der rechten Hetzer. Zentral sind oft Antiimperialismus und das grundsätzliche Hinterfragen von Eliten, mal gesellt sich Antisemitismus, mal Antiamerikanismus dazu. Einig sind sich sowohl die Verschwörer als auch die Rechtspopulisten aber alle in derselben Sache: der Islamophobie. Rechte Ideologien suchten schon immer die einfachen Lösungen in einer hochkomplexen Welt, Verschwörungstheoretiker machen das Gleiche - manchmal mit, manchmal ohne politische Färbung. Gefährlich wird es, wenn sich beide Weltsichten einen gemeinsamen Feind suchen, sich gegenseitig befruchten und sich anschließend als seriöse Nachrichtenquelle verkaufen.

Nach welchen Rastern funktioniert das „journalistische" Handwerk auf solchen Internetseiten? „Meist enthält eine Meldung einen Funken Wahrheitsgehalt. Davon geht ein Effekt aus. Falschmeldungen gibt es nicht, widerrufen wird nichts. Und irgendwann verselbstständigt sich die Berichterstattung dann so Stille-Post-mäßig, und plötzlich haben wir Flüchtlinge, die Kinder essen", sagt Humer. „Meldungen werden kettenmäßig aneinandergereiht, scheinbar logische Schlüsse werden gezogen." Ein Beispiel hierfür ist die von Pegida am meisten zitierte Website überhaupt, die Epoch Times Deutschland. Der Nachrichtenmix dort spielt vor allem mit Endzeitszenarien: Isolierte Meldungen über Ausländerkriminalität werden gepaart mit Zahlen und Fakten über Flüchtlingsströme. Zum Beispiel die Meldung von einem Iraker, der einen Jungen vergewaltigt, und daneben steht: „Noch 8 bis 10 Millionen Syrer und Iraker unterwegs." Die Fakten stimmen häufig, falsche Schlüsse werden nicht gezogen. Das soll der Leser am besten selbst erledigen, damit das seriöse Image nicht beschädigt wird. Weiterhin sieht ein Ökonom die „Einheit Deutschlands" in Gefahr, und der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew spricht vom „Kalten Krieg". Die Welt steht kurz vor dem Zusammenbruch, schuld daran sind die Geflüchteten und die Politik Angela Merkels. Positive Berichte lauten zum Beispiel „Fünf lustige Fehltritte der chinesischen Armee". Darüber hinaus arbeitet Epoch auch viel mit ungeprüften Nachrichten, fehlenden Korrekturen von Falschmeldungen und verdrehten Überschriften. Die Desinformationsspirale wird dann besonders sichtbar, wenn die „alternativen" Medien anfangen, sich untereinander als Quelle zu nennen. Wie gut dieses Kalkül aufgeht, offenbaren die Kommentarspalten bei Pegida. Aus dem virtuellen Hassfeuer werden auch schnell handfeste Brandsätze auf Flüchtlingsunterkünfte.

Algorithmen helfen

Dass wirkliche Objektivität und Wahrheit dabei auf der Strecke bleiben, ist den Nutzern egal. Sie finden ja Antworten auf ihre Fragen und Bedürfnisse. Artikel, in denen gesagt wird, was nicht gesagt werden darf. Ein schlüssiges Weltbild. Es ist nicht verwunderlich, dass tendenziell langsame Recherche, genaue Prüfung von Quellen oder akademische Methoden gegen eine schnelle, im Zweifelsfall frei erfundene Lösungsmöglichkeit im rasanten Internet ziemlich unattraktiv wirken. Zusätzlich gibt es Algorithmen in den sozialen Netzwerken, die es sehr schwer machen, sich von einem bestimmten Weltbild und einer selektiven Nachrichtenlage wieder zu lösen. Schuld daran ist das Phänomen der Filter Bubble oder Informationsblase: „Das Bedürfnis nach Orientierung treibt die Menschen auf diese Seiten, die Filter Bubble sorgt dafür, dass sie auch wiederkommen", sagt Stephan Humer. Das Prinzip der Informationsblase funktioniert so: Algorithmen wie die von Facebook oder Youtube bieten dem Konsumenten ständig neue Inhalte basierend auf seinen „Interessen" an. Diese Interessen werden durch zuvor aufgerufene Inhalte ermittelt. Wenn ein Facebook-User seine einseitigen und verschwörerischen Infos zur Flüchtlingskrise vor allem von der Seite von Pegida erhält, bietet ihm der Algorithmus weitere Informationen auf Basis dieser „Quellen" an. Quellen mit Headlines wie „Bundesweite Bereicherung durch Rapefugees" ( PI-News).

Seit 2004 gibt es den Blog, der sich hinter seiner „politischen Inkorrektheit" vor allem als islamfeindlich erweist. Hinter den Pseudonymen der Autoren verstecken sich Gida-Aktivisten wie Bargida-Vorschreier Michael Stürzenberger, der wie Gründer Stefan Herre in der rechtspopulistischen Partei Die Freiheit aktiv ist. Einige Autoren schreiben mittlerweile für das moderatere Metropolico, zum Beispiel Christian Jung. Auffällig ist auch der hasserfüllte, unmoderierte Kommentarbereich. Nach den Breivik-Morden stand dort etwa: „Multikulturalismus ist Völkermord wie der Holocaust, nur subtiler." Der Verfassungsschutz beobachtet PI nicht, hat die Seite aber trotzdem „auf dem Schirm."

85.000 Menschen besuchen täglich die Internetseite von PI-News, tausende weitere tummeln sich auf ähnlichen Portalen. Tausende Menschen, die in einer schleichend konstruierten Parallelwelt leben, aus der sie nur schwer zurückzuholen sind. Wenn es den etablierten Medien nicht gelingt, das verloren gegangene Vertrauen zurückzuholen, droht sich die Utopie von Pegida und Konsorten zu bewahrheiten. Für rechte Bewegungen waren sie schon immer attraktiv: reine Propagandamedien, die mit Selektion und Fantasie ein Weltbild konstruieren, anstatt zu versuchen, die Wahrheit zu finden.

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