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Zeugin der Ozeane

Sylvia Early, Foto: PR Biotherm

Sylvia Earle nennt sich Zeugin der Ozeane und setzt sich für den Erhalt der letzten intakten Gebiete ein. Das Kurzporträt einer 82-Jährigen, die kämpft und kämpft und kämpft.


Der Laptop ist beklebt mit Stickern wie bei einem jungen Mädchen, und aufgeklappt verdeckt er fast vollkommen die kleine Frau, die hinter ihm sitzt und eifrig E-Mails beantwortet. Sylvia Earle ist 82 Jahre alt, und als sie die Augen vom Bildschirm abwendet, zeigt sie ein strahlendes Lächeln und von Lachfalten umspielte braune Augen. Die zarte Amerikanerin wirkt auf den ersten Blick wie eine sehr nette und sehr schicke Oma. Das ist sie auch, sie ist sogar mehrfache Ur-Oma. Aber vor allem ist Sylvia Earle eine lebende Legende. Sie hält noch immer einen Weltrekord im Solo-Tauchen, war die erste Frau, die längere Zeit unter Wasser lebte, besitzt neben ihrem eigentlichen Doktortitel noch 22 Ehrendoktor-Würden und hat rund 150 wissenschaftliche Abhandlungen sowie Bücher über die Ozeane geschrieben. Als „Heldin des Planeten" oder „Champion der Erde" wird sie bezeichnet, aber der Titel, der ihr wohl am meisten entspricht ist „Her Deepness", in Anlehnung an „Ihre Hoheit".


Ihr Ziel: Aufmerksamkeit

„Die Meere sind wie mein Zuhause", sagt sie mit einer warmen und sonoren Alt-Stimme. „Wenn ich tauche, treffe ich alte und neue Freunde. Ich bin glücklich im Wasser." In Rente zu gehen, kommt für die Ozeanografin nicht infrage. „Warum auch? Es gibt so viel zu tun! Solange ich atmen kann, werde ich tauchen und mein Ziel verfolgen, auf die kritische Situation in den Meeren aufmerksam zu machen." Zu diesem Zweck hat Sylvia Earle 2009 die Initiative „Mission Blue" gegründet, die weltweit noch intakte Meeresgebiete, sogenannte Hope Spots, ausfindig macht und für ihren Schutz kämpft. „Derzeit haben wir 80 solcher Spots dokumentiert, 400 andere werden gerade geprüft. Deshalb bin ich gerade auf dem Weg nach Genf, zu einem Meeting mit der UNEP, der Umweltdivision der UNO, und diversen NGOs."


Immer in Bewegung

Airports seien ihr Gymnastikstudio, erklärt sie. „Ich schleppe Koffer und renne zu den Gates." Sind die Reisen und ständigen Zeitverschiebungen nicht ermüdend in ihrem Alter? Ach, das gehöre nun mal dazu. Sylvia Earle pendelt ständig zwischen drei Büros, dem bei National Geographic in New York und ihren eigenen in Florida und Kalifornien. Dazu kommen Forschungsexpeditionen auf der ganzen Welt. „Ich versuche, jeden Monat mindestens auf eine Tauchmission zu gehen. Ich bin in Regionen, wo vorher noch kein Mensch gewesen ist, oder ich kehre zu bekannten Orten zurück, um die Veränderung zu dokumentieren. Ich bin eine Zeugin der Ozeane."


Handeln, und zwar jetzt

Diese selbst gewählte Aufgabe gibt ihr auch die Kraft, nie zu rasten. Denn die Zeit drängt. „Wir stehen an einem historischen Moment. Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend für die 10 000 danach. Es leben nur noch zehn Prozent der Haie. Andere Spezies sind auf zwei bis drei Prozent geschrumpft, ganz zu schweigen von den Korallen. Als ich Kind war, gab es im Golf von Mexiko noch Mönchsrobben. Sie sind weg. Der weiße Delfin: ausgerottet. Je länger wir dem Verfall zusehen und die Meere verschmutzen, desto schlimmer wird es. Worauf warten wir? Wir müssen jetzt handeln und retten, was überlebt hat." 

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