Astrid Wunsch

Designer, Writer, Speaker / Berlin

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Gender-Commerce: LiveChat mit Frauen!

Während die E-Commerce-Welt über ausgefuchste 1:1-Strategien im Targeting spricht, bemerken die UX-Spezialistinnen von Triplesense Reply aus Frankfurt, dass viele Onlineshops die einfachste aller Segmentierungen übersehen, nämlich die Unterscheidung zwischen Mann und Frau. Astrid Wunsch, Head of Design, sowie Silke Berz, Creative Director UX, erklären im Interview, wie Geschlechtertrennung im Onlinehandel funktionieren kann.

Wie kamen Sie zum Thema Gender-Commerce?

Astrid Wunsch: Wir starteten vor zwei Jahren ein Projekt mit der Firma Vorwerk, bei dem wir die Freiheit hatten, alles in Frage zu stellen, beispielsweise Themen wie Produktdarstellung oder die Art und Weise wie Informationen aufbereitet waren. Wir kamen zu dem Schluss, dass diese Form der Aufbereitung die Hauptzielgruppe Frauen gar nicht anspricht. Und daraus ergab sich die Fragestellung, wie man einen Onlineshop frauengerecht gestalten kann.

Silke Berz: Bei Webseiten, die 80 oder 90 Prozent weibliche Kunden haben, kann man diese sehr spitz auf Frauen hin optimieren. Bei einem klassischen Shop, der beide Geschlechter bedient, kann man derzeit sagen, dass diese vor allem den Bedürfnissen der Männer entsprechen.

Ist das nicht sehr unterschiedlich, je nach Branche?

Silke Berz: Es kommt immer darauf an, wer dort einkauft. Das heißt nicht, dass Heimwerker-Läden nur von Männern besucht werden. Auch das ist ein großes Frauenthema. Beispielsweise Rasenmäher werden unserer Erfahrung nach eben sehr wohl auch von Frauen gekauft. Umgekehrt hatten wir es jüngst mit einem Mode-Shop zu tun, der beide Zielgruppen zur Hälfte bedient.

Was zeichnet den Frauen-Shop aus?

Silke Berz: Einer der Hauptfaktoren ist das Stöbern, das Sich-inspirieren-lassen.

Astrid Wunsch: Das gilt vor allem für die Navigationsebene. Auf der Produktebene gibt es natürlich schon Produkte, die erklärungsbedürftiger sind als andere. Doch für die Frauen steht zum Beispiel der Social Proof sehr weit im Vordergrund. Was halten meine Freunde oder Bekannte von dem Produkt, das ich mir gerade anschaue? Männer treffen die Entscheidung lieber allein.

Silke Berz: Frauen lassen sich auch lieber beraten. Hier wäre vielleicht ein Live-Chat auf der Website spannend. Männer hingegen treten in Konkurrenzkampf mit dem Verkäufer. Sie kaufen viel zielgerichteter, während Frauen oftmals auch während des Kaufprozesses noch ihre Entscheidungsparameter ändern. Außerdem kaufen Frauen auch oft noch für die Familie oder Freunde mit ein. Sie haben da einen weiteren Blick. Neckermann hatte beispielsweise herausgefunden, dass Frauen auch Kleidungsstücke für die Männer mitbestellen. Daher hatte man dort die Produktpräsentation eher auf Frauen ausgerichtet.

Jenseits der direkten Conversion-Optimierung: Was nutzt eine solche Optimierung dem Händler?

Silke Berz: Natürlich geht es darum, den Nutzer gezielt zu bedienen und dadurch mehr zu verkaufen. Aber Shops, die gezielt Frauen ansprechen, können auch ein Differenzierungsmerkmal aufbauen und dadurch Kundenbindung herstellen.

Wie wirkt sich denn die Geschlechtertrennung im Design aus?

Astrid Wunsch: Das sollte schon etwas darüber hinausgehen, als dass männliche Shops blau und weibliche pink sind. Frauen mögen eher Farbnuancen, also hellere Pastelltöne und geringe Abstufungen. Von Männern werden stärker Farbschattierungen und intensive Kontraste bevorzugt. Glänzende, metallische Oberflächen sind eher bei Männern beliebt, während Frauen ein Faible für texturierte und strukturierte Oberflächen haben. Auch die Perspektive auf die Produkte ist wichtig. Männer mögen gerne dynamische Ansichten, schräg von vorne. Frauen hingegen können das schlechter dekodieren, um zum Beispiel die Größe des Produkts richtig einzuschätzen. Sie bevorzugen eine frontale oder seitliche Darstellung.

Sprechen wir vom Webdesign oder von den Produktabbildungen?

Astrid Wunsch: Es betrifft beides.

Gibt es weitere Designunterschiede?

Astrid Wunsch: Ja. Männer bevorzugen eine realistische Darstellung, mitunter sogar hyper-realistisch. Frauen hingegen sind mit einer schematischen Darstellung zufrieden. Bei der Typographie bevorzugen Männer Versalien, Frauen hingegen gemischte Schriften.

Konnten Sie dieses Wissen in der Praxis verifizieren?

Astrid Wunsch: Ja. In unserem Vorwerk-Projekt hatten wir bestimmte Designvorgaben durch ein Corporate Design. Das war eher männlich geprägt, mit vielen Fakten, versalen Schriften, freigestellten Produktabbildungen und vielen glänzenden Oberflächen. Insgesamt also eher kühl und technisch. Dann haben wir Inhalte und Bildwelten stark auf Frauen ausgerichtet. Wir bekamen auf diese Veränderungen viel positives Feedback, vor allem von weiblichen Produktmanagern.

Silke Berz: In den Bildwelten haben wir statt der Freisteller viel stärker auf situative Bilder geachtet. Das erklärt auch das mitunter komplizierte Zubehör besser: Etwa wofür eine Düse oder ein Anbauteil gut sind. Insgesamt haben wir die technischen Details etwas in den Hintergrund gerückt und stärker hervorgehoben, was das Produkt eigentlich alles kann. Das verstehen Männer übrigens auch. Wir lassen auch nichts weg: Die technischen Daten stehen immer noch auf der Seite, nur eben weiter unten.

Dabei geht um ganz praktische Fragen: Ist ein Staubsauger schwer, kann ich ihn tragen, komme ich damit unter die Couch? Beim Rasenmäher ist das ähnlich. Da nehmen Frauen gerne den Elektrorasenmäher, denn der stinkt nicht nach Benzin.

Astrid Wunsch: Ein weiterer Faktor sind die Produktbezeichnungen. Das sind doch fast immer technische Akronyme, aber man kann sich nichts darunter vorstellen. Warum nennt man den einen nicht einfach „Der Starke" und den anderen „Der Wendige"? Kunstwörter und Akronyme sind vor allem für Männer wichtig. Die wollen als Pioniere dastehen und den VTXY12 besitzen. Für Frauen ist eine metaphorische Sprache wichtiger, die den Nutzen heraus arbeitet.

Wenn sich Frauen im Shop eher beraten lassen wollen, gilt das dann zum Beispiel im Onlineshop für das Thema Live-Chat?

Silke Berz: Das könnte man daraus ableiten. Wir können das nicht belegen. Aber wichtig wäre, dass eine Frau auf der anderen Seite sitzt. Frauen vertrauen Frauen mehr.

Gibt es einen Shop, den Sie als zu männlich bezeichnen würden, obwohl er eigentlich für Frauen gedacht ist?

Silke Berz: Im Vergleich zum Vorwerk-Shop ist der Shop von Dyson sehr technisch, sehr männlich. Da stehen in der Regel die Leistungsmerkmale der Produkte klar im Vordergrund und die Darstellung der Produkte ist sehr dynamisch. Frauen spricht das nicht so an, aber vielleicht ist das bei Dyson auch genauso gewollt.

E-Commerce für Frauen: Männer jagen, Frauen auch. Nur anders. from wmfra on Vimeo.

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