In Eindhoven, unserer ersten Großstadt, bestätigen sich die Voraussagen eines Freundes: "Man muss ein bisschen aufpassen. Die Radfahrer kommen aus allen Richtungen. Und sie sind schnell." Tatsächlich schießen die Einheimischen auf den zahlreichen Radwegen an uns vorbei: Grüne Welle. Nein, grüne Wellen! Wir sind erschöpft und noch an das ländliche Tempo der Umgebung gewöhnt. Am späten Nachmittag ist immer noch unklar, wo wir übernachten werden. Sechs erfolglose Anrufe. Wie konnte man bloß auf die blöde Idee kommen, sich auf eine Graswurzelorganisation zu verlassen? Die Hotels hier sind teuer und hässlich. Verzweiflung macht sich breit. Doch dann summt das Handy. Ob wir schon etwas gefunden haben, fragt eine freundliche Stimme. Nein? Ob wir Paella mitessen wollen?
Zwanzig Minuten später stehen wir in einer beige-grauen Reihenhaussiedlung. Ein Vorgarten mit wild wuchernden Pflanzen. Das muss es sein - einer von mehr als 6000 gelben Punkten, mit denen alle Unterkünfte der "Vrienden op de Fiets" (Fahrradfreunde) auf der Hollandkarte markiert sind. Sie finden sich selbst dort, wo es kein Hotel mehr gibt. Und jeder kann Teil dieser Idee werden. Es genügt, vor dem Urlaub zehn Euro zu überweisen, und wenig später kommen der ein Jahr lang gültige Klubausweis und das Adressenverzeichnis ins Haus. Die Investition lohnt sich. Egal, bei welchem Fahrradfreund man übernachtet, zum Abschied zahlt man nie mehr als 22,50 Euro pro Person inklusive Frühstück. Eine Summe, die ein gehobenes Hotel schon für das Frühstücksbüffet verlangt. Die einzige Bedingung: Man muss zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sein.
Ricardo Burke öffnet lächelnd die Tür. Er stammt aus Suriname und spricht deutsch, eine lange Geschichte. Das Innere des Hauses wirkt wie ein Akt stiller Rebellion, ein Kontrast zu den ordentlichen niederländischen Vorstädten. Auf der einen Sofaseite meditiert ein Buddha, auf der anderen faltet eine lebensgroße Madonnenskulptur ihre Hände. Als Sandra Leemans, die Eigentümerin, heimkommt, verteidigt sie den Stilmix: "Das ist meine Villa Kunterbunt." Die Frau ist unkonventionell, das sieht man ihr an. Die Paella wird im Gartendschungel serviert. Beim Wein erzählen wir uns die halben Leben. Ricardo zieht sich in die Gartenlaube zurück, um für den Auftritt seiner Reggae-Band zu üben.
Detailansicht öffnenSerie "Reisen ohne Flug"
Hier schimmert er noch durch, der alternative Geist der Achtzigerjahre. Damals schaltete die Gründerin der Fahrradfreunde, Nel de Blécourt, ein Zeitungsinserat: "Wer möchte ein leeres Zimmer einem Radtouristen überlassen?" Spontan meldeten sich fast 100 Menschen. Heute ist das Verzeichnis mit den Adressen und Telefonnummern aller Gastgeber ein dickes Buch. Will man ein Bett für die Nacht reservieren, muss man anrufen. Klingt altmodisch. Hat aber auch Vorteile.
Im Touristenstädtchen Domburg erzählt unsere Zimmerwirtin Boukje van der Hoest, wie sie gerade einen Anrufer abblitzen lassen musste. "Als er damit herausrückte, dass er drei Tage bleiben will, habe ich geantwortet, dass das nicht geht. Da wurde er wütend." Er wäre wohl noch wütender gewesen, wenn er gewusst hätte, was er verpasst. Die Villa mit Holzböden, großen Fenstern und weitläufigen Räumen ist ein Ort der Ruhe und Harmonie. An den Wänden hängt abstrakte Kunst. Die Mittsechzigerin ist selbst Künstlerin und Kuratorin. Sie organisiert ein Festival, zu dem Maler aus ganz Europa kommen, auf der Suche nach dem eisblauen Licht der Walcheren, wie diese Küstenregion heißt. Von der Idee des Übernachtungsnetzwerks ist van der Hoest begeistert. In ein paar Tagen wird sie selbst mit dem Rad unterwegs sein und sich bei einem Gastgeber der Organisation einmieten. "Es ist eine Möglichkeit, völlig unterschiedliche Leute kennenzulernen." Am nächsten Morgen ist das Frühstück auf einem langen Holztisch gedeckt. Im Hintergrund ein leises Klavier.
Auch wenn es so erscheint, mit Airbnb hat das Ganze nichts zu tun. Während die kalifornische Plattform ein touristisches Geschäftsmodell ist, schlagen die Fahrradfreunde kaum Profit aus der Offerte. "Unsere Gastgeber machen das aus Großzügigkeit", heißt es in der Broschüre. Es gehe um einen Freundschaftsdienst für eine klar definierte Zielgruppe. Manchmal, so erzählt ein Vermieter in der Provinz Limburg, kämen Leute in dicken Autos vorgefahren und böten für sein Zimmer das Doppelte. "Aber um Geld geht es nicht", sagt er.
Trotzdem ist der Besucher ein Tourist und nicht jemand, der sich für kurze Zeit im Leben der Einheimischen einnistet. Ob man gemeinsam eine Flasche Wein trinkt oder nur eine Nacht im ausgebauten Dachgeschoss schläft, hängt von der Chemie zwischen Gästen und Gastgebern ab. In Domburg vertraut die Vermieterin uns sogar den Hausschlüssel an. Bei einem Ehepaar in Nederweert ist die Tür offen, bis es dunkel wird. Danach muss man klingeln. Obwohl die Organisation gewisse Standards vorschreibt, gleicht keine Unterkunft der anderen. An einem Tag steht man vor einer edlen Villa, am nächsten findet man sich in einer Etagendusche wieder, die an die Zeit erinnert, als die Küstenstädtchen noch nicht von modernen Ferienhäusern umgeben waren. Auch die Bandbreite der menschlichen Begegnungen ist groß. Wer mit dieser Klubkarte reist, sollte offen sein für Überraschungen.
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